© der Geschichte: Thorsten Küper. Nicht unerlaubt
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Hey, Mr.Bluesman

Es ist meine Sichtweise. Wann immer ich darüber nachdenke, komme ich zu diesem Schluß. Meine Perspektiv ist es, die mich zu dem macht, was ich bin, die mich von anderen unterscheidet.
Ich bin ein Künstler.
Ich schaffe etwas, obwohl ich niemals den Ruhm genießen werde, zumindest nicht den eigenen. Ich bin eine Legende, obwohl niemand meinen Namen kennt. Ich bin anonym, dennoch kein Niemand in der Masse. Früher habe ich darunter gelitten, eine Nummer zu sein, kein eigener Körper, nicht einmal eine Zelle, nur ein Molekül in diesem riesigen Wesen Zivilisation. Zu sein wie jeder andere, das ist ein Fluch, genauso grausam, wie weniger zu sein, als jeder andere. Aber das ist nur meine Philosophie, hervorgegangen aus meiner Sicht der Dinge.
Ich laufe nicht länger mit der Herde, ich bin nicht länger nur Zelle eines Organs, ich habe ein Bewußtsein, Verstand, Phantasie, Kreativität. Ich reagiere nicht, ich bin derjenige, der agiert.
Vor vier Tagen haben sie mich gerufen. Sie lobten meine vorherigen Arbeiten, schwärmten von meinem Talent. Oberflächliche Schmeicheleien, von denen sie glauben, ich würde sie nicht durchschauen. Aber es gehört nun mal zu meiner Arbeit, die Dinge zu hinterfragen. Zusammenhänge zu erkennen, die nicht offensichtlich sind. Daraus ziehe ich meine Konsequenzen, dementsprechend handele ich.
Ich bin ein Künstler, ein Genie auf meinem Gebiet.
Aus dieser Höhe, aus den Schalensitz eines fast schallschnellen Flüsterkopters, ist der Cluster Rhein Ruhr ein Lebewesen, das sich am die Oberfläche des Planeten klammert. Ein kleiner Parasit, der an einem riesigen sterbenden Lebewesen klebt. Die Lichter dort unten sind wie aufblitzende Gedanken.
Sinnlose Assoziationen aus einem Videoclip, dessen Einstellungen niemals länger als halbe Sekunden sind. Die Straßen sind Adern, durch die weißes und blaues Licht fließt, parallel zum Verlauf des Rheins, der nicht mehr ist als eine breite Öllache, die weit ins Land einsickert. Der Fluß brennt - das tut er immer, nicht wahr? - ein Mosaik aus roten und blauen Flammen treibt auf dem eiskalten Strom wie ein riesiger schwarzer Spiegel, besetzt mit verschiedenfarbigen Glassegmenten.
Erstaunlich, daß irgend etwas darin überleben kann außer Bakterien. Doch das Fischsterben hat nachgelassen in den letzten Jahren. Angeblich seien die Exemplare der letzten Generation aromatisch genug - und kaum noch von Tumoren befallen - , um sie zu essen. Es gibt diese Geschichten von Aussteigern, die sich ausschließlich von selbstgefangenem Fisch aus dem Rhein ernähren. Vermutlich sind das nur romantische Wunschvorstellungen. Der ewige Traum vom Leben in Freiheit transferiert in den Cluster.
Ich kann sie nicht sehen, aber ich weiß, daß dort unten in dieser kalten Winternacht unter schwarzem Himmel Pärchen händchenhaltend über das Wasser sehen. Mit einem Sinn für Romantik, der nichts weiter ist, als die Ausgeburt eines temporär aus dem Gleichgewicht geratenen Hormonhaushalts. Dieser winzige Überschuß an Hormonen ist es, der ihnen für einen Augenblick die Augen öffnet und sie Schönheit begreifen läßt.
Feuer, das in der Nacht auf dem dunklen Fluß brennt, ihn blutrot färbt. Eine verglaste Fassade , in der sich die grünrote Abenddämmerung spiegelt. Ein Windtrichter, der Papier , Plastik und gelbes Laub mit sich herumwirbelt und zwischen den Gebäuden hin und her springt, wie die Kugel in einem antiquierten Flipper. Ein alter Mann , über einen Abfallcontainer gebeugt, der kurz aufblickt und den flimmernden Mond über der Stadt anblinzelt. Wieviele solcher Augenblicke hat er gesehen, ohne zu erkennen, wie bemerkenswert sie sind? Sie festzuhalten, darin liegt die Kunst.
Die Atmosphäre buckelt unter der Maschine wie ein bockiges Pferd unter einem unerwünschten Reiter. Der Flüsterkopter sackt nach unten, um von der Turbulenz wieder nach oben geschubst zu werden.
