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Der Jäger

Die Lider öffneten sich langsam. Etwas hatte seinen Jagdinstinkt geweckt. Er nahm Witterung auf. Eine Mischung aus Organisch-mentalem versprach nach langer Zeit seinen Speiseplan mit Abwechselung zu versehen. Zuerst lokalisierte er seine Beute. Noch war das Festmahl nicht nah genug heran, also hatten seine Instinkte frühzeitig angesprochen und hatten trotz der langen Ruhezeit nichts von ihren Fähigkeiten eingebüßt.
Die Starre fiel von seinem Körper ab. Ein leichtes Zittern durchlief den sumpfigen Morast, wo er sich so lange zur Ruhe zurückgezogen hatte. Durch diese plötzliche Veränderung aufgeschreckt, verstummten die Geräusche in der Umgebung. Unruhe bereitete sich aus. Erste Federflieger erhoben sich unter lautem Protestgeschrei. Sie schwangen sich von den moosbewachsenen Äste hinauf in die Baumkronen. Wie bei einem Stein, der ins Wasser fällt und Kreise bildet die sich ausdehnen, so wurden die Signale von Federflieger zu Federflieger weitergereicht. Gebannte Stille trat ein.

Mühsam bahnte sich der Prospektorentrupp einen Weg durch die dschungelartigte Landschaft. Die dicht stehenden Gewächse mit ihren langen querverwachenden Lianen erschwerten das Vorwärtskommen. Damit nicht genug, hatten die Prospektoren ihre Probleme mit der erhöhten Schwerkraft. Längst hatten sie sich mit schicksalshafter Gleichmut mit der unangenehmen Luftfeuchtigkeit und den lästigen Insekten abgefunden.
"Prospektorenleben war ein hartes Leben", diese Erkenntnis hatte sich schon früh in der Raumflotte durchgesetzt. "Kurskorrektur! Wir müssen uns weiter in nordöstlicher Richtung halten" erklang es von Spencer. Der Pilot brummte etwas, was wie Zustimmung klang und lenkte den Hooverprallfeldgleiter in die vorgeschlagene Richtung. Zum Team von Spencer, der Truppführer von Hoover 2 war, zählte neben dem Piloten Bell noch der Oldi Linder. Dies entsprach der üblichen Besatzung eines Hooverprallfeldgleiters. Team Spencer bildete das Vorauskommando. Alle halbe Stunde wechselten sie sich mit dem nachfolgenden Hoover ab, der dann die Führung übernahm. Abermals drosselte Bell die Geschwindigkeit. Die Bäume standen dichter, zunehmendes Dickicht erschwerte die Fahrt.
Der Oldi beugte sich noch vorne und gab damit seine lässige Haltung auf. "Jungs die Augen offen halten!".
Mehr brauchte er nicht zu sagen, denn schon ein paar Mal waren es die Empfehlungen eines alten Prospektoren gewesen, die rechtzeitig vor Gefahren gewarnt hatten. Aufmerksamkeit bestimmte nun das weitere Handeln. Nach links und rechts sichernd, hielten sie ihre Strahlgewehre bereit.
Gesprächigkeit war keine der üblichen Eigenschaften, die einen Prospektoren kennzeichneten. Vor allem dann nicht, wenn sie bei einem Auftrag wie diesen, ihre Haut aufs Spiel setzten. Truppführer Spencer kontrollierte noch einmal die Anzeigen seines Detektors, verglich die Werte mit den Zielkoordinaten. "X -3200" kam von ihm eine knappe Entfernungsangabe. Mit dem Handrücken wischte er sich den Schweiß aus der Stirn. Bis zur Fundstätte war es nicht mehr weit.

