13. September 2001


[Erstveröffentlichung auf www.sublevel12.de]

Mich gerade hier auf Sublevel12, einer Internetseite, die sich vorrangig mit Fiktion und Satire befasst, zu den Ereignissen des 11. September 2001 zu äußern, mag man als passend oder unpassend empfinden. Aber leider ist mir in den letzten Tagen viel zu deutlich bewusst geworden, wie schnell die Realität die Fiktion überholt, wie viel zynischer sich Tatsachen gegen erfundene bösartige Nachrichten wie die, der sich die Satire so gerne bedient, ausnehmen.

Immer wieder höre ich seit zwei Tagen Sätze wie: "Das kann doch nicht wahr sein", "das ist wie ein Film" und wahrscheinlich haben wir alle genau das zu sehen geglaubt. All zu oft hat uns Hollywood doch genau diese Momente gezeigt. Sogar Zeugen, die wirklichen, betroffenen, die nicht vor dem Fernseher die Ereignisse verfolgt haben, sondern die, die unmittelbar dabei waren, sagten wörtlich: "....wie in einem Godzilla-Film......wie Independance Day........."

Die Szenen, die man uns wieder und wieder zeigt, aus verschiedenen Blickwinkeln aufgenommen, wirken irreal und unglaubwürdig, obwohl wir ihre Authentizität akzeptieren müssen.

Am Morgen des 11. habe ich gerade einen Roman zu Ende gelesen, eine Story, in der es um einen Angriff mit biologischen Waffen geht: Auf Manhattan.

Um so unwirklicher erscheinen mir die Nachrichten, die mir zum ersten Mal kurz nach 15 Uhr ein Freund mitteilt. Für eine Sekunde glaube ich wirklich, es soll ein misslungener Scherz sein. Oder ist er durchgedreht? Phantasiert er? Als ich kurz danach im Auto das Radio einschalte, ärgere ich mich zum ersten Mal darüber, statt Nachrichten auf allen Sendern nur Musik zu hören. Normalerweise ist das umgekehrt, aber an diesem Dienstag ist nichts mehr normal.

Ich glaube, es gibt und gab keine Nachrichtensendung, die ich nicht auf zynische Weise kommentiere, aber diesmal halte ich meinen Mund - zum ersten Mal seit langer Zeit. Kurz darauf, irgendwie nicht wirklich hungrig, betrete ich einen chinesischen Imbiss, weil ich mir etwas zu Essen mit nach hause nehmen will, jedenfalls habe ich das am frühen Nachmittag noch so geplant. Ich bilde mir ein, dass auf dem zwar belebten Parkplatz eine seltsame Stille herrscht. Die Leute reden nicht viel, so als hätte sie etwas überrascht. Etwas, von dem sie sofort ahnen, dass es eine größere Bedeutung haben könnte, als die "üblichen" Nachrichten.

Ich betrete den Imbiss und frage nach, ob man dort schon mehr weiß. Die Chinesin an der Kasse hat nicht wirklich mitbekommen, was da passiert ist. Flugzeuge seien auf ein Haus gestürzt, aber sie scheint das eher für eine der üblichen Nachrichten zu halten. "Haus an dem King Kong war", sagt sie, oder etwas in der Art und verwechselt dabei das WTC mit dem Empire State Building. Erst als wir uns etwas unterhalten und sie von mir hört, dass im World Trade Center mindestens einige tausend Menschen arbeiten, erkennt sie, dass die Nachricht eine viel größere Dimension hat und wird sehr schweigsam. Aber auch ich unterschätze noch die Zahlen, glaube mich zu erinnern, dass im WTC vielleicht fünf bis zehntausend Menschen arbeiten.

Zuhause schalte ich den Fernseher ein und sehe mit offenem Mund mit an, wie eine vollbesetzte Passagiermaschine in einen der beiden Tower rast. Nein, es ist kein Spezialeffekt, es ist auch kein Crash-Test mit einer leeren Maschine und einem leeren Gebäude. Da drin sind Menschen und sie leben bis zu dem Sekundenbruchteil, in dem sich das Flugzeug in einen Feuerball verwandelt.

Doch damit ist das Drama lange nicht vorbei. Sekunden später folgen Aufnahmen der einstürzenden Tower, Bilder vom brennenden Pentagon und auch von einer vierten abgestürzten Maschine ist die Rede. Achtzig tausend Menschen könnten sich allein im WTC aufgehalten haben, vielleicht auch mehr.

