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Die Verfolger und die Geretteten

Trim wanderte ruhelos über die einsame Ebene. Er drehte sich immer wieder um, vielleicht könnte er irgendwo einen der Verfolger entdecken, die schon seit vielen Stunden hinter ihm her waren, von denen er aber bisher noch nichts gesehen hatte. Aber er wusste, dass sie da waren. Sie lauerten irgendwo hinter ihm, von der Dunkelheit umhüllt und versteckt und somit seinen Blicken entzogen.
Vor ihm war die Rettung. Wie lange er noch brauchen würde, um die rettende Oase in der Wüste des Unverständnisses zu erreichen, wusste er allerdings nicht. Andererseits war es auch egal, denn auch wenn das Erreichen der Oase die Rettung bedeuten würde, könnte er trotzdem nie sicher sein, ob er wirklich entkommen war. Denn die Verfolger lauerten nicht nur irgendwo hinter ihm, sie waren auch in ihm, saßen in seinem Gehirn, hatten sich dort festgefressen.

Viele Zeiteinheiten zuvor war er in die Falle der Verständnislosigkeit getreten. Das hörte sich nicht sehr schlimm an, aber was einem da passieren konnte, das war schlimm. In der Gefangenschaft der Verfolger hatte er erfahren müssen, dass die Gerüchte im Lager der Geretteten nicht etwa an den Haaren herbeigezogen waren. Sie entsprachen genau der Wahrheit. Viele der Menschen, die schon einmal unter den Übergriffen der Verfolger zu leiden hatten, versuchten immer wieder, den noch nicht betroffenen mahnend die Folgen von Unvorsichtigkeit aufzuzeigen. Leider gelang das niemals wirklich, da man erst erlebt haben musste, was einem bei den Verfolgern passieren konnte, bevor man wirklich verstand, wie schrecklich es war. Auch Trim stand diese Schicksal bevor. Aber bevor er sich über das Unverständnis der Unwissenden aufregen konnte, musste er erst einmal den Verfolgern entkommen und das war leichter gesagt, als getan.

Die Ebene vor ihm schien sich endlos auszudehnen. Dunkelheit lag über der kalten Wüste, die nur vom Ball zweier Monde erhellt wurde. Hinter sich konnte er viele der Gesteinsformationen erkennen, die für diesen Teil der Wüste charakteristisch waren. Immer wieder blitzte es zwischen den Gesteinsformationen auf, Trim war allerdings nicht sicher, ob es sich um Verfolger handelte oder ob sich nur das Mondlicht in rollenden Kristallen spiegelte, die ebenfalls charakteristisch für diesen Teil der Wüste waren. Wenn er aus der kristallenen Felsenwüste heraus war, dann konnte er aufatmen. Aber im Moment war er sich nicht sicher, wie lange er dazu brauchen würde. Er wusste nur, dass er sich in die richtige Richtung bewegte. Die Stellung der beiden Monde zueinander liess ihn erahnen, welche Richtung die Seine war. Er kam ins Taumeln, als er sich wieder umblickte, sank für einen Moment auf eines seiner knorpeligen Kniegelenke und verschnaufte, dann allerdings stemmte er sich mit einem entschlossenen Ruck wieder hoch. Die Verfolger würden ihn nicht bekommen. Sie hiessen übrigens nicht so, weil sie ihn und die anderen durch die kristalline Wüste jagten. Vielmehr war es ihre allgemeine Einstellung gegenüber dem Leben, sowohl von anderen als auch dem eigenen. Viele der eigenen Mitglieder wurden gejagt, gefoltert und mit Strafen bedacht für Taten, die sie niemals begangen hatten. Für die Geretteten hingegen bedeutete Rettung auch nicht nur vor der Verfolgung sondern auch vor dem, was einem der Aufenthalt bei den Verfolgern antun konnte.