Eine von PANs gelben Dreadlocks verfängt sich in dem Belüftungsschlitz über seinem Kopf. Er stöhnt auf, als ein Büschel filziger Fasern aus seiner Kopfhaut gerissen wird. Er ist nicht die beste Grundsubstanz für meine Arbeit, keine starke Inspiration. Ohne mich würde man ihn vergessen, wie all die anderen Idole vor ihm.
Auf dem Monitor über PANs Kopf sehe ich das Motiv, das die lokalen Nachrichten seit einer Woche beherrscht. Polizisten mit Teflonwesten , die Gummigeschosse in Menschenmassen ballern. Neuerdings schiebt die Streikfront Müllcontainer als Barrieren vor sich her und erwidert das Feuer mit pressluftbeschleunigten Konservendosen. Gegen das Sänfgas - die inoffizielle Abkürzung für das Besänftigungsgas, eine hohe Dosis gute Laune aus der Sprühpistole - tragen sie Atemschutzmasken, die ihre Gesichter aussehen lassen wie weiße Porzellanpuppen.
Sympathisanten haben in den letzen Wochen Tausende dieser Masken an Polizeikontrollen vorbei aus Chemiewerken und Biotechnologiebetrieben geschmuggelt.
Das tun sie, seit es letzte Woche den ersten Toten unter den Demonstranten gegeben hat. Als offizielle Todesursache ist von einer verschleppten Bronchitis die Rede. Verlautbarungen über eine eventuelle allergische Reaktion auf das Sänfgas werden vom Krisenmanagment der Sicherheitskräfte entschieden dementiert. Genauso wie jeder kausale Zusammenhang zwischen dem Gaseinsatz in den Innenstädten von Duisburg, Essen, Bochum, Herne und Dortmund und dem sprunghaften Anstieg von Einlieferungen von Kleinkindern mit Pseudokruppsymptomen in die Krankenhäuser.
Eine auffällige zeitliche Übereinstimmung, dennoch nicht mehr als die Ausgeburt einer propagandistischen Scheinstatistik, so die Worte eines Polizeisprechers. Ich kann mich gut daran erinnern, wie der Kerl auf einer Pressekonferenz lakonisch mit den Schultern gezuckt hat, um dann noch hinzuzufügen: "Wir diskutieren hier über Husten."
Nun diese Diskussionen haben für genug Unmut gesorgt, um den Pott, die eigentlich immer recht friedliche und überschaubare Krisenregion, nahe an den Siedepunkt zu bringen.
Ein einziger Toter mehr, vielleicht auch nur ein verletzter Demonstrant wird ausreichen, um den ganzen Pott zum Kriegsgebiet explodieren zu lassen, behaupten die Medien - und die angespannten Gesichter hinter Armorflexvisieren offenbaren, daß das auch die Bullen glauben.
Aber irgendwie glaube ich, daß es genau das ist, worauf alle warten.......... Die Kamera wendet sich ab vom Streik. Schnitt. Eine Aufnahme von Muhammad, wie er vor drei Monaten eine Rede auf einer Gewerkschaftsversammlung hält. Muhammad, der Poet, der Texter, der Rapper an PANs Seite. Schnitt. Muhammad, so wie er vor vier Tagen aussah, als sie ihn fanden. Unter einer Membran aus Klarsichtfolie, angeheftet an die Wand einer Werkshalle wie ein riesiger Insektenkokon kurz vor dem Schlüpfen. Seine Mörder haben ihn in zwölf Meter Höhe unter der luftdichten Folie fixiert. Genüßlich schwelgt das Objektiv im Anblick seiner aufgerissenen Augen, dem des Mundes, der in einem endlosen Atemzug Vakuum in die Lunge saugt.
Was für ein außergewöhnliches Arrangement. Kunst , die der Zufall schreibt, oder die plötzliche Inspiration seiner Mörder. Nicht unbedingt Fans von ihm, nehme ich an, obwohl........seine Idole zu töten war schon immer populär. Oder wie war das mit Jesus?
Eine Menge Leute rennen mit diesem Shirt rum. Darauf ist Jesus mit einer Dornenkrone und ein imperativ: Kill Your Idol. John Lennon ist ein gutes Beispiel. Er war kein Trinker, na ja, vielleicht ein paar Drogen, nicht mal der traditionelle Selbstmord. Er geht über die Straße und fängt sich eine Kugel ein - von einem Fan, was für eine tragische Sache, tja. So ist das nun mal. Das Leben schreibt die besten Geschichten und die Kunst liegt auf der Straße in Form des Kreideumrisses einer menschlichen Silhouette auf dem Bürgersteig.