Ein Roman, denke ich mir, eine dieser apokalyptischen Storys. Tatsächlich befragt man auf CNN gerade live Tom Clancy am Telephon. Der hat einen Roman geschrieben, in dem es um eine Attacke auf das Capitol auf genau diese Weise geht. Zynisch und auch lächerlich erscheint mir der Vergleich mit Filmen, aber er drängt sich mir an diesem Tag wieder und wieder auf. In "Die Klapperschlange" bringen Terroristen die Airforce One gewaltsam über New York zum Absturz. Der Mann der den Präsidenten retten soll, landet auf dem World Trade Center...............

Es gibt viel mehr Beispiele dieser Art und ich frage mich, ob nicht auch die Terroristen diese Filme und Romane als "Inspiration" empfunden haben mögen.

Im Internet mehr Informationen zu erhalten ist schwer. Die Internetseiten von CNN oder BBC sind nicht erreichbar, dasselbe gilt auch für Spiegel-Online. Die Server sind schlicht überlastet.

Wie viele Opfer zu beklagen sind, ist auch jetzt noch völlig unklar. Doch mittlerweile ist von einer militärischen Reaktion die Rede, auch von einem Einsatz der gesamten NATO gegen einer Gegner, der bis jetzt zumindest noch keinen eindeutigen Namen besitzt.

Ich glaube, ich bin nicht der einzige, der sich momentan fragt, wie groß die Auswirkungen, des 11. September 2001 auf die Weltgeschichte wirklich sein können. Besorgt zu sein ist eine absolut angemessene Reaktion. Die Tat selbst kann ich nur als einen Akt blinder, menschenverachtender Idiotie bezeichnen - und hoffe, dass die Reaktion Amerikas und Europas darauf nicht von Historikern eines Tages mit genau den selben Worten beschrieben wird.

Auch heute noch wird fast 24 Stunden täglich über die Terrorwelle in Amerika und die Fahndung nach den Drahtziehern berichtet. Keinem Ereignis der letzten Jahre wurde von den Nachrichtenredaktionen so große Aufmerksamkeit gewidmet und das allein verrät selbst dem ahnungslosesten Beobachter, wie bedeutsam ist, was im Augenblick geschieht. Auch überall im Internet sind die Ereignisse im Amerika das Thema Nr.1. Spiegel online schreibt, dass selbst Pornohomepages statt Nacktbildern plötzlich ihre Seiten für aktuelle Neuigkeiten und Beileidsbekundungen zweckentfremden. In Foren werden Informationen ausgetauscht, es wird diskutiert aber auch aufgestachelt. Atomschläge werden gefordert, wobei die Ziele mehr oder weniger willkürlich vorgeschlagen werden, andere rufen zur Besonnenheit auf.

Gerade stoße ich bei heise auf einen Forumseintrag. Jemand hat bemerkt, dass die Quersumme von 11.09.2001 der 23 entspricht. Jener Zahl, die eine besondere Bedeutung für den mysteriösen - und vermutlich eher fiktiven - Geheimbund der Illuminaten haben soll. Ja, natürlich ist auch den Verschwörungstheoretikern nicht entgangen, dass etwas unglaubliches geschehen ist. Solch seltsame zahlenmystische Zufälle machen es auch nicht unbedingt leichter, die Ereignisse als real zu akzeptieren.

Eines steht auf jeden Fall fest: Wir werden in diesen Tagen Zeuge von Weltgeschichte, die sich nicht gewohnt schleichend verändert, sondern so rasend schnell, dass wir ihr absolut machtlos gegenüber stehen. Was uns dabei so berührt, ist die Tatsache, dass wir genau diese Ohmacht zum ersten Mal spüren und uns ausgeliefert fühlen: Der Willkür von Terroristen, dem Lauf der Geschichte. In den letzten Tagen ist uns vielleicht zum ersten Mal seit langer Zeit bewusst geworden, wie instabil das Gefüge der Welt ist, das wir gerade hier, in den reichen Ländern zumindest unbewusst für selbstverständlich und unveränderlich halten. Im Augenblick bleibt uns nichts anderes übrig, als auf die Besonnenheit der Entscheidungsträger zu hoffen - und das bedeutet vermutlich, dass wir verdammt viel Hoffnung brauchen.

[geschrieben von Thorsten Küper]

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