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Frankfurter Buchmesse 2004
Zwischen Prominenten, Wunderbaren und 1001
Nacht
Die
Frankfurter Buchmesse und ihre Berichtserstattung war für mich
immer wie die Spots in einer Musiksendung. In den vergangenen
Jahren sah ich in den Medien die Präsentation einer gigantischen
Werbeveranstaltung, die letztes Jahr jeder Literatur spottete,
als Prominente mit ihren Memoiren den deutschen Buchmarkt überschwemmten.
In diversen Genreszenen gab es warnende Stimmen, die jene Messe
als laute, nervtötende Menschenansammlung beschrieb.
Die Verteufelung einer Messe in Reinkultur, dabei
hat sich die deutsche Literatur seit einigen Jahren aus ihrer
selbst geschaffenen Statik der nicht enden wollenden Nachkriegszeit
endlich hinauskatapultiert. Verlage haben zunehmend deutsche Debütanten
auf den Buchmarkt gebracht. Die Popkultur haben wir auch überlebt.
Gerade jetzt steht auch eine neue deutsche Literatur in den Regalen
der Buchhandlungen. Selbst Genreszenen müssen zugeben, dass man
nicht mehr nur auf Importe angewiesen ist. Auch deutsche Autoren
können Ökothriller schreiben und damit Erfolg haben.
Aber es gibt auch die Kehrseite dieser Medaille. So
schön glänzt sie dann doch nicht. Jede Ich-AG kann einen Verlag
gründen. Mit Ambitionen, entweder der literarischen oder der gewinnbringenden
Art. Dazwischen Autoren, die selbst bei renommierten Verlagen
so viel verdienen, dass es unmöglich ist, seinen Lebensunterhalt
damit zu bestreiten. Den Beruf Schriftsteller gibt es nicht. Vielschreiber
können ihre Miete zahlen, die anderen schreiben, wenn sie mit
ihrem Broterwerb fertig sind. Oder sie geben auf. Vollblutschriftsteller
sind in. Papier ist teurer als sie.
Literatur wohin ...? Ich weiss, dass ich diese Frage
nicht beantworten kann, aber wohin ich fahren möchte an diesem
08. Oktober 2004. Dabei möchte ich eine Messe nicht analysieren,
auch nicht deren Literatur, sondern ich möchte sie erleben als
Autorin, mehr noch als Besucher ...
Der Mann mit dem Fagott und das
Galaktische Forum
Natürlich habe ich mir all die Verlage aufgeschrieben,
die für mein Romandebüt in frage kommen. Dabei weiss ich nicht,
ob jene genauso denken. So ließ ich wohlweislich alles zu Hause,
was eine Autorin sonst mit sich herumträgt - außer mein Notizbuch.
Ich habe nicht nur Verlage, sondern auch Termine notiert und vor
allen Dingen, in welchen Hallen ich dazu gehen musste: Suhrkamp
4.1 F102, Rowohlt 3.1 E 131, 9.10., 14.00 Ismat Amirali 4.1 G
137 … verwirrend, nicht wahr.
Es war aber doch eine weise Entscheidung in sonst so chaotischen
Autorleben. Vielleicht hätte ich - im nachhinein gesehen - diese
Messe genauso verflucht, wie Zeitgenossen vor mir, als es noch
nicht das Internet gab und man nicht Wochen vorher in Ruhe recherchieren
konnte.
Als
erstes suchte ich in Halle 3.0 den Stand E101. Dort war ich verabredet
mit Klaus Bollhöfener vom Pabel Moewig Verlag Rastatt.
(Das
Interview mit ihm findet Ihr hier).
Der Stand war gleich neben dem "Spiegel"-Forum und fiel einfach
auf. Zweigeteilt in Perry Rhodan und dem ansehnlichen Rest des
Verlagsprogramms. Bei PR großformatige spacige Bilder, gearbeitet
von Dirk Schulz, elegante schwarze Regale auf denen die Silberbände
funkelten, bequeme Stühle und Kaffee. Das wichtigste: aufmerksame
und zudem sympathische Menschen, die ich dort kennenlernen durfte.
Mein Notizbuch machte mich jedoch darauf aufmerksam, mich nicht
allzu lange am Stand aufzuhalten. Danke für den Kaffee!
