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Benson Hall
Hampstead stand am Fenster und schaute den an der Scheibe
herunterrinnenden Regentropfen nach. "Verdammtes Sauwetter", murmelte
er und kehrte zurück zum Bett. Er setzte sich ächzend auf die Bettkante,
um Strümpfe und Schuhe anzuziehen. Während der Regen gegen die Fensterscheiben
trommelte, goss er sich Kaffee ein und hob die Tasse vorsichtig an die
Lippen.
Eine wohlige Wärme durchströmte ihn, als sich der erste Schluck in seinem
Magen ausbreitete. Es war wirklich eine Schande, bei solchem Wetter aus
dem Hause zu müssen. Aber in zwei Wochen sollte das alte Herrenhaus wieder
vermietet werden und bis dahin - das hatte er dem Verwalter von Benson
Hall versprochen - wollte er mit der Renovierung aller Räume fertig sein.
Viel hatte sein Malerbetrieb bisher nicht eingebracht und weil sein einziger
Angestellter sich wegen einer Halsentzündung krank gemeldet hatte, musste
er nun auch noch die Arbeit allein machen.
Hampstead blickte auf die Uhr: Viertel nach neun; er musste sich beeilen.
Vorsichtshalber hatte er schon am Abend zuvor Leiter, Tapeziertisch und
alles, was er sonst noch brauchte, in seinem Lieferwagen verstaut. Hoffentlich
machte ihm der alte Karren wenigstens heute keine Schwierigkeiten.
Er öffnete die Tür seines Diesels und setzte sich ans Steuer. Es erschien
ihm wie ein Wunder, als der Motor gleich darauf mit lautem Knattern ansprang.
Hampstead betätigte die Scheibenwischer und legte den ersten Gang ein.
Dann trat er langsam das Gaspedal durch. Mit einem leichten Ruck setzte
sich der Wagen in Bewegung und rumpelte über den Hof. Hampstead bog die
Landstraße in Richtung Albury ab.
Benson Hall liegt in einem entlegenen Teil der Grafschaft Surrey. Die
Fahrt dorthin hatte über von Kiefern und Fichten gesäumte Straßen geführt
und als Hampstead das Anwesen erreichte, war es schon zehn Uhr. Es hatte
inzwischen aufgehört zu regnen. Statt dessen setzte der dichte Bodennebel
ein, der im Spätherbst für England so typisch ist.
Hampstead stoppte seinen Diesel, öffnete das Tor und fuhr die schmale
Auffahrt zum Herrenhaus hinauf. Man sah Benson Hall sein Alter an, fand
er. Er stieg aus dem Wagen und schlenderte auf das Haus zu. Über dem Portal
konnte man vage die Jahreszahl 1758 entziffern. Der Bau hatte dringend
einen neuen Außenanstrich nötig, vielleicht würde man ihm später...
Deutliches Knarren riss ihn aus seinen Gedanken. Hampstead blickte sich
rasch um, konnte aber nicht herausfinden, woher das Geräusch gekommen
war. Die Achseln zuckend zog er einen Schlüssel aus der Tasche und ging
zur Eingangstür. Doch dort stutzte er und blieb stehen. Die Tür stand
einen Spalt weit offen. Hampstead drückte auf den Klingelknopf und wartete;
es erschien jedoch niemand.
Nachdem er noch zweimal vergebens geläutet hatte, öffnete er vorsichtig
die Tür und trat ein. In der Eingangshalle standen mit Tüchern verhängte
Möbel herum, den Boden bedeckte eine dichte Staubschicht. Man erkannte,
dass das Haus seit längerer Zeit von keinem Menschen betreten worden war.
Hampstead beschloss, sich sofort an die Arbeit zu machen.
Das elektrische Licht flackerte leicht, als Hampstead das
Tapeziermesser aus der Hand legte und seinen Arbeitskittel auszog. Es
war schon zwanzig Uhr, höchste Zeit, um Feierabend zu machen.
