© der Geschichte: Günter K. Langheld. Nicht unerlaubt
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Die Verwandlung

Obwohl der Richter von meiner Schuld überzeugt ist, kann ich nur immer wieder beteuern, das ich kein Mörder bin. Da mein Gnadengesuch abgelehnt wurde, bleibt mir nur noch wenig Zeit, die Tat, wegen der man mich zum Tode verurteilt hat, wenigstens zu rechtfertigen:

Der Wind hatte seit Tagen getobt, er hatte die Schneedecke von den Bäumen gefegt und hohe Schneewehen am Wegesrand aufgetürmt. Dann jedoch war es ruhiger geworden und dem Brausen des Windes folgte eine unheilverkündende Stille.
Ich war am Montag, dem 8.Januar nachmittags von Anzmühlen aus losmarschiert und wollte Birk-moor noch vor Anbruch der Dunkelheit erreichen. Im Dorfkrug hatte man mir von einem Hand-werksmeister in Birkmoor erzählt, der gelegentlich wandernde Gesellen bei sich arbeiten ließ. Bei diesem Mann wollte ich nun mein Glück versuchen.
Der Wirt hatte mir den Weg über die Heide genau beschrieben, doch ich musste wohl eine falsche Abzweigung genommen haben. Weit und breit erblickte ich keinerlei Anzeichen der besagten Lärchenschonung, durch die mich mein Weg führen sollte.

So stand ich in dieser gottverlassenen Einöde und wußte nicht welche Richtung ich einschlagen sollte. Ich schlitterte über einen gefrorenen Bach, dessen Ufer dichter Tannenwald säumte. Noch eben hatte ich die letzten Strahlen der sinkenden Wintersonne sehen können, jetzt ging aber selbst die Dämmerung am Horizont in düsteres Schwarz über. Die Tannen schienen sich im schwindenden Tageslicht schutzsuchend aneinander zu drängen. Große wollige Schneeflocken fielen lautlos zur Erde nieder und bedeckten die Bäume mit weichen Polstern. Der Wald erstarrte im beginnenden Frost der Winternacht. Aus der Ferne hörte ich einen schwachen Laut mühsam in die eisige Luft emporsteigen. Er erstarb zitternd, als er seinen höchsten Ton erreicht hatte - es klang, wie das Klagen einer verlorenen Seele.