Meine Kunst ist es, die Kunst zu erkennen, wo sie sich ergibt. Kunst fängt Gefühle ein, reproduziert sie. Ein Kunstwerk muß ein eigenes Herz haben. Eines das schlägt, fühlt. Freude, Trauer, oder Angst. Maler arbeiten mit Licht, dazu ein paar Schatten , ein paar Farben und schon gelingt es ihnen, eine Stimmung einzufangen. Den guten jedenfalls. Je weniger Linien, je weniger Farbe der Künstler braucht, um eine Szene festzuhalten, um so brillanter ist er. Apropos Malerei: PANs Gesicht erinnert mich an dieses furchteinflößende Bild: Der stumme Schrei. Sein Gesicht reduziert sich auf Nuancen von Grau, seine Augen sind Schlitze über halbmondförmigen Schatten. Sein Mund ist nur leicht geöffnet - wie der eines Toten. Doch er schreit innerlich. Muhammads Tod, der Tod seines einzigen Freundes war ein guter Grund für ihn auszutesten, wie viele rauscherzeugende Substanzen ein menschlicher Körper verarbeiten kann, ohne daß der Exitus eintritt.
Die beiden sind übrigens nicht schwul, oder so was, mehr Seelenverwandte. Zumindest haben sie sich das eingeredet. Künstler haben so einen seltsamen Sinn für spirituelle Dinge.
Über Kunst habe ich gerade gesprochen nicht?
Musik ist eine andere Art von Kunst. Ihre Farben sind Töne, die Schatten sind ein dumpfer Baß. Mehr braucht ein Musiker nicht, um Emotionen zu reproduzieren. Ich halte nicht viel von Klassik, ziehe der jederzeit den Blues vor. Er hat einen melancholischen Herzschlag und das weiß ich zu schätzen. Ja, die hohe Kunst des Selbstmitleids. Davon kann ich wirklich ein Lied singen. Das Leben ist nicht leicht für einen Egozentriker wie mich.
PAN macht sich keine Gedanken über solche Dinge. Im Licht eines Reklameblimps, dessen Scheinwerfer in Innere des Helikopters stechen, sehe ich sein fahles Gesicht, seine wäßrigen blauen Augen. Erotisch seien sie, behaupten seine weiblichen Fans. Die kleinen Schlampen, die sich seinen Namen an unbenennbaren Stellen eintätowieren lassen.
Sie sehen ihn mit demselben Blick, der zuläßt, daß sie den Anblick ihrer eigenen Unzulänglichkeit im Spiegel ertragen können. Aber darüber macht sich PAN keine Gedanken. Er macht sich Gedanken darüber, wie lange er noch so dasitzen kann, ohne zu wimmern, oder zu kotzen, oder einen seinen schrecklichen Selbstheilungstherapiesongs vor sich hin zu stottern, wie ein Vibrator mit künstlerischen Ambitionen.
Wo war ich? Das Herz der Kunst?
Das Herz von PANS Pseudo - Rap- Kunst - mir sträuben sich die Nackenhaare , es so zu nennen - fühlt weder Melancholie noch Trauer, noch Angst. Auch nicht Mitgefühl, obwohl seine Texte uns das glauben machen wollen. Nein, es ist Kommerz. PAN ist ein Konstrukt, angepaßt an die Bedürfnisse des Konsumenten, des "Erlebers", wie man in der Branche sagt. Seine Texte sind nicht seine Idee, seine Musik ist nicht seine Idee, seine Dreadlocks sind nicht seine Idee, sein Outfit ist nicht seine Idee, nicht einmal, ob er seinen Schwanz beim Pinkeln mit der rechten oder linken Hand hält. PAN ist eine Hülle, vollgestopft mit Selbstüberschätzung, Angel Dust, Extasy, Alice und Jack- Daniels- Maniok Whiskey ohne Konservierungsstoffe. Er macht keine Kunst und er hat keine Kunst - im Gegensatz zu mir.
Sie nennen mich den Bluesman, obwohl ich ein Klavier nicht von einem Gelsenkirchener Barockschrank unterscheiden , keinen einzigen Akkord auf einer Gitarre greifen kann.
Ja, ich bin ein gottverdammtes Genie und die tragenden Elemente meiner Kunst sind Schwermut, Melancholie, Tragik und geplatzte Illusionen, die halb zerschossen unter rosaroten Endorphinwölkchen baumeln. Wie man so schön sagt : Ich hab den Blues, und bei mir ist er ziemlich ansteckend.
Der Pilot beugt sich in den Durchgang. "Das Kraftwerk", bemerkt er, während über den Visor über seinen Augen mikroskopische Zeilen huschen. Flugdaten, die der Bordcomputer ihm direkt vor die Pupillen einspielt. Die Maschine ist unmarkiert, fliegt ohne Positionslichter, nicht viel lauter als ein Rasierer. Okay, ich gebe zu, nicht viel lauter, als ein Rasierer, den man sich an einen völlig verkaterten Schädel hält. Durch den Restlichtverstärker sieht er eine giftgrüne Welt, in der die Feuer dort unten zu Sonnen werden.