Ich ließ Random House und Heyne rechts liegen (eigentlich war
es von mir aus gesehen links, nur wollte ich das jetzt so nicht
schreiben) und kämpfte mich zu DTV, Goldman, Piper u.a. Verlagsständen
durch. Die Verlagsprogramme für den kommenden Herbst und Winter
entsprachen nicht bei allen Verlagen meine Erwartungen - so machte
ich mir Hoffnung auf Halle 3.1, als ich in einen Menschenauflauf
kam, aus dem es schwer fiel, sich wieder zu befreien.
Kleineren
Personen auf der Buchmesse ist in so einer Situation zu empfehlen,
Schuhe mit Absatz zu tragen. Die Füsse rebellieren garantiert
schon nach einer Stunde dagegen, aber dafür erkennt man die Haarspitzen
des Meisters.
Der Grund für die Menschenansammlung war Udo Jürgens, der sein
Buch "Der Mann mit dem Fagott" und seine Autorin vorstellte.
Ja, es gibt sie noch, die symphatischen Prominenten, die nicht
so tun, als könnten sie selber schreiben. Udo Jürgens lobte seine
Autorin Michaela Moritz, sprach von guter Zusammenarbeit und neben
mir flüsterte eine Stimme: "Wer von den beiden ist jetzt Udo Jürgens?"
"Der in der Mitte ist der Moderator und der ..."
Ich sah zur Seite. Zwei junge Damen, die ihre Kamera gezückt hatten.
Gott, bin ich alt!
Eine dreiviertel Stunde später krame auch ich nach meiner DigiCam,
als der Menschenauflauf sich ein wenig verzogen hat. Zumindest
ich weiss, wen ich fotografieren muss, bis mich ein Sicherheitsmann
gekonnt zur Seite schiebt. Absatzschuhe nützen hier nichts.
Mein
Programm war durcheinander gekommen. Selbst am Freitag ist es
schwierig, durch die Hallen zu gehen und ich verpasse die Lesung
mit Claudia Ott. Für mich ist das mehr als bedauerlich. Hätte
ich doch gern die Übersetzerin von 1001 Nacht kennengelernt.
Ein wenig enttäuscht verschlägt es mich gegen 17.00
Uhr ins Cafe Aubergine: 2,90 der Kaffee, stiller Beobachtungsposten
gab es gratis dazu. Der Tisch vor mir ist - aubergine. Schöne
Farbe, ob der Kaffee schmeckt, weiss ich nicht so recht.
Cafe Aubergine befindet sich an einem Hallenausgang. Um diese
Zeit strömen Besucher an mir vorbei. Ich muss nur in ihre Gesichter
sehen, um zu 99 Prozent zu raten: Verlagsmitarbeiter, Fachbesucher,
Fachbesucher, der nur Besucher ist, Autorin (okay, das Gesicht
kannte ich). Gestresst, entspannt, genervt. Die Reihenfolge kann
man auch anders variieren. Kommt ganz auf den Tag an.
Nachdem ich wie ein Tagedieb allen möglichen Leuten unmögliche
Geschichten angedichtet habe, sehe ich erschrocken auf die Uhr.
Denn ich musste durch das Wirrwarr an Gängen zurück zum Stand
des Pabel Moewig Verlages. Heute abend stand noch ein "Termin"
an: Das Galaktische Forum.
Ich fuhr als Begleitung mit. Die Erklärung "Begleitung"
verlockte übrigens manche der Gäste dazu, sich mit mir beispielsweise
über Krimis und Kinder zu unterhalten. Aber das war nur das symphatische
nebenbei, denn diese Veranstaltung blieb mir doch in lebhafter
Erinnerung. Ganz besonders die Pressekonferenz am Anfang des nächtlichen
Zusammenseins.
Der Verlag stellte die neue Perry-Rhodan-Reihe "Lemuria", die
im Heyne-Verlag herausgegeben wird, vor. Ich erkannte sofort den
Künstler der Titelbilder: Oliver Scholl. Etwas vertrautes zwischen
Perry Rhodan, seinen Autoren und Herausgebern. Pressekonferenzen
um diese Zeit haben meistens auch Bilanzen. Das klingt jetzt
langweilig, war es aber nicht. Eine Zahl machte mich allerdings
dann doch ein wenig sprachlos oder habt Ihr gewusst, dass sich
die Romane von Perry Rhodan (also nicht die Hefte, sondern die
Bücher) bis zu diesem Jahr 8 Millionen mal verkauft wurden?