Der Bedarf an Ressourcen einer rasant wachsenden Sternennation war nahezu unermesslich. Neben den wichtigen Rohstoffen, die für Flottenbau- und Siedlungsprogramm benötigt wurden, galt es auch die Versorgung der zunehmenden Bevölkerung zu decken. Mit Hilfe der Gen-Forschung und gezielter Züchtung war es längst nicht mehr getan. Die hergestellten Nahrungsmittel riefen auch unterschiedliche Sensibilisierungen und "Nebenwirkungen" hervor.
Von den Wissenschaftlern der Ökotrophologie wurden neue Proteine als neue mögliche Bausteine in der Nahrungsproduktion benötigt. Diese Notwendigkeit war es auch, die den Auftrag der Prospektoren bestimmte. In dem markierten Zielgebiet sollte eine beträchtliche Menge an Proteinen und organischem Material vorhanden sein. Wie diese Fundstätte beschaffen war, hatten weder Wärmebilder noch Planetenscann eindeutig sagen können.
In solchen Fällen wurden Prospektoren eingesetzt. Ihre Aufgabe war klar und dürftig formuliert: Fundstätte aufsuchen, Proteinbasis finden und sicherstellen. Die Wissenschaftler brauchten Proben der Proteine. Würden die ersten Testergebnisse positiv verlaufen, so würde der Bedarf über ein paar Probeexemplare hinausgehen.

Er glitt langsam von seinem Ruhelager. Er erkannte, dass ein Ortswechsel erforderlich war, um eine günstige Stelle für einen Hinterhalt zu finden. Die Beute bewegte sich weiterhin in seine Richtung. Waren die ersten Bewegungen noch mühsam, so schob er sich Meter um Meter eleganter durch den sumpfigen Morast. Muskeln streckten und zogen sich zusammen. Krallenbewährte Läufe wühlten sich durch den nachgebenden Untergrund. Die Stille der Federflieger hielt an. Gluckend und glucksend zerplatzten Luftblasen an der Oberfläche.
"Beute" hämmerte es im schuppigen Echsenschädel. Mühsam den Nahrungstrieb unterdrückend, war er darauf bedacht ohne weitere Unruhe zu verursachen, sein Ziel zu erreichen. Hier war die geeignete Stelle. Ein unterirdischer Flusslauf trat an die trübe Oberfläche. Überhängende Äste, Lianen und Moose überwucherten einen Teil des braunen Wassers und gaukelten so einen festen Untergrund vor. Er ließ sich auf den Grund sinken, der nicht besonders tief lag. Mit wachen Sinnen verfolgte das Wesen das Herannahen der Beute. Magen und Verdauungstrakt zogen sich beim bloßen Gedanken an die Nahrung zusammen. Flüssigkeiten wurden freigesetzt.

Ein schabendes Geräusch entstand, als sich der Oldi über das Kinn fuhr. "Gefällt mir nicht ..." brachte er zwischen zusammengekniffenen Augen hervor. Auf den fragenden Blick von Spencer fügte er an "...diese plötzliche Ruhe." Er ließ den Fernbildverstärker achtlos in die Ausrüstungsbox zurückgleiten, denn dampfige Schwaden und geringe Lichtverhältnisse hatten ihn nutzlos werden lassen. Noch war von dem Zielgebiet nichts zu erkennen. Die Landschaft glich derer, die sie schon seit Stunden durchgequert hatten. Es waren keine wesentlichen Unterschiede auszumachen.
Durch die Verzögerung der Vorauskommandos war das zweite Team aufgeschlossen. Die Entfernung betrug weniger als 20 Meter. Ein kurzer Blick des Alten zurück, veranlasste den nachfolgenden Piloten etwas Geschwindigkeit herauszunehmen. Langsam fiel der zweite Hoover zurück.
Ein lautes Knacken erklang. Die Köpfe fuhren herum, die auf den Sicherungshebeln liegenden Hände klickten die Waffen auf Feuerbereit. Die Prospektoren veränderten ihre Haltung, verlagerten ihr Gewicht und stützten sich für ein möglichen Rückstoß ihrer Strahlgewehre ab.

Lautes Flügelschlagen erklang, als sich ein ganzer Schwarm Federflieger aus dem Geäst löste. Die plötzlich eingetretene Stille war nahezu schmerzhaft. Im ersten Moment wagte niemand zu atmen. Jeder erwartete einen überraschenden Angriff. Nichts geschah. Hastig hoben und senkten sich die Brustkörbe mit den Atemzügen.
Adrenalin wurde reichlich in die Blutbahnen freigesetzt und wartete auf eine Umsetzung. Trotzdem verharrte alles in einer erwartungsvollen Stille. Nur langsam baute sich die Spannung ab.
Ein erneutes Knacken mit einem nachfolgenden dumpfen Knirschen ließ die Prospektoren in die andere Richtung herumfahren. Wieder wurde ein fester Halt gesucht. Wieder verengten sich die Augen um möglichst schnell über die Visiereinrichtung ein mögliches Ziel aufzunehmen. "Sichert nach beiden Seiten. Das riecht mir zu sehr nach einer Falle" mit diesem lauten Kommando war der Oldi sogar auf dem nachfolgenden Hoover zu hören.