Er war mit seiner Arbeit gut vorangekommen. Zufrieden verließ er das Zimmer
und durchquerte den Flur. Als er den Treppenabsatz erreicht hatte, flackerte
das Licht erneut und erlosch dann. "Verdammt", entfuhr es ihm, die Sicherung
muss durchgebrannt sein. Totale Finsternis umgab ihn jetzt.
Er stieg langsam die Treppe hinunter. Dann erstarrte er. Es kam ihm vor,
als ob eben etwas an ihm vorbei gehuscht war. Ob es in diesem alten Bau
Ratten gab? Hampstead schüttelte sich unwillkürlich. Er streckte die Hände
aus und tastete sich vorwärts. Die Eingangstür musste sich genau vor ihm
befinden, aber nach etwa zehn Schritten lief er gegen eine Wand.
Jetzt sollte er einmal scharf nachdenken! Die Tür konnte nur rechts oder
links von ihm sein. Er entschied sich für rechts. Nach kurzer Zeit aber
stieß er wieder gegen eine Wand, also war er in die falsche Richtung gelaufen,
die Tür musste links sein. Langsam tastete er sich zurück.
Ein kalter Luftstrom strich über ihn hinweg und Hampstead blieb schaudernd
stehen. Was mochte das nur sein? Eine ängstlichere Person als er, wäre
jetzt in Panik geraten, aber das war das Letzte, was ihm in dieser Situation
passieren durfte. Er tappte weiter und für einen Augenblick war ihm, als
berührte etwas Weiches, Schleimiges sein Gesicht.
Er schlug mit den Händen danach, spürte aber keinen Widerstand. Langsam
schob er sich an der Wand entlang. Wie still es in diesem verfluchten
Haus doch war! Außer dem Schlurfen seiner Schuhe auf dem Boden, war nichts
zu hören. Plötzlich stieß seine rechte Hand gegen Metall. Es war der Türgriff.
Na bitte, er hatte es geschafft, man durfte eben nicht die Geduld verlieren.
Er drückte die Klinke nieder, doch die Tür öffnete sich nicht, sie war
verschlossen. Aber er wusste doch genau, dass er die Tür nicht abgeschlossen
hatte. Wer sollte denn...
Verzweifelt suchte Hampstead in seinen Taschen nach dem Schlüssel, dann
aber gab er resigniert auf. Der Schlüssel musste in seinem Arbeitskittel
stecken. Ein leises Geräusch ließ ihn aufhorchen, er drehte den Kopf und
lauschte. Es klang, wie eine flüsternde Stimme.
"Ist da jemand?" rief er laut. Das Echo hallte verzerrt in seinen Ohren
nach, es antwortete jedoch niemand. Jedes Haus hatte so seine eigenen
Geräusche, versuchte er sich zu beruhigen, aber er war nun doch nervös
geworden.
Wenn er wenigstens Streichhölzer bei sich hätte. Hinter ihm ertönten Schritte
und er hielt den Atem an. Die Schritte kamen näher. Angstvoll rüttelte
Hampstead an der verschlossenen Tür, da berührte plötzlich eine eiskalte
Hand seinen Nacken.
Vor Entsetzen schrie er laut auf. Und dann begann er wild um sich zu schlagen...
"Nach diesem mysteriösen Unglücksfall wird es schwer sein,
noch irgend jemanden für Benson Hall zu interessieren." Der Verwalter
von Benson Hall blickte den ihm gegenüber sitzenden Inspektor an.
"Wie konnte es nur dazu kommen?" Der Polizist zuckte mit den Schultern.
"Wir haben bei dem Toten keine Anzeichen von Gewaltanwendung entdecken
Können. Der Befund des Arztes weist eindeutig auf Herzversagen hin."
Kopfschüttelnd blätterte der Verwalter in seinen Unterlagen. "Die Legende
berichtet von einem Fluch, der auf Benson Hall liegen soll. Und allmählich
beginne ich daran zu glauben."
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