Eine Gehirnwäsche im eigentlich Sinne war das nicht. Vielmehr war das Schlimme an einem Aufenthalt bei den Verfolgern, wenn er zu lange ausfiel, dann schlich sich immer mehr die Erkenntnis in einen, dass die Ideologie der Verfolger die richtige war. Die Foltern und Misshandlungen der Verfolger sollten einen nicht einmal dahingehend beeinflussen, sie waren vielmehr nur zur Qual gedacht und dazu, langsam den Tod zu bringen. Warum man seine Einstellung änderte, wenn man zu lange in Gefangenschaft war, war ein Phänomen, das den Geretteten heute nicht ganz klar war. Vielleicht war es eine Komponente der Strahlenbehandlungen, die einem zugefügt wurden, oder aber der Aufenthalt in diesem Teil des Landes verbrannte einem mit der Zeit das Denkzentrum. Jedenfalls hatten viele, die die kristalline Wüste überlebten, den Verstand verloren. Das war oft aber auch erst nach Jahre n geschehen. Ob durch eine Folge der Behandlung oder durch eine innere Wandlung war immer noch strittig, allerdings nahm man heute an, dass letzteres die wahre Ursache war.

Ein Keuchen liess Trim zusammenzucken. In seiner nächsten Nähe bewegte sich einer der Felsbrocken, ein grosser kristalliner Brocken löste sich und rollte auf ihn zu. Trim konnte gerade noch ausweichen, dann krachte der Kristall auch schon gegen die Wand auf der anderen Seite. Zitternd kam er zum Stillstand. Langsam näherte sich Trim dem Stein und blickte in den Kristall, der die Gestalt eines sehr grossen Diamanten hatte.

Und er sah einen Schemen darin erscheinen, der langsam größer wurde, sich drehte, wie eine Galaxisspirale an den Enden zu zerfasern begann. Dieser Schemen verdrehte sein Gehirn, wickelte sich um seine Gedanken und verdrängte alles, was an bewusstem Denken noch in seinem Gehirn Platz hatte. Für einen Moment erkannte Trim, was vorging, erkannte die dritte Macht, die sich in seine Gedanken stahl, erkannte die Worte von Gestaltern, die seine Gedanken so völlig vereinnahmten wie es nicht einmal die Foltern der Verfolger gekonnt hatten. Er driftete ab in eine neue Welt, die neue Erkenntnisse beinhaltete, und begann zu begreifen.

Nach langer Zeit wurde er von der Spirale freigegeben, die ihn in eine neue Welt entliess. Mehr und mehr verstand er, was er tun musste. Er sammelte einige Gesteinsbrocken und sammelte sie an einem höhergelegenen Ort, dann versteckte er sich. Wartete auf die Verfolger, die immer näher gekommen waren und durch seinen kurzen Blackout sicher schon ganz in der Nähe eingetroffen waren.
Sein Warten wurde belohnt. Der hagere Körper eines Verfolgers erschien, die dunkle Gestalt verharrte kurz im Schatten eines Felsens und blickte sich gehetzt um. Dann näherte sie sich langsam der Senke, über der Trim lauerte. Als er sie erreicht hatte, traf ihn vollkommen unvorbereitet der Stein des Geretteten, zerschmetterte die dünne Schale seines Kopfes und zerriss wichtige Nervenbahnen in seinem Hals. Er knickte ein, fiel auf das Gesicht und spürte schon nicht mehr den Aufschlag. Über ihm erhob sich der schlanke Körper des Trim, einen Stein über den Kopf gestemmt und gespannt auf eine Bewegung des Verfolgers wartend. Nichts jedoch geschah.

Der Einfluss löste sich von dem Geretteten, er liess den Stein einfach fallen und rannte weiter durch die Dunkelheit. Als die Verfolgern sein Opfer fanden, war er schon weit fort.
Vier der Verfolger umstanden den Körper mit dem zerschmetterten Schädel. Keiner sprach, alle schauten nur auf den Gefallenen. Schliesslich hob einer den Kopf und nickte langsam. Die anderen schauten ihn kurz an und verstanden. Sie drehten sich wie auf ein Kommando um und gingen zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Er würde zurückkommen. Und selbst wenn nicht, würde er tun, was immer nötig war, um den Verfolgern Gerechtigkeit zu verschaffen. Trim war zu einem der Ausgestoßenen geworden. Er wusste es nur noch nicht.
Trim erreichte die Stadt der Geretteten im Morgengrauen. Mit ihm kam der Tod.

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