Nun folgte eine Reihe weiterer Geräusche. Bewegung entstand. Schwerfällig senkten sich einzelne Baumriesen in ihre Richtung. Zuerst völlig geräuschlos, dann aber mit einem Bersten und Krachen, als sich die Stämme einen Weg durch das Unterholz bahnten. In diese plötzliche Veränderung hinein, schlängelten und bewegten sich unzählige Schatten auf sie zu. Schwere Strahlschüsse erklangen. Erste Treffer verwandelten schuppige Rücken in rote Lachen. Hier und da erstarb eine Bewegung.

Nun aber tobte es rundherum. Aus der Tiefe des Morastes sprangen Kreaturen in unmittelbarer Nähe auf. Krallen kratzten über die verstärkten Seitenwände der Hoover und brachten sie in ein seitliches Schlingern. Ein rasche Folge weiterer Explosionen kündete vom verzweifelten Bemühen der Prospektoren sich ihrer Haut zu erwehren.
Jetzt brach der Sturm erst recht über sie los. Das braune Wasser brodelte und zischte. Mitten in diesem Chaos versuchte der Oldi einen Überblick zu behalten. "Fluchtkurs voraus" brüllte er aus Leibeskräften dem Piloten zu. Sofort verwandelte er in rascher Folge neue Ziele in blubbernde Haufen. Mit einem heftigen Satz schoss der Hoover vorwärts. Zuerst noch völlig unbemerkt von dem nachfolgenden Fahrzeug. Dann aber versuchte dieses den Anschluss nicht zu verlieren. Unbewusst hatte sich der Erkundungstross in die Zielrichtung weiterbewegt.

Immer wieder sandte er seine mentalen Impulse zu den Hirnen der niederen Wesen. Es bedurfte nur einer geringen Einflussnahme und schon folgten sie seinen Befehlen. Sie stürzten sich auf die Beute und trieb sie damit genau in seine Richtung. "Kommt nur, ich erwarte Euch", formulierte es in seinen Gedanken während er sich völlig still verhielt.

Unzählige Welten hatte der Oldi schon kennen gelernt, alle Gefahren hatte er gemeistert und jedes Erlebnis hatte seinen Erfahrungsschatz bereichert. Er war zum Jäger geworden, der auch jetzt wieder seine Beute witterte. Diese ganz eigene Hochstimmung ließ sein Herz schnell und kräftig schlagen. "Hier muss es sein" rief er und machte mit der linken Hand eine halbkreisförmige Bewegung, um anzudeuten, wo er die Proteinbasis vermutete. Die Männer waren ganz mit der Abwehr der immer noch angreifenden Kreaturen beschäftigt. Den leichten mentalen Druck ignorierte er und bemerkte damit nicht die Einflussnahme eines fremden Wesens.

Der Untergrund erhob sich plötzlich. Morast, sumpfiges Gewächs und Wassermassen flossen an den Seiten herab. Der Antrieb des Hoovers heulte auf, als der Dschungel zu einer Rampe wurde. Die herabfließenden Massen legten stellenweise einen schuppigen Körper frei. Bevor genaueres zu erkennen war, kippte der Hoover über die rechte Seite und begrub die Besatzung unter sich. Ein erneutes Brodeln setzte ein und das morastige Wasser schäumte auf. Kiefer schnappten zu. Strahlschüsse, Kampflärm und Schreie mischten sich zu einer wilden Sinfonie des Todes. Das Inferno tobte heftig aber kurz.

Aufsteigende Luftblasen verrieten noch eine Zeit lang die Stelle, wo die Hoover mit ihren Besatzungen versanken. Tief befriedigt zog er sich in sein Ruhelager zurück. Er war satt und träge geworden nach der Aufnahme seiner organisch-metalem Beute. Jetzt würde er wieder warten. Dies war sein Revier und er war der Jäger.

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