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Heimstatt
Frankfurt, Brokerhaus VAN BERGH, Ende Oktober 1998
"Adrian, ich werde dich verlassen!"
Marianna van Bergh sah ihren Mann an, der konzentriert aber auch
mit verbissenem Gesichtsausdruck auf das Geflimmer der Monitorwand im großen
Transaktionsraum starrte. Im Raum selbst arbeiteten vierzig Aktienhändler
an ihren Computerarbeitsplätzen. Schon heute, am Beginn der Sitzung,
war totale Hektik. Die Weltbörsen spielten verrückt. Tokio hatte
an diesem Oktoberfreitag bereits mit einem Tagesverlust von 20 % den Börsentag
begonnen. Jetzt überrollten riesige Aktienverkaufswellen die
Börsen von Frankfurt, London und Zürich.
"Verdammt, Marianna störe mich nicht. Siehst du denn nicht,
was an den Weltbörsen los ist?
"Wie, was hast du gesagt?" Adrian van Bergh realisierte erst jetzt
die Bemerkung seiner Frau.
Er starrte sie an. Dort stand sie vor ihm hochgewachsen, schlank
und athletisch trainiert. Ihre braune Haaren trug sie in einer modernen
Kurzhaarfrisur. Sie trug einen blauen Overall und eine blaue Jeanshose.
Von dem Luxusgirl vor einigen Jahren war nichts mehr übrig geblieben.
"Wohin willst du gehen?" fragte er stockend.
"Dorthin wo mich die Organisation schickt!"
"Verdammt Marianna, höre mit diesem Unsinn auf. Wir reden heute
abend, beim Italiener, ja?"
"Oh Adrian, du hast überhaupt nichts verstanden!"
"Was soll das schon wieder?"
"Sieh dich um großer Brokerboss! Deine Millionen beginnen ab
heute sich aufzulösen. Dein Lieblingsobjekt - Geld - das dir schon
immer wichtiger als ich war, löst sich auf wie der Nebel im
Sonnenstrahl."
"Marianna, höre auf! Lasse deine nebulösen Andeutungen. Sage
mir lieber welche 'Organisation' du meinst? Die 'Neuen Amazonen'? Ich meinte
bisher, sie sei nur eine Kampfsportschule mit esoterischer Ausrichtung.
Von einer 'Organisation' wußte ich noch nichts!"
"Adrian! Da heute das Ende der 'Dunkelmächte' beginnt, spielt
es keine Rolle, wenn du einige Aufklärungen von mir bekommst.Du hast
immer geglaubt, daß meine zweijährige Kampfausbildung bei den
'Neuen Amazonen', nur ein Splin von mir sei, gewissermaßen eine Reaktion
auf den Überfall der beiden Verbrecher kurz zuvor. Anfangs war es
auch so. Ich freute mich, daß ich einige asiatische Kampfsportarten
zur Selbstverteidigung lernen konnte, dann erkannte ich allerdings die
esoterische Dimension, die hinter der Fassade der Kampfsportausbildung
stand. Die 'Neuen Amazonen' locken mit ihrem sportlichem Angebot, Interessierte
zu sich und selektieren die besten für sich. Dahinter steht eine mächtige
esoterisch ausgerichtete Bewegung, die 'Kämpfer für Shamballah'
sucht. Nun einige von den 'Neuen Amazonen', wie zum Beispiel ich, eignen
sich dafür und wir wurden rekrutiert."
Adrian seufzte.
"Hör mal Marianna, ich habe nichts gegen deinen esoterischen Spleen
oder deine sonstigen Hobbys, denn sie dienen wohl auch dazu, davon abzulenken,
daß du keine Kinder haben kannst. Ich habe dafür wirklich Verständnis,
aber DIESEN Unsinn über die Rekrutierung als 'Kämpfer für
Shamballah' ist wohl der größte Irrsinn, den ich je gehört
habe. Deinen neuerlichen Splin KANN ich nicht mehr akzeptieren. Rufe sofort
Dr. Hohlbein an!"
Marianna war nach dieser Reaktion ihres Ehemannes nicht mal beleidigt.
Vielmehr sah sie Adrian an, wie eine Mutter ihren ungezogenen Sohn ansah.
"Das ist mal wieder typisch für dich Adrian. Alles was über
deinen beschränkten Horizont geht, negierst du und bezeichnet es als
Irrsinn, ja du legst mir nahe, sogar den Psychiater zu konsultieren.
Adrian! Unsere Beziehung ist in den letzten drei Jahren, sowieso auf
den Nullpunkt gesunken. Uns trennen inzwischen sowohl körperlich als
auch geistig Welten. Die herkömmliche Ehe ist überholt und wir
müssen neue Wege finden. Es gab in den acht Jahren unserer Ehe, auch
fünf schöne Jahre. Ich habe sie nicht vergessen. Trotzdem war
dies nur EIN Abschnitt meines Lebens. Warscheinlich hatten uns alte karmische
Fäden noch aneinander gebunden. Diese Zeit ist vorbei, unsere Wege
müssen sich jetzt trennen.
Frage mich nichts mehr. Ich kann dir im Moment nur noch mitteilen,
daß wir 'Krieger von Shamballah' die Dunkelmächte mit ihren
eigenen Waffen schlagen. Gewissermaßen treiben wir den Teufel mit
dem Beelzebub aus. Heute ist der Beginn eines NEUEN ZEITALTERS. Denke an
meine Worte, Adrian!
