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Der Schlund der Hölle
In der Nähe des Godwana-Systems...
"Wie der Schlund der Hölle. Dort sollen wir hineinfliegen? Ihr Godwaner
seid und bleibt Hasardeure, ungebildete Kinder!"
Alaric schluckte. Er mußte die Kritik der schönen Unbekannten hinnehmen.
Sie hatte ja recht. "Du magst recht haben, Kim. Vielleicht ist die AURIS-Crew
wirklich kindlich neugierig."
Nachdenklich betrachtete die weißhaarige Schönheit mit den faszinierend
rotgrünen Augen den Commander.
"Aber trotzdem die Frage an dich, Alaric: Wieso fliegt ihr ohne ausreichende
Forschungen in das Wurmloch?"
"Weil es dort ist, nur wenige Quadranten entfernt vom Godwana-System."
Kim Trogar lachte lauthals hinaus: "Genau diese Antwort habe ich von euch
Barbaren erwartet. Dafür liebe ich euch und fliege mit in den Schlund
der Hölle. Was wäre ein High-Tech bestimmtes Leben ohne das Abenteuer.
Auch ich, die Frau ohne Gedächtnis, die ihr im Zentrum der Galaxis aufgefischt
habt, ist eine Godwanerin."
Kim, die wissenschaftliche Beraterin und Astronomin der AURIS, lachte immer
lauter und steckte die ganze Zentrale des Diskusraumers damit an.
Auch Alaric lachte und tauschte mit Miranda Tetin, der Navigatorin, einen
Blick aus, der soviel bedeutete wie: eine gute Psychologin, diese Unbekannte.
Langsam ebbte das Gelächter ab. Die Spezialisten in der Zentrale konzentrierten
sich auf das kosmische Geschehen. In der holographischen Bildkugel, die eine
phantastische Rundumsicht zeigte, bildete sich ein unglaubliches Gebilde ab.
Ein Wurmloch, das sich spiralförmig zu einem bodenlosen Trichter öffnete.
"Vinc, wie weit bist du mit der hyperpysikalischen Scannung?"
"Eben fertig, Alaric. Der Computer generiert das Ergebnis zu einer Graphik
um und leitet sie auf die Bildkugel."
Auf der Bildkugel war plötzlich ein Tunnel zu sehen, der sich an den
bodenlosen Schlund anschloß und zu einem ähnlichen Gebilde irgendwo
im Universum führte. Aber der Computer wußte nicht zu sagen, WO
dieses andere Wurmloch rotierte. In einer anderen Galaxis, einem Paralleluniversum
oder im Nichts...?
Alle Zentralemitglieder starrten auf den Commander. Wann gab er den Startbefehl?
Alaric von Aurisgaard nahm Platz im Pilotensessel. Er flog persönlich
die AURIS. Seine Finger huschten über die Konsole der Fluginstrumente
und gaben Lichtquantenimpulse an die Flächenprojektoren weiter, die an
der Außenseite des Diskusraumers angebracht waren. Der Antigravantrieb
wurde aktiviert.
Die AURIS raste mit hoher Geschwindigkeit auf den Trichter zu. Die gesamte
Besatzung des Raumers war in ihre Sessel festgeschnallt. Zusätzlich würde
der Computer die automatische Kontrolle des Schiffes übernehmen und die
Menschen in Stasisfelder hüllen, falls es erforderlich werden würde.
Heftige Erschütterungen durchliefen die AURIS. Ein ohrenbetäubender
knirschender Laut hallte durch das Schiff, das, wie von einer riesigen Hand
gepackt, hin und her geschüttelt wurde. Ein ungeheurer Druck lastete
auf den Gliedern der Menschen, der sie fest in die Pneumosessel drückte.
Auf dem Monitor des Eliteschirmes zeigte sich mittlerweile eine Belastung
von 97 %. Wenn das Energiefeld zusammenbrach, würde die AURIS in Atome
aufgelöst werden.
Die Bildkugel flackerte, brach zusammen und baute sich wieder auf. Sie zeigte
Holos von fremden Sternen und Galaxien, wirbelnde Strukturen. Danach brach
die Bildkugel wieder zusammen. Totale Finsternis hüllte die AURIS ein.
Hallende Schreie durchzogen das Schiff. Die Schreie schienen aus dem Nichts
zu kommen. Danach das NICHTS...
Alaric blickte an sich hinunter. Der Schreck fuhr ihm in die Glieder. Ungläubig
sah er auf seine Hände, die jünger und glatter wurden. Alaric spürte,
wie ihm ein kalter Schauer über den Rücken kroch. Die Furcht vor
dem Unfaßbaren überkam ihn, nagte an seiner Seele. Der Irrsinn
war nahe! Ein dunkles Ungeheuer kam auf ihn zu und hüllte sein Bewußtsein
ein, schien es zu verschlingen. Die letzten Fetzen des bewußten Denkens
kämpften einen einsamen Kampf gegen die Macht des dunklen Ungeheuers,
das alles bewußte Denken aufzulösen suchte. Das Nirwana des Unbewußten,
kam dem immer näher, was noch von seinem persönlichen Ich übrig
war. Dieses kleine Restbewußtsein 'Alaric' gab nicht auf, es wollte
leben!