Ein Bollwerk aus Baggern, Lastwagen, Gabelstaplern und aufgeschichteten Metallteilen, Rohrleitungen und Möbeln umgibt den zentralen Gebäudekomplex. Eine Woge aus Menschen drängt sich hinter den aufgetürmten Barrikaden um Lichtinseln.
Die Podeste, von denen die Gewerkschaftsführer die Menge aufhetzen. Riesige bemalte Zeltplanen halten die Demonstranten über ihre Köpfe nach oben, reichen sie weiter, so daß die Schriftzüge wie eine Welle über die Menge gleiten.
Vor zehn Jahren hätte darauf noch der Name eines Fußballvereins gestanden, jetzt ein provozierender Satz, das Motto der Demonstranten. "Es wird brennen!" Irgendwie glaube ich nicht, daß sie damit das Kohlekraftwerk meinen, oder?
"PAN", er reagiert nur langsam, seine Lider sind halb geschlossen. Er ist sehr müde, sicher - und er ist ein Ignorant, was mir sehr mißfällt. Deswegen hebe ich die Stimme, so daß sie die Luft durchschneidet: "Ich möchte, daß du mir genau zuhörst."
Er nickt, seine Dreadlocks Hüpfen, wie eine lebendig gewordene Topfpflanze. Seine Zunge gleitet über seine Lippen auf der Suche nach irgendeinem Geschmack, dem Echo eines vor Stunden eingenommenen Cocktails. Sie ist im spärlichen Licht im Helikopter wie ein Wurm, der seinen Kopf aus der Erde streckt . Wir fliegen im weiten Bogen um das Kraftwerk , weichen den Lichtstrahlen aus , die den Himmel zerstechen. Falls irgendein übereifriger Streikposten uns sieht, würden die wahrscheinlich schießen.......
PANs Gesicht ist weiß in der Reflexion des Scheinwerferlichtes an der unverrückbaren Wolkendecke. Es wird Schnee geben wie schon lange nicht mehr. Den klebrigen schwarzen Schnee, der eine zentimeterhohe Schicht bildet, die aussieht wie ein Stoffwechselendprodukt. Das Zeug hat unglaubliche Gleiteigenschaften und die Kids auf den Snowboards erreichen Irrsinnsgeschwindigkeiten darauf. Man muß nur höllisch aufpassen, nichts davon in den Mund zu kriegen. Diese zentimetergroßen Pusteln sind einfach widerlich.
PAN nickt wie ein nickender Hund auf der Rückbank eines alten VW-Käfers, den ich vor kurzer Zeit gesehen habe. Umgestellt auf Wasserstoff und hochexplosiv vor lauter Umweltfreundlichkeit. Hindenburg hat jemand auf die Türen lackiert. "Heute hast du die Gelegenheit, etwas zu bewirken , PAN" Ich berühre sein Knie, aber seine Lider fallen zu. Die Idee ist zu verlockend, also schlage ich ihm mit der flachen Hand ins Gesicht. Laut genug, daß der Pilot sich zu uns umdreht, um sich sofort wieder abzuwenden, als er mit meinem Lächeln konfrontiert wird. Jemand hat mir mal gesagt, etwas würde damit nicht stimmen. Es wäre kein richtiges Lachen, würde nicht an meine Augen heranreichen. Und wenn sie dann doch mit lächeln - sehr selten, nur ganz, ganz selten - sei es beängstigend.
Das waren ihre Worte , kurz bevor sie den Transatlantikzeppelin bestieg. Vor Jahren, als diese Kreuzfahrten gerade wieder in Mode kamen. Ich erinnere mich , wie sie dasteht, ihren riesigen Hut festhält, an dem eine Windböe zerrt und mir sagt, daß sie sich fürchtet. Aus dem Zeppelin hallt das Echo eines einzelnen Saxophons zu uns herüber.
Daß sie sich vor mir fürchtet, ist ihr, glaube ich, erst sehr spät bewußt geworden. Jetzt ist sie tot und manchmal frag ich mich, welch Art von Lächeln ich an dem Tag trug, als es geschah.......
Ich fasse PANS Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger wie in einer Zange, aber sein Blick gleitet weg von mir. "Du mußt fortsetzen, was mit Muhammad begonnen hat. Er war der Poet, du bist seine Stimme. Du kannst ihn noch immer sprechen lassen." Pathetischer, hohler Schwachsinn. Die Sprache, die PAN in seiner Endlospubertät versteht.
