© der Geschichte: Martin Moser. Nicht unerlaubt
vervielfältigen oder anderswo veröffentlichen. Alle Rechte
dieses Werkes liegen bei dem Autor. Diesen Disclaimer bitte
nicht entfernen


Brennende Kälte

Es ist Winter. Patzmann sitzt unter seiner Brücke. So wie jeden Abend. Aber heute Abend ist es kälter als sonst.
Patzmann erhebt sich langsam vom tiefgefrorenen Lehmboden, der für eine weitere Nacht sein Bett sein wird und stellt sich vor das lodernde Feuer, das er, wie jeden Abend, entzündet hatte und streckt seine Hände in Richtung der Flammen, so nah dass die Hitze an seinen Händen zu schmerzen beginnt. Aber Schmerzen sind gut, Schmerzen sind warm, Schmerzen zeigen dir, dass du noch fühlst und lebst, wenn du schon daran gezweifelt hast. Patzmann hält seine Hände weiter über das Feuer, solange, bis der Schmerz den letzten Winkel seines Körpers erreicht hat und die Handflächen schwarz vor Ruß sind. Fast hat es den Anschein, als wolle er die Wärme des Feuers durch seine Hände in seinen Körper hineinsaugen. Dann zieht er die Hände weg, ruckartig, und hält sie sich vor sein Gesicht.
Eine Weile steht er einfach nur still und betrachtet mit einem gedankenverlorenen Lächeln seine geschwärzten Handflächen und spürt die Wärme, spürt wie sie langsam wieder aus seinen Fingern weicht. Sein Lächeln erstarrt und weicht einem erschreckten, fast panischen Gesichtsausdruck. Hastig presst er die Handflächen gegen sein Gesicht, so fest es seine Kräfte hergeben und reibt sie mit hektischen Bewegungen hin und her. Schließlich lässt er seine Hände erschöpft sinken und starrt eine Zeit lang über das Feuer hinweg ins Nirgendwo. Apathisch lässt er sich wieder auf dem Boden nieder. Sofort ist sie wieder da, die klirrende Kälte, sie kriecht ihm durch die Beine und immer höher, streckt wieder ihre eiskalte Hand aus und tastet sich immer weiter und weiter nach oben. Patzmann springt auf und stellt sich mit dem Rücken zum Feuer, weg von der Kälte, der grausamen Kälte. Aber die Kälte ist überall, vor ihm hinter ihm, selbst über ihm kann er sie spüren, wie sie lauert, wie sie darauf wartet, dass sie ihn holen kann, ja, ja, nur ein kleiner Moment der Unachtsamkeit würde genügen, dann hätte sie ihn, aber er war schließlich schlau, er wird sich nicht überrumpeln lassen, nein niemals, nicht solange sein Feuer noch brennt, das gute, warme Feuer, sein Beschützer, sein Freund, sein Schatz, den wird ihm niemand wegnehmen, oh nein, das wird er nicht zulassen. Doch von allen Seiten nähert sich die Kälte, der unsichtbare Feind, der Tod, sie kriecht näher, sie streckt ihre frostigen Finger nach ihm aus, immer näher kommt sie, er kann sie fühlen, immer näher, immer näher.
Patzmann dreht sich zum Feuer um und greift mit beiden Händen mitten hinein und zieht einen verkohlten, aber noch brennenden Holzscheit hervor und wirft ihn mit einem lauten Schrei der Kälte entgegen. Doch immer noch spürt er überall um sich herum die Eiseskälte und wieder greift er sich einen Scheit aus dem Feuer und schleudert ihn dem Feind entgegen. Und wieder. Und noch einmal. Inzwischen hat sein lumpiger Pullover an den Ärmeln Feuer gefangen, doch er greift ohne innezuhalten erneut ins Feuer, solange, bis kein brennender Holzscheit mehr übrig ist. Mittlerweile brennt sein Pullover lichterloh, streckt seine Haare und seine Hose an. Patzmann spürt die Schmerzen nicht, er weiß, er hat die Kälte vertrieben, er hat gewonnen.
Ein irres Lachen entfährt ihm. Nun kann er endlich schlafen, die Kälte kann ihm nichts mehr anhaben. Und Patzmann fällt nach vorne, auf den tiefgefrorenen Boden und bleibt liegen.

zurück