©
der Geschichte: Petra Alice Berg. Nicht unerlaubt vervielfältigen oder anderswo veröffentlichen. Alle Rechte dieses Werkes liegen bei dem Autor. Diesen Disclaimer bitte nicht entfernen ![]() |
![]() |
|
![]() |
![]() |
Der perfekte Liebhaber "Bye-bye, love, bye-bye, happiness..." - der alte
Schlager faßte Arlenes Gefühle nahezu perfekt in Worte. Deshalb
hörte sie ihn auch schon zum dritten Mal. Wieder war eine ihrer
Romanzen gescheitert. Dabei hatte es so ausgesehen, als ob es diesmal
"was fürs Leben" sei. Ein ruhiger, reifer Mann im gesicherten Beamtenstatus,
intelligent und umgänglich - aber leider verheiratet, wie sie nach
kurzer Zeit herausfand! Und die Rolle der Geliebten für ein paar
flüchtige, gestohlene Stunden im Monat konnte und wollte sie nicht
spielen. Sie bezweifelte sogar, daß er ihr seinen richtigen Namen
genannt hatte. Ach, was spielte das jetzt noch für eine Rolle!
Arlene war wieder allein - eine pummelige Frau mittleren Alters, die
den Kampf gegen die Fettpölsterchen an den Hüften langst aufgegeben
hatte und jeden Morgen ein paar weiße Haare mehr in ihrem Kamm
fand. Mit 16 hatte sie sich zum ersten Male verlobt und geglaubt, sie werde nun bald heiraten und Kinder bekommen. Ein Kind bekam sie tatsächlich - 6 Jahre später und von einem ganz anderen Mann. Inzwischen war diese Tochter längst erwachsen - und Arlene immer noch ledig. Sie verstand es selbst nicht. Aber nach den jahrelangen Demütigungen und Lügen, die sie von ihren Liebhabern ertragen mußte, hatte sie nun endgültig die Nase voll von der Liebe. Wozu wieder und wieder eine Beziehung beginnen, sich Hoffnungen machen, Opfer bringen, wenn doch nach wenigen Monaten oder Jahren der Schlußstrich gezogen werden mußte? Nein, sie würde ihre Freizeit künftig allein oder mit ihrer Tochter verbringen! Diesem Vorsatz blieb Arlene 2 Jahre lang treu - bis im Fernsehen eine neue Serie begann, ein romantisches Fantasy-Märchen. Arlene liebte Märchen, und dieses war besonders schön, dazu noch mit Liebe zum Detail verfilmt. Alle Darsteller wirkten überzeugend, die Tricks waren gelungen und die Kostüme hinreißend. Nur dem Titel: "Die Liebe siegt immer" mochte Arlene nicht so recht beipflichten. Sie setzte sich mit einer Flasche Wein und einer Tüte Erdnüsse vor
den Fernseher, schon gespannt auf die 5. Folge, die heute gesendet werden
sollte. Diesmal machte ein böser Dämon der mutigen Prinzessin
das Leben schwer. Und dieser Dämon war geradezu teuflisch schön,
stellte Arlene fest. Hochgewachsen, schlank, mit eleganten Bewegungen
und Augen, die einen in Trance versetzen konnten! Seine Miene wandelte
sich sekundenschnell von der Sanftmut Christi zur Wildheit eines gereizten
Leoparden. "Ein Mann, den man zugleich lieben und fürchten muß!"