"Ich weiß.......", er nickt schwach, aber das hätte er auch, wenn ich ihm etwas über die Heisenbergsche Unschärferelation und deren Konsequenzen erzählt hätte. Seine Gesichtsfarbe ist die eines Toten. Ich kenne diesen wächsernen Ton. Man sieht ihm an, daß er kurz davor steht, sich zu übergeben. Hoffentlich erstickt er nicht an seinem eigenen erbrochenen bevor wir landen. Eine traditionsreiche Todesart unter Musikern.
"Niemand ist hierher gekommen, um Musik zu hören, geschweige denn eine Party zu feiern. Es ist ein Existenzkampf." Ich schüttele den Kopf. Es ist Unsinn. Der Kampf ist lange verloren. "Jetzt wollen sie ihren Zorn ausleben, Bullen verprügeln, Brände legen, Steine werfen. Hast du eine entfernte Vorstellung davon, was geschieht, wenn das hier ausartet? Du trägst Verantwortung weil es Muhammads Texte sind aber deine Interpretationen. Du dringst tief in ihre Köpfe vor mit deinen Songs. Deine Worte kommen aus ihren Seelen........."
Künstler lieben solchen Schmu, die brillanten genauso wie die überflüssigen.
Künstlerseelen gleichen sich.
PAN nickt. "Es wird einen Bürgerkrieg geben......."
Ich bezweifele das PAN Bürgerkrieg von Sodbrennen unterscheiden kann, aber ich erwidere seinen Blick sehr ernst und zustimmend.
Das ermuntert ihn zu einem längeren Monolog. "Ist 'ne Scheißsache, unfair, selbstgerechtes Establishment........" Er nickt selbstsicher und seine Lider fallen zu. Noch mal verflucht er das selbstgerechte "Eslläblischlent", das ihm einen Zwanzig Millionen-Euro- Vertrag verschafft hat. Steuerfrei, da er in die Sparte Kunst mit politischer Aussage fällt. Einer von wenigen Privilegierten , die nicht der Zensur zum Opfer gefallen sind. Oh Verzeihung, das heißt ja freiwillige Selbstbeobachtung zur Minderung aggressionsfördernder Unterhaltungseinflüsse.
Gerade die kohärenten Rapper mit ihren sperrfeuerartigen Hetztexten voller unverhohlener Aufforderungen , die ökonomische Krise mit dem Baseballschläger zu bekämpfen sind der freiwilligen Selbstbeobachtung ein kleiner Balken im Auge. "Eine gute Show kann sie zur Besinnung bringen PAN. Diesmal geht es nicht um Profit oder Verkaufszahlen. Es geht um Deeskalation"
Er wirft den Kopf in den Nacken, stößt sich den Schädel an der Rückwand. Das Weiß in seinen Augen glitzert , als er sie aufreißt, die Lider mit Daumen und Zeigefinger hoch drückt. "Kommen wir überhaupt da rein?" Einer von diesen wachen Augenblicken, zumindest eine Sekunde, wie ein Spalt der plötzlich in den Wolken aufreißt und den Blick zuläßt auf den seltsamen Grünstich des Himmel darüber. Er versucht sich die Müdigkeit aus dem Kopf zu schütteln. Vielleicht begreift er sogar, wie wichtig diese Nacht für ihn ist. Für seine Karriere.
"Wir schaffen eine Schneise für dich. Hools. Wir haben sie für heute angeworben. Sie werden dich durch transportieren. Du weißt, wie man mit diesen Leuten umgehen muß."
Er stöhnt, reibt sich die Stirn. "Fußballfans?"
"Sie verstehen sich darauf, sagen wir mal , sich durchzudrängeln."
Die Leidenschaft der Deutschen für ihren Sport ist weltberühmt. So berühmt , daß Spiele deutscher Mannschaft gegen Vereine aus Nachbarländern grundsätzlich dort ausgetragen werden. Möglicherweise hat das auch etwas mit dem Schwarzen Samstag von 2008 zu tun. Loyale Fans sind eben verärgert, wenn ihr Verein unterliegt und solche Niederlagen kann man nicht einfach auf sich beruhen lassen. Gegen all die globalen und ökologischen Probleme verblassen zweihundert Tot doch zu einer Nebensächlichkeit - wer hätte denn ahnen könne, daß die Plastiksitze so schnell Feuer fangen würden? Selten waren sich deutsche Fans so einig , wie an jenem schwarzen Samstag als sie den Engländern den Fluchtweg aus dem brennenden Stadion verwehrten. Ich glaube er heißt Schwarzer Samstag, wegen der Nonstopberichterstattung in der man nichts anderes zu sehen bekam als schwarze verschmorte Plastiksitze.