Nicht nur an diesem Beispiel zeigt sich, dass die
Science-Ficition in Deutschland nicht vorm Aussterben ist, wie
Pessimisten der Szene behaupten. Ganz im Gegenteil: seit J.K.Rowling,
seit Cornelia Funke, aber auch Andreas Eschbach und Frank Schätzing
ist dieses Genre im Aufbruch begriffen. Autoren und Verlage verabschieden
sich vom Schubladendenken, Science-fiction geht zusammen mit Satire,
Krimi und Thriller. Deutsche Debütanten sind auch hier - wie allgemein
in der deutschen Belletristik - gefragt. Jetzt müssten sich nur
noch die große Verlage wieder auf Anthologien besinnen ...
Wieder auf Verlagssuche und der Zauber von Arabien
9.10, 9.30 Uhr. Parkplatzsuche, S-Bahn-Enge, Sicherheitspersonal.
Weil international werde ich auf englisch gebeten, meine Tasche
zu öffnen. Zugegeben - sie ist schon ein wenig verdächtig, aber
das liegt nur an meinem Sammelsurium, was ich überall mitschleppe.
Von Notizbuch über Digicam bis Heftpflaster.
Außer
zwei festen Terminen will ich an diesem Tag meine Verlagssuche
für meinen Roman forcieren. Sicher kann man so etwas auch von
zu Hause aus, nur ist es viel schwieriger im Web oder in Buchhandel
zu suchen, als auf einer Messe fast alle Verlage vor Ort zu haben.
Das Ganze spielt sich zigmal ungefähr so ab: ausschauhaltend nach
einem Mitarbeiter des Verlages, der nicht gerade von vielen Menschen
umringt ist. Nette Begrüßung nach Knigge. Die Frage nach dem aktuellen
und kommenden Verlagsprogramm und wenn man ganz mutig ist, die
Frage, ob der Verlag auch an neuen Autoren interessiert ist.
Aber Vorsicht! Nehmt niemals Euer Manuskript mit.
Auch kein Exposè oder Eure Visitenkarte. Vergesst nie bei so einem
Vorhaben, dass eine Messe nichts anderes ist, als eine Werbeveranstaltung,
auf denen Verlage sich repräsentieren. Sie geben gerne Auskunft
über ihr Verlagsprogramm, aber keine Auskunft darüber, ob sie
Euer Manuskript annehmen. Auch Ihr werdet den einzelnen Verlagsmitarbeitern
nicht in Erinnerung bleiben, haben diese Menschen hunderte Besucher
am Tag. Einzig und allein Euer Überblick im Dschungel des Verlagswesen
nimmt etwas zu.
Meinem
tat es ganz gut, obwohl ich am Ende des Tages dann doch etwas
verwirrt war. Das lag aber eher an den Besucherströmen am Nachmittag,
an denen ich nicht festmachen wollte, wohin Literaturgeschmack
geht. Ganz gelang es mir nicht. So war die Unterhaltungsliteratur
gut besucht, die anspruchsvollere zur Hälfte und die wissenschaftlich-technische
war reine Erholung, wenn man durch die fast menschenleeren Gänge
in Halle 4.2 ging.
"Ahlan wa-sahlan - Herzlich Willkommen" hieß es um
11 Uhr in Halle 4.1. Der erste von zwei Terminen an diesem Tag,
der sich mit dem diesjährigen Thema der Buchmesse beschäftigte.
Die arabische Welt war zu Gast. An sich schon erstaunlich, wie
diese es geschafft hat, sich auf diese Art und Weise auf der Buchmesse
zu präsentieren. Denn die Arabische Welt ist in ihren Sprachen,
ihren Kulturen genauso vielfältig wie die Völker Europas.