Es konzentrierte sich trotz schockartig immer wiederkehrende Wellen des Irrsinns,
das auch dieses kleine Licht in der Finsternis auslöschen wollte und
kämpfte um das nackte Überleben. Es spürte nicht, wie der Körper
Adrenalinstöße durch seine Adern jagte und das neuronale Netzwerk
seiner Nervenzellen zur Höchstleistung animierte. Das kleine Licht, jener
Rest des persönlichen Ichs des Godwaners Alaric, sah in der bodenlose
Schwärze des Nirwana ein sonnenhelles Licht aufgehen. Verzweifelt klammerte
er sich daran fest. Unbemerkt schuf er einen mentalen Faden, an dem er sich
hochzog, wie ein Bergsteiger an seinem Seil. Immer näher kam das Licht,
es zog ihn an wie eine Motte das Licht. Dann hatte er es erreicht. Blendende
Helligkeit nahm ihm die Sicht, aber er hatte es geschafft. Sein Bewußtsein
hatte sich wieder zusammengefügt zu einer Einheit. Er hatte den alles
verschlingenden Irrsinn besiegt, der ihn verbrennen wollte, wie die Sonne
den Schnee. Er kam aber nicht dazu aufzuatmen, denn der bohrende Kopfschmerz
machte aus seinen Kopf einen schwirrenden Bienenstock. Tausend kleine Teufel
schienen ihn quälen zu wollen, ihre kleine Dreizacke stachen immer wieder
auf ihn ein.
Langsam ebbte der Marter ab, als ein weiterer Adrenalinstoß die gepeinigten
Nervenzellen langsam beruhigte. Die Schmerzen wurden immer weniger und langsam
lichtete sich der nebelartige Schleier vor seinen Augen. Alaric folgte einem
inneren Impuls und blickte auf, sein Blick war wieder klar.
Vor ihm stand seine leibhaftige Mutter. Verstört blickte er um sich.
Er fand sich in seinem Kinderzimmer wieder. Überall lagen Raumschiffmodelle
herum, mit denen er immer so gerne gespielt hatte.
"Hast du schlecht geträumt?" Die vertraute Stimme seiner Mutter drang
an sein Ohr. Alles wurde so leicht. Er hob seinen Arm und streckte ihn seiner
Mutter entgegen. Als seine Hand sie berührte, zuckte er zurück und
spürte einen stechenden Schmerz in seinen Fingerspitzen.
Verwirrt nahm er wahr, daß seine Hand eine verschmorte Leitung in der
Zentrale der AURIS berührt hatte und er einer Vision seines Unterbewußtseins
erlegen war. Einer Vision, die so täuschend echt gewesen war, daß
er immer noch zweifelte, was nun Fiktion und was Realität war.
Neben ihm regte sich Miranda Tetin und Kim Trogar. Die anderen Besatzungsmitglieder
unterlagen anscheinend immer noch Visionen, denn sie lagen besinnungslos in
ihren Sesseln. Nur ihre Augen bewegten sich unruhig hin und her.
Alaric blickte auf die Instrumente. Alle Anzeigen schienen zu funktionieren.
Die Systeme wurden von der Automatik und dem Computer gesteuert. Die Automatik
hatte die Kontrolle übernommen als die Menschen besinnungslos wurden.
Stasisfelder hatten die Besatzung vor schlimmen Verletzungen geschützt.
Der Oszillo der Antigravprojektoren zeigte wüste Ausschläge, die
bis an die Grenzen der Belastbarkeit der AURIS gegangen waren. Der Eliteschirm-Monitor
zeigte Belastungen bis zu 120%. Aber das Anti-Energiefeld hatte gehalten.
Die Zentrale-Mitglieder erwachten nach und nach aus ihrem Dämmerzustand.
Nach einigen Minuten waren auch die Letzten erwacht.
Alaric handelte: "Hier der Commander! Alle Abteilungen und Zentralen - Generalcheck
und Meldung an die Hauptzentrale!"
Während an dem Generalcheck des Diskusraumers gearbeitet wurde, kümmerten
sich Medorobots um die Verletzten und brachten die Schwerverletzten in die
Bordklinik. Die Leichtverletzten wurden an Ort und Stelle von den mobilen
kybernetischen Medoeinheiten versorgt.
Auch Alaric wurde versorgt. Er hatte starkes Kopfweh und seine Verbrennung
wurde von einem 'Medo' behandelt. Der Bildschirm, der die Bordklinik abbildete,
zeigte hektische Aktivität. Der Bordarzt war längst wieder bei seiner
Arbeit. Die Medo-Robots hatten ihn und seinem Team, das glücklicherweise
nicht verletzt wurde, längst aufgeweckt.
"Manu! Hier Alaric. Wie sieht es bei euch aus?"