Natürlich seien die Täter nicht als repräsentativ für die deutsche Bevölkerung anzusehen, behaupteten unsere Politiker damals. Das alles sei mehr so eine Art Mißverständnis................
"Ich hatte mit schlimmeren Typen zu tun", erklärt PAN. Eine Anspielung auf seine Vorstrafen. Diebstahl und Körperverletzung.
Ich kann mein Lachen kaum unterdrücken. Ist es nicht grotesk, daß PANs Verstand so von Pülverchen, Flüssigkeiten und Kristallen umwölkt ist, daß er selbst die Legenden glaubt, die man um ihn herum konstruiert hat?
Für sein Label bestand ein nicht unerheblicher Aufwand darin, ihm künstlich durch Datenmanipulation eine Vorstrafe zu verschaffen, die auch den Nachforschungen besonders neugieriger Musikjournalisten standhalten würde. Ein Rapper ohne Knasterfahrung ist so was ähnliches wie eine Pornodarstellerin, die sich als ehemaliger Mann entpuppt.
Niemand darf je erfahren, daß PANs Prämusikerbiographie so aufregend ist wie ein Kaffeekränzchen mit nachfolgendem Volksmusikabend in einem Sterbeasyl am Stadtrand. Die Maschine sinkt auf eines der Dächer der leeren Hallen im Norden des Werksgeländes herunter. Ein riesiger Schriftzug, Block A , prangt auf gelbem Beton. Unbemerkt bei dem höllischen Lärm setzt die Maschine darauf auf.
Lautsprecherpropagandisten stacheln die Menge an. Ihre Stimmen kommen aus südlicher Richtung vom Vorplatz des Hauptgebäudes, der Streikzentrale - obwohl das hier seit einer Woche kein Streik mehr ist sondern eine Belagerung. Die Demonstranten, achthundert ehemalige Mitarbeiter und Tausende Sympathisanten ebenfalls arbeitslos und damit Opfer des wirtschaftlichen Niedergangs der Region hinter den Barrikaden, die Polizei , beraten von Soziologen - wir müssen über alles reden, wirklich, Hauptsache, es bleibt beim Faseln - und Psychologen - was bedeutet ihr Beruf für sie? Sicherheit? Aha, Sehnsucht zurück in den Uterus - auf der anderen Seite. Das Kraftwerk stellt gerade mal achthundert Arbeitsplätze. Scheinbar nicht viel. Jetzt ist die Fusion da Brandneu, sauber , effizient und fünfzehn Techniker reichen aus um den Energiebedarf von fünf Großstädten zu decken. Also fort mit der alten Technik, fort mit dem Kraftwerk, fort mit den achthundert Arbeitsplätzen und die Betriebe die von der Abschaltung der Anlage mit in den Sog gerissen werden, hüllen wir in ein Mäntelchen des Schweigens.
Die Politiker bezeichnen es als ein sinnvolles Opfer im Sinn der kommenden Generationen - das sind die kleinen Kinder mit Zahnlücken und Blümchenkleidern, lächelnd auf den Armen dicker Abgeordneter in den Wahlwerbespots. Seltsam, diese Kinder sehen nicht aus wie die , die in Gruppen von fünf oder sechs über einzelne Passanten herfallen , wie Aasfresser alles mitgehen lassen , was sie in fünf oder sechs Sekunden zu fassen kriegen. Shopping nennen die Kids das und ihrem Gekicher und ihrem Kriegsgeheul nach scheint es ihnen eine Menge Spaß zu machen, jemandem mit einem HV- PARA Stromstöße durch den Körper zu jagen, um ihn bei seinem Tanz aus Konvulsionen zuzusehen. Mich erstaunt immer wieder, wie die Kids in den Besitz der Paras kommen. Was für eine Ironie, daß es sich dabei um eine für den Polizeieinsatz bestimmte, sogenannte Deeskalationswaffe handelt. Nicht tödlich, eben nur sehr, sehr schmerzhaft. Wer sagt, die Jugend hätte an nichts mehr Spaß?
Mir so ein Gör auf dem Arm eines dicken Übervaterabgeordeneten vorzustellen, fällt mir leicht - wie sie mit einem ihrer überlangen Fingernägel in seiner Augenhöhle herum rührt.
Achthundert Arbeitsplätze weniger. Ein Tropfen, der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen gebracht hat, in einer Zone, die von der Fieber-AL ausgedörrt wird.
Fieber AL, das bedeutet, daß sie die achtunddreißig Prozentmarke überschritten hat.
Sie trauen sich nicht mehr es Arbeitslosigkeit zu nennen, alles was unkontrollierbar ist, wird abgekürzt - so wie AIDS oder SIS, das Selbstisolationssyndrom, das die Menschen zu Gefangenen ihrer Wohnungen macht.