Florian
Harms (Journalist, Islamwissenschaftler und Politologe) und Lutz
Jäkel (Fotojournalist, Islamwissenschaftler und Historiker) sprachen
an diesem Vormittag nicht nur von ihrem Buch "Arabien", sondern
auch von ihren zahlreichen Reisen in den Orient. Auf sog. Studienreisen
kann sich der Reisende davon überzeugen, dass die arabische Welt
mehr zu bieten hat, wie uns Nachrichten allzuschnell fehlinterpretieren
lassen. Eine Welt, in der die Menschheit ihre "Wiege", die eine
Hochkultur in der Antike hatte.
Zahlreiche Fotografien illustrierten den Vortrag von Florian Harms
und Lutz Jäkel. Auch diese brachen mit den landläufigen Klischees.
An eine Fotografie kann ich mich noch gut erinnern: Frauen nehmen
ihre Mahlzeit ein, verschleiert, unverschleiert und modern gekleidet.
Sie alle aßen übrigens Schnitzel, Pommes mit Ketschup und Salat.
Die beiden Journalisten standen nach ihrem Vortrag noch für Fragen
des Publikums zur Verfügung.
Am
selben Stand hielt der Kalligraph Ismat Amirali am Nachmittag
einen Vortrag über die arabisch-islamische Kalligraphie.
Er zeigte uns die Kalligraphie der ersten Schriften bis hin zu
den modernen und sprach darüber, dass seit jeher die Schrift
in der arabischen Welt eine große Rolle spielte. So ist
das Niederschreiben des Wortes Gottes für fromme Muslime
ein Glaubensakt. Das Eintauchen des Schreibrohres in die schwarze
Tinte, die Schönheit der Kalligraphie, die in sanft gestrichenen
Schwüngen auf das Papier gebracht wird, ist mehr als bloßes
Schreiben.
Ismat Amirali beeindruckte mit seinen Vortrag. Er ging nicht nur
auf Geschichte und Moderne ein, sondern auch auf das Handwerk
der arabisch-islamischen Kalligraphie und zum Schluss schrieb
er - für jeden, der es wollte - seinen Namen auf arabisch
in jenen sanften Schwüngen auf ein Blatt Papier. Natürlich
habe ich auch eines - als Erinnerung an den Zauber einer eigentlich
gar nicht so fremden Welt.
Mittlerweile war es Sonntagmittag. Ich hatte nicht
mehr viel Zeit, bis mein Zug nach München fuhr. Trotzdem
ging ich noch in den arabischen Pavillon, der neben dem Lesezelt
aufgebaut war. Sämtliche Staaten der arabischen Welt, die
zu Gast auf der Messe waren, präsentierten sich dort. Entweder
mit kleinen Ständen, Fotografien, Vorträgen oder atemberaubenden
Kunstwerken.
Als
ich diese Bilder sah, vergaß ich die Zeit. Von bildhafter
Darstellung bis hin zu abstrakten, von Farbenreichtum bis Düsternis,
von kunstvoller Kalligraphie in Öl auf Leinwand bis zur modernen
Installation. Ich finde im nachhinein nur schwerlich Worte für
das, was ich dort sah. Aber eines wurde mir bewusst: Wären
dort keine arabischen Schriftzeichen oder ein anderer Hinweis,
dass diese Bilder aus der arabischen Welt kommen, hätte ich
es nicht bemerkt. Fremdartigkeit scheint es in der Kunst nicht
zu geben, sondern Emotion und geformte Farben, Visionen und Erlebtes,
Handwerk und Perfektionismus neben Leichtigkeit ... die Kunst
der Moderne. Das alles auf einer Buchmesse. Als ich den Pavillon
verließ, war ich um eine große Erfahrung reicher.
Auch als ich die Messe verließ, war es dasgleiche
Gefühl. Ich war dort als Autorin, mehr noch als Besucherin. Ich
weiss nicht, wohin Literatur uns bringen wird. Ich weiss auch
nicht, ob dieses oder nächstes Jahr mein Manuskript veröffentlicht
wird. Aber ich habe mir fest vorgenommen, nächstes Jahr wieder
hinzufahren. Die Zeit dazwischen ist schon verplant - mit Schreiben
und natürlich auch mit Lesen, denn "... der beste Gefährte im
Verlauf der Zeit ist ein Buch."
(c) Text & Bilder: Gabriele Scharf
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