„Gar nicht so schlecht. Der Computer hat mit seinen Stasisfeldern das schlimmste
verhindert. Fünf Schwerverletzte und etwa zwanzig Leichtverletzte, aber
keine Toten. Wir haben inzwischen alles unter Kontrolle."
"Danke, Manu, ihr leistet wie üblich hervorragende Arbeit."
Alaric sah im Holo des Maschinenraums, daß dort ebenfalls unter der
Leitung des Maschineningenieurs Arc Doorn, das Technik-Team an der Arbeit
war.
"Arc, wie sieht es bei Euch aus?"
"Der Computer hat uns fast die Arbeit abgenommen mit seinen Stasisfeldern.
Diese erst vor kurzem entdeckten Energiefelder haben alle wichtigen Geräte
und Aggregate abgeschirmt. Die Folge ist, daß wir fast keine Arbeit
haben. Wenn du mich fragst, können die Blechkameraden in Zukunft ganz
unsere Arbeit übernehmen. Ich beantrage hiermit meine Pension und proklamiere
eine 41er Regelung."
Schallendes Gelächter im Maschinenraum und der Zentrale waren die Folge.
Auch Alaric konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
"Ich glaube, die finanziellen Mittel des Aurisgaard-Clan reichen für
die Frühpension nicht aus." Daraufhin steigerte sich das Gelächter
in den beiden Zentralen zu einem Orkan.
"Aber nun Spaß beiseite, Arc!"
"Okay, Schiffzustand etwa 60%. Wir sind in der Lage, die gute alte Lady wieder
mit Bordmittel auf 100% Schiffszustand zu bringen. Durch die Stasisfelder
gab es zum Glück keine wirklich schweren Zerstörungen."
"Danke, Arc", Alaric hörte diese beruhigende Nachricht sehr gerne. "Vinc
und Miranda, bestimmt bitte unsere Position. Noch immer zeigt die Bildkugel
kein Bild. Kim und Echri, helft bitte den beiden und klärt ab was geschah,
als wir das Wurmloch passierten und vor allem, wo wir sind."
"Ich eile, Alaric", meinte die Geheimnisvolle und verschwand in die Astroabteilung,
die ab jetzt eng mit dem Orter Vinc Grappa und dem Computer zusammenarbeiten
würde. Ein Ergebnis war von diesen hervorragenden Spezialisten dank der
godwanischen Supertechnik sehr schnell zu erwarten.
Einige Zeit verstrich, immer noch war die Bildkugel inaktiv. Alaric nutzte
die Zeit, um die einzelnen Abteilungen durch einen ständigen Infoaustausch
mit der Hauptzentrale noch stärker anzuspornen. Dann kam der ersehnte
Augenblick. Die Bildkugel arbeitete wieder. Das Ergebnis der Astro- und Navigationsabteilung
wurde vom Computer verarbeitet und auf die Bildkugel generiert.
Unter der AURIS rotierte ein Spiralgebilde, das sich trichterförmig nach
unten verjüngte. Dieser Schlund dort unten mußte die AURIS regelrecht
ausgespien haben. Die Automatik hatte die Restfahrt benutzt, um einen sicheren
Orbit um das Wurmloch einzunehmen. Kim Trogar meldete sich.
"Kim, wo sind wir?" Die Bordastronomin war blaß. "Alaric, ich schalte
unsere Ortungsergebnisse auf die Bildkugel."
Alle starrten auf die sich verändernde Bildkugel. Das Wurmloch verschwand
und machte einem überraschenden Bild Platz, das alle anwesenden Personen
in Staunen versetzte.
"Herrschaften, wie ihr alle sehen könnt, befinden wir uns im Leerraum,
besser ausgedrückt: am Rande der Galaxis", war Kim Trogar zu vernehmen.
"Arc, ist eine Rückkehr nach Godwana mit den Treibstoffreserven möglich?"
Der Bordingenieur meldete sich über Bordkom.
"Kein Problem, Alaric!"
"Vinc, wo bleibt die Fernortung? Ortest Du die END OF HUNGAI?"
"Leider nein", meldete sich der Orter Vincenco 'Vinc' Grappa. "Aber ich versuche
es weiter."
"Gut, Vinc."
"Commander! Soeben ging ein Hyperfax von Godwana ein. Sie sollen umgehend
nach Godwana zurückkehren. In der Familie gibt es Probleme. Theodor ist
anscheinend durchgedreht und will mit einer Privatjacht und mit seiner kybernetischen
Intelligenz Kytheo, die LSF-021 jagen!" meldete der Hyperfunkspezialist Glenn
Morris.
"Verdammter Irrer! Okay, Miranda, nimm Kurs nach Godwana. Du hast das Vergnügen,
bald wieder deinen Freund Theodor zu sehen. Du freust dich doch sicher schon
darauf - oder?" Aber Miranda verzog nur süßsauer das Gesicht, während
die Zentrale-Mannschaft in Gelächter ausbrach.
Die AURIS nahm Kurs auf Godwana.
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