Es gibt Dutzenden von Fällen, in denen Menschen normalerweise nicht lebensbedrohenden Krankheiten zum Opfer fallen, weil sie nicht in der Lage sind, eine Arzt aufzusuchen, nicht einmal mehr wagen einen zu rufen, weil ihre Furcht vor allen Fremden überwältigend geworden ist. Anderseits , in einem Land das sich unter der Fieber-AL windet, welchen Sinn macht es da noch, vor die Tür zu gehen?
Scheinwerfer bohren sich in den Himmel wie Geysire, die direkt aus einer wütenden Erde hervorbrechen in stampfendem elektronischem Rhythmus. PANs Rhythmus aus allen Richtungen dröhnen seine kompatiblen Songs, nicht einer, sondern Dutzende. Sie überlagern sich, ergeben zusammen neue Texte. Die Worte jagen einander, Echos bilden sich , neue Sätze entstehen - die meisten sinnlos, aber welche Rolle spielt das schon? Die Rhythmen peitschen sich gegenseitig hoch, die Drums rattern im Takt automatischer Waffen. Ist dieser Sound nicht ungeheuer zeitgemäß? Kohärenter Rap, du kannst mehrere Songs gleichzeitig übereinander abspielen und sie ergeben einen neuen Song. Das ist die Erfolgsformel , die PANs Soundbastler beherrschen. PAN ist dabei nur eine Maschine mehr auf der Bühne - ich vergaß: Er spielt Panflöte. Klingt sehr, sehr seltsam auf einem vierviertel- sechzig-Herz-Stakkato- Maschinenpsitolen-Takt.
Aber wenn es gefällt. Bitte. "PAN, zieh deinen Ärmel hoch."
Den Hinterkopf an die Rückenlehne gelegt, die weißen Lider über den Augen geschlossen nickt er, hält mir einen Arm mit einer Dschihad-Tätowierung gleich neben dem Symbol des Metallwiderstandes, einem Amboß, hin. Die Vene drückt sich durch pergamentartige weiße Haut. PAN zeigt keine Regung, als ich sei beim ersten Versuch verfehle. Auch nicht, währen dich ihm die Injektion verabreiche. Aber zehn Sekunden später klappen seine Augenlider hoch wie die Scheinwerfer eines Sportwagens.
"Wach?", frage ich.
Er glotzt mich verdattert an. "Was war das?
"Ein bißchen hiervon, ein bißchen davon. Ich brauche dich auf dieser Seite des Universums."
Er fährt mit dem Ballen seiner Hand über die Stirn, tastet nach dem Rest seines Verstandes. "Werden die mir überhaupt zuhören?"
Ich schnippe mit den Fingern, halte ihm mit der anderen Hand ein Mikrofon hin. "Zwanzigtausend Watt, nur für deine Stimme. Sobald du den ersten Ton von dir gibst, gehören die Lautsprecher da unten dir ganz allein. Selbst Allah wird lauschen und sollte er noch so beschäftigt sein....."
PAN ist Moslem, ich bezweifele nur, daß er selbst das noch weiß. Es war Teil einer dieser kosmopolitisch angehauchten Vermarktungsstrategien, um seine Beliebtheit bei den Türken zu steigern.
Ich selbst glaube nicht an Götter. Schließlich weiß ich allzu gut, wie welche erschaffen werden.
"Trotzdem seltsam. Ich meine...., wir reden von Streik, Bürgerkrieg oder so was. Das, das ist nicht die Zeit und der Ort für Rap." Er wedelt mit den Händen , um seine unzusammenhängenden Argumentation zu unterstreichen.
Ich stecke das Mikro an seine zerfledderte Jeansweste. "Muhammad hätte das anders gesehen, oder? Das ist der richtige Ort und die richtige Zeit."
Sein Nicken ist zu zögerlich. Seine Zweifel sehe ich in der Art, wie er in die Dunkelheit sieht. Selbstverständlich wird er tun, was man von ihm verlangt. Dazu hat er zu lange die Initiative seinen Managern überlassen. Lange genug, um nicht mehr wirklich selbst jemand zu sein. Er ist PAN, und PAN ist ein Kunstprodukt ohne Innenleben. Plastik mit einem Prozessor und einem Programm darin, das Liedchen dudelt, wenn man ihm auf die Nase drückt. Eine Spielzeugpuppe.
"Steck dir das ins Ohr." Der Stöpsel ist gerade groß genug , um nicht auf Nimmerwiedersehen in seinem Gehörgang zu verschwinden. PAN nimmt ihn ratlos an sich. Erst durch meine pantomimische Darbietung begreift er, daß er sich das Ding ins Ohr stecken muß.