Langsam begriff ich, dass ich mich verirrt hatte und das unangenehme Gefühl der Einsamkeit über-kam mich. Ich konnte nun natürlich den gleichen Weg zurück gehen und würde dann noch vor Mitternacht wieder in Anzmühlen sein. Doch konnte ich sicher sein, dass ich mich nicht erneut verirren würde? Es erschien mir schon sinnvoller, den einmal eingeschlagenen Weg beizubehalten, die Richtung musste nämlich stimmen. Ich ruhte mich einen Augenblick lang aus, nahm mein Bündel von der Schulter und wischte mir die Stirn. Allmählich breitete sich der Frost in meiner Kleidung aus und ich begann zu frieren. Angestrengt beobachtete ich die Gegend, ob nicht irgendwo ein Licht-schimmer zu entdecken war. Selbst mit der schlechtesten Hütte hätte ich mich zufriedengegeben, um dort für diese Nacht unterschlüpfen zu können. Ein schrilles Heulen durchdrang das Schweigen.
Ich erschauerte und blickte mich um. Gab es in dieser Gegend noch Wölfe? Umschlich mich vielleicht gerade jetzt eine der Bestien und wartete nur auf eine günstige Gelegenheit um mich anzufallen und zu zerreißen?
Wieder ertönte ein langgezogener Schrei.
Da ich vor einigen Wochen, auf dem Weg nach Harmstorf, überfallen und ausgeraubt worden war, hatte ich mir eine Waffe zugelegt. Ich hatte sie zu einem sehr niedrigen Preis einem Händler aus Goßlar abgekauft, der sogar schwor, der Griff des Revolvers, ja selbst die fünf matt glänzenden Patronen, die er mir gab, bestünden aus reinem Silber. Zwar bezweifelte ich, dass man mit dem Revolver im Ernstfall wirklich zielsicher schießen konnte, doch eine teurere Waffe hatte ich mir nicht leisten Können. Und zur Abschreckung gegen Räuber und andere üblen Gesellen musste er schließlich genügen. Ich fasste in meine Jackentasche und fühlte dort den kalten Griff des Revolvers.
Besorgt spähte ich in die Richtung, aus der die Laute gekommen waren. Zunächst konnte ich in der dichten Finsternis nichts erkennen, dann aber bemerkte ich ein Augenpaar, das wie glühende Kohlen vor mir in der Dunkelheit aufglomm. Ich umklammerte meinen Revolver fester, doch nun sah ich nichts mehr. Wahrscheinlich waren es Irrlichter gewesen, die manchmal einsamen Wanderern unverhofft am Wegesrand erscheinen und schon im nächsten Augenblick wieder verlöschen.
Langsam begannen sich meine angespannten Nerven zu beruhigen, als ich plötzlich ein leises Geräusch vernahm. Es raschelte, Zweige knackten und dann knirschten Schritte im Schnee. Ich sah, wie sich vom Waldrand her langsam eine Gestalt näherte. Im selben Moment hörte ich eine heisere männliche Stimme:
"He Sie, wo wollen Sie hin?"
"Ist dies der Weg nach Birkmoor?"
"Nach Birkmoor? Sie haben sich wohl verlaufen, eh!" höhnte die Stimme. Der spöttische Tonfall des Burschen gefiel mir nicht. Und weshalb trieb er sich zu dieser späten Stunde noch im Wald herum?
Der Mann blieb wenige Schritte vor mir stehen. "Wenn es Ihnen nichts ausmacht, Können wir ja gemeinsam gehen. Ich könnte ihnen den richtigen Weg zeigen."
Obwohl inzwischen der Mond und die Sterne ein fahles Licht verbreiteten, war es doch noch zu dunkel, um viel von seinem Gesicht zu erkennen.
"Gibt es in dieser Gegend noch Wölfe?" fragte ich.
"Kann schon sein."
Bei seinen letzten Worten war mir, als leuchteten seine Augen für eine Sekunde unheimlich auf. Ich riss mich zusammen. Anscheinend hatte mich das Wolfsgeheul so nervös gemacht, dass ich schon begann Gespenster zu sehen, obwohl ich eigentlich froh sein musste, einen ortskundigen Begleiter gefunden zu haben, der mich auf dem kürzesten Weg nach Birkmoor führen konnte.
Der Fremde marschierte los und ich folgte ihm. Wir stapften einen Pfad entlang, der bald schmaler wurde und schließlich an einer Schonung endete. Ich kämpfte mich durch ein Dickicht aus Ästen und Zweigen. Der Kerl lief immer schneller und ich hatte Mühe mit ihm Schritt zu halten. Zweige huschten mir übers Gesicht und zerkratzten meine Wangen.
Ich muss zugeben, dass ich überaus erleichtert war, als ich, nach etwa einer halben Stunde, in einiger Entfernung die Lichter der ersten Häuser sah. Zufrieden blieb ich stehen und freute mich, endlich am Ziel zu sein. Plötzlich vernahm ich grimmiges Knurren neben mir. Erschrocken wandte ich den Kopf und gewahrte einen großen grauen Wolf, der mit gebleckten Zähnen und triefenden Lefzen eben zum Sprung ansetzen wollte. Von meinem Begleiter hingegen entdeckte ich keine Spur.
Ich ließ meine Hand blitzschnell in die Tasche gleiten und riss den Revolver heraus. Während die Bestie auf mich zu sprang, zielte ich, so gut es ging, zwischen die glühenden Augen und feuerte. Dann jedoch wurde ich zurück geschleudert, sprühende Funken tanzten vor meinen Augen und ich sank zu Boden.
Als ich aus meiner Bewusstlosigkeit erwachte, hörte ich gedämpftes Stimmenmurmeln. Ich erkannte mehrere Männer, die sich um etwas Dunkles im Schnee versammelt hatten. Mit schmerzenden Gliedern und noch leicht benommen erhob ich mich und wankte zu ihnen hinüber. Ich bemerkte, wie mich einer der Männer argwöhnisch musterte und blickte über seine Schulter.
Was ich aber dort sah, ließ ein Kribbeln in mir aufsteigen, das von den Fingerspitzen bis in die Haarwurzeln empor kroch. Vor mir lag nämlich nicht der Wolf, sondern der leblose Körper meines Begleiters. Genau zwischen seinen Augen war ein Loch zu erkennen, aus dem ein fadendünnes Rinnsal floss und dunkel auf den glitzernden Schnee tropfte.

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