sagte sich Arlene. Sie achtete auf den Nachspann. Der Name des ungewöhnlichen
Darstellers - Colin Javelin - sagte ihr nichts. Aber er selbst verfolgte
sie bis in ihre Träume. In ihnen war sie seine Gefangene, aber
sie hatte keine Angst. Im Gegenteil - seine ungestüme Wildheit
erregte sie geradezu, weckte ihren Sexualtrieb, der so lange Zeit im
Dornröschenschlaf gelegen hatte. Sie lief mit ihm am Strand einer Insel entlang. Die Landschaft, so bunt und fremdartig, paßte perfekt zu Colin, dessen dunkles Haar sich im Seewind bewegte wie ein Rabenflügel. Die magische Kraft seiner Augen, welche die Bläue des Himmels widerspiegelten, brannte sich in ihr Herz, das noch beim Erwachen unruhig schlug. Schweratmend stand sie auf und duschte. Aber unter dem warmen Wasserstrahl war ihr, als fühle sie erneut die sinnliche Berührung seiner vollen Lippen, seiner kräftigen Hände. Aus welchem Land er wohl stammte, dieser schöne Fremde mit dem persisch anmutenden Gesicht und den langen, biegsamen Fingern? Ob er wohl verheiratet war und Kinder hatte? Aber vor allem fragte sie sich: Wie schaffte er es, derartige Glücksgefühle in ihr auszulösen? Arlene fühlte sich wie ein verliebter Teenager. Ausgerechnet sie, die über solche "Kindereien" früher immer gelacht hatte! Den Kopf geschüttelt hatte sie, wenn ihre Schulfreudinnen sich Poster übers Bett hängten und verliebt seufzten, wenn sie "den süßen Ringo" oder "Barry" irgendwo abgebildet sahen. Nun dagegen schrieb sie den Sender an und bat um Informationen über Colin Javelin. Aber die Dame vom Zuschauerservice bedauerte: Es lägen keine Daten über den jungen Mann vor. Arlene schrieb daraufhin verschiedene Zeitschriften an. Sie erhielt entweder keine oder eine nichtssagende Antwort. Niemand schien Colin zu kennen. Arlene war verzweifelt. Sie sehnte sich danach, Colin persönlich zu begegnen, seine richtige Stimme zu hören. Denn die Serie war keine deutsche Produktion und daher synchronisiert. Doch der schöne Schauspieler blieb ein ungelöstes Rätsel für Arlene, und sie fragte sich allmählich, ob er wohl ein Außerirdischer sei, der nach kurzem TV-Debüt wieder auf seinen Heimatplaneten zurückgekehrt war. Denn selbst online konnte sie nichts über ihn herausfinden. Da beschloß Arlene, sich ihren Traummann wenigstens auf dem Cyberspace-Bildschirm zu erschaffen. Sie schrieb ein Programm, das sie "Mysterion" nannte und an dem sie tagelang arbeitete. Beinahe vergaß sie Essen und Schlafen darüber, Colin auf dem Bildschirm Gestalt annehmen zu lassen. Aber das war nicht Colin - irgend etwas stimmte noch nicht! Sie versuchte, sich zu erinnern, doch es gelang ihr nur unvollkommen. Also suchte sie per Kleinanzeige Videoaufzeichnungen der Serie. Und sie hatte Glück. Nun konnte sie ihren geliebten Star in allen Details auf das Cyberspace-Programm übertragen. Endlich war er perfekt: ein Adonis von atemberaubender Schönheit und raubtierhafter Geschmeidigkeit. Ein starker, beschützender Partner, stolz und mutig wie Dietrich von Bern, sanftmütig wie Gandhi, geheimnisvoll wie Merlin, klug wie Sokrates und dabei sinnlich wie Ovid! Bei den unteren Partien seines schönes Körpers hatte sie ihre Phantasie einsetzen müssen, da er sich im Film von der Hüfte abwärts stets bedeckt hielt. Trotzdem fürgte sich das Resultat harmonisch ins Gesamtbild ein. Ach, solch einen Mann müßte sie haben! "Warum nicht?" Arlene wagte es: Sie tauchte mit allen Sinnen in die virtuelle Welt ein und genoß dreidimensional. Und es schien, als würde ihr Traum von Minute zu Minute greifbarer. Was war los? Trat er wirklich, wie es ihr vorkam, aus seiner Bildschirmwelt heraus auf die reale Ebene? Oder verlor sie den Boden unter den Füßen und wurde Teil seiner Scheinwelt? Sie wußte es nicht, aber sie war glücklicher als je zuvor in ihrem Leben. Arlene projizierte jetzt eine Art Märchenschloß auf den Bildschirm. In eines der prunkvollen Schlafgemächer versetzte sie ihren Traumpartner. Wie hingegossen lag er in wahrhaft königlicher Haltung unter dem Baldachin eines riesigen Himmelbettes und schlief. Sie weckte ihm mit einem Knopfdruck und massierte ihn liebevoll via Datenhandschuh. Während seine Lider den langen, seidigen Wimpern sich hoben und den verträumten Ausdruck in seinen Augen freigaben, fragte sie sich, wie alt er wohl sein mochte. Die Explosion riß die Nachbarn aus den Fernsehsesseln, und der anschließende Wohnungsbrand ließ sie auf die Straße flüchten. Am nächsten Morgen brachte die Zeitung das Ereignis unter der Überschrift:"Frau verlor den Verstand - Selbstmord vor dem Bildschirm!" |
![]() |