Zum Schluß noch ein guter Rat. Wenn dein altes Weltbild endlich
am Punkt Null angelangt ist, dann denke an deinen Freund, Markus Berger,
den du so spöttisch 'Guru von der Alb', nennst. Immerhin hast du in
sein Projekt HEIMSTATT, fünf Millionen US Dollar gesteckt. Eine weise
Entscheidung! Gehe dann zu ihm! Er hat zwar nichts mit uns zu tun, wenigstens
nicht direkt, denn wir sind die Zerstörer des Alten Denkens und er
ist ein Aufbauer für das Neue Zeitalter. Wir sind beide die Seiten
einer Medaille, nur ahnt dies der gute Markus, in seinem idealistischen
Tatendrang nicht. Und nun Adrian, lebe wohl! Vielleicht führen uns
die Schicksalsmächte nochmals zusammen!"
Marianna van Bergh gab ihrem Mann noch einen flüchtigen Kuß
auf die Wange und verließ dann den großen hektischen Büroraum,
ohne sich nochmals umzudrehen.
Adrian saß da wie angewurzelt, total perplex. Noch lange saß
er bewegungslos in sich zusammengesunken und merkte erst auf, als ihn Olav
Dorffmann, der Chefhändler anstieß.
"Heh, Adrian, schläft du? Was wollte deine Frau? Bei dieser Hektik
war kein Wort zu verstehen. Aber es spielt auch keine Rolle, um uns geht
unsere Welt in die Brüche und deine überdrehte Frau plagt dich
mit ihren Problemchen!"
"Olav! So darfst auch du, mein väterlicher Freund nicht über
Marianna reden! Seis drum, zu deiner Kenntnis, sie hat mich eben verlassen!"
"Nimm dies nicht ernst, Adrian. Sie war doch schon in Behandlung von
Dr. Hohlbein. Rufe ihn an, er solle sich um sie kümmern."
"Olav, du hast mich nicht verstanden. Sie hat mich wirklich verlassen!"
Adrian sagte dies in einem verzweifelten Tonfall.
Olav Dorffmann bemerkte den verzweifelten Ernst seines Freundes und
Chefs. Am liebsten hätte er ihm empfohlen nach Hause zu gehen, aber
heute war dies nicht möglich.
"Adrian. Ich trauere mit dir, aber entschuldige, es gibt noch Wichtigeres.
Immerhin geht es um die wirtschaftliche Zukunft von über achtzig Mitarbeiter.
Du mußt retten was noch zu retten ist!"
Adrian sah die Sorge und die Verzweiflung in den Augen seines Freundes
und erkannte, daß die Welt nicht nur aus seinen privaten Problemen
bestand. Er raffte sich auf.
"Olav du hast recht! Entschuldige, aber was ist eigentlich los? Ich
weiß nur, daß die wichtigsten Zentralbanker heute Nacht in
ihrer Tokioter Sitzung sich entschlossen haben, trotz der weltweiten Rezession
und sinkender Inflation, die Zinsen weltweit um 2,5 Prozent zu erhöhen."
"Verdammt, das ist Selbstmord. Wie konnten sie eine solche Entscheidung
treffen? Sie mußten doch wissen, daß bei einer tendenziell
sinkenden Börse, dies tödlich sein muß. Und wieso hat mein
Vater uns nicht gewarnt. Er ist als Bankchef einer großen New Yorker
Bank mit allen wichtigsten Zentralbanker befreundet. Sie hätten ihn
warnen müssen!"
"Ich verstehe das auch nicht. Scheinbar haben ihn diese 'Freunde' schmählich
verraten. Nicht die kleinste Information sickerte durch, erst als der Tokioter
Börsenmarkt eröffnet hatte, sickerte der Zentralbankbeschluß
der G7 durch, dann war die Hölle los. Adrian, du weißt doch,
daß ich von den herkömmlichen Verschwörungstheorien nichts
halte, aber dieses Verhalten erinnert mich an eine Verschwörung. Es
ist gerade so, als würden die wichtigsten Finanzmänner unseres
Planeten mit Absicht Harakiri betreiben. Unheimlich!"
Adrian schoß die nebulöse Bemerkung von Marianna durch den
Kopf: 'die Krieger von Shamballah werden die Dunkelmächte mit
ihren eigenen Waffen schlagen. Heute ist der Beginn eines Neuen Zeitalters!'
Er fröstelte plötzlich. Eine unheimliche Kälte durchzog
zuerst sein Denken und breitete sich dann in seinem ganzen Körper
aus. Etwas Dunkles schien sich in seinem Bewußtsein auszubreiten.
Er hatte die unheimliche Empfindung, daß der Raum um ihn versank.
Eine dunkle ätherische Erscheinung stand neben ihm. Sie berührte
ihn. Er fuhr zusammen und hörte ein böses Lachen in sich.
"Raimond! Die Zeit ist reif! Jetzt beginnt die Rache! Auch du sollst
leiden wie ich Jahrhunderte durch deinen Verrat litt."
Die unheimliche Gestalt löste sich auf wie Rauch und hinterließ
einen fauligen Geschmack.
Adrian fror erbärmlich und fühlte, wie sein Denken immer
schwerer wurde. Dann war da nur noch gnädige Dunkelheit.
"Heh, Adrian, was ist mit dir los? Verdammt, jetzt hat er einen Nervenzusammenbruch.
Herr Teichmann, bitte sorgen Sie dafür, daß der Chef sofort
in das Krankenhaus eingeliefert wird. Ich muß versuchen zu retten,
was noch zu retten ist.
Mein Gott, unser Finanzsystem bricht zusammen....."
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