"Damit kannst du mich jederzeit hören...."Ich hebe die Achseln. "Falls etwas unklar sein sollte. Ach ja, erinnere mich daran, daß ich dir nach dieser Sache hier mal meine Galerie zeige."
Sein Kinn nickt unter rotäderigen, verschleierten Augen. Ein Körper läßt sich nicht einfach so aus seinem Rausch wecken, aber für meine Zwecke ist er weit genug bei Bewußtsein.
"Was für eine Galerie?", fragt er plötzlich, die Stirn in Falten gelegt. Er hört mir tatsächlich zu. Natürlich freue ich mich, wenn sich jemand für meine Arbeit interessiert- zugegeben: ich bin sehr eitel, was meine Kunst angeht.
"Berühmte Menschen. Ich fotografiere sie. An Wendepunkten, wenn du verstehst, was ich meine. Nicht wenn sie in eine Kamera grinsen, oder mit einer Zigarette im Mundwinkel durch eine Pfütze in New York latschen.....", ich bezweifele, daß er weiß, wer James Dean war. "Es sind Schwarzweiß- Photographien. Schwarz, Weiß und die Grautöne dazwischen, sonst nichts. Viel stärkere Kontraste, viel mehr Schatten. Ich mache Kunstwerke aus ihnen."
Oh ja, das kann ich ziemlich gut. Ich gerate ins Schwärmen und PAN ist so gelangweilt, daß die Injektion nicht lange ausreichen wird, um ihn bei Bewußtsein zu halten. Sein Gesicht ist verdrossen, so als liege ein ekliger Geschmack auf seiner Zunge, seine Lider öffnen und schließen sich langsam wie die eines Betrunkenen. Schwankend verläßt er den Hubschrauber. "Ich fotografiere auch Dich. Es wird eine großartige Aufnahme, glaub mir."
Die Falten auf seiner Stirn vertiefen sich, als er seine Eskorte betrachtet. Große Männer mit kindlichen, gleichzeitig steinernen Gesichtern unter militärischen Bürstenschnitten.
Auf ihren Westen klebt ein Symbol. Ein Fußball, aus dem sich zu zwei Seiten eine Sichel hervor bohrt. Gut die Hälfte von ihnen sind Türken - alle gehören sie zu Muhammads und PANS Hauptzielgruppe. Idealistische junge Menschen voller Lebensfreude - mit Schlagringen und Schußwaffen ausgestattet. Für ein friedliches Miteinander.
Ich zeige ihm den erhobenen Daumen, grinse dümmlich. Seine Hand hebt sich zur Andeutung eines lächerlich kindischen Winkens. Wie ein kleiner junge trottet er den Männern hinterher, die ihn auf die Bühne bringen werden.
Wie mein Lächeln wohl in dieser Sekunde aussieht? Ja, ich glaube, selbst diese Straßenschläger würden davor zurückweichen.
Völlig entspannt, mir meiner Sache ganz sicher, verlasse ich selbst den Helikopter, schlendere zum Rand des Daches, um mir einen Überblick zu verschaffen. Über die Bretter, die die Welt bedeuten.
Ich kann sie riechen, die Anspannung, die vor der Premiere über der Bühne liegt. Ich sehe die Darsteller unten. Die Polizisten, nervös, die Demonstranten, zornig, hervorragende Darsteller vor einer grandiosen Kulisse. Vier Kühltürme erheben sich rings um das Kraftwerk, spucken in Zeitlupe Dampf gegen die bleiernen Wolken - demonstrativ weigert sich die Belegschaft, die Anlage endgültig abzuschalten. Aus Scheinwerfern unten vor dem Hauptgebäude gleiten Lichtkegel wie halogenfarbene Monde über den Himmel. Das ist ihre Methode der Luftüberwachung.
Mit dem Besänftigungsgas ist das so eine Sache. Mehrere Bürgerechtsgruppen führen Prozesse in höchster Instanz, selbst der Papst ermahnt die Regierung, zur Achtung von Meinung und Gefühlsfreiheit - er hat es wirklich so genannt - Mediziner warnen vor Schädigungen des Nervensystems, der Lungen und der Augen. Unter diesem akuten Druck sieht das Krisenmanagment die Notwendigkeit, die Situation mit dem rosaroten Beruhigungsbonbon Sänfgas unter Kontrolle zu bringen, solange das Mittel noch legal zur Verfügung steht.
Da auch die Streikführer das wissen, muß jeder Helikopter damit rechnen, die Bekanntschaft mit einer 300 Kilometer pro Stunde schnellen, mit Stahlbolzen gefüllten, Blechdose zu machen. Eine recht unsanfte Landung dürfte das werden, falls sie den Rotor trifft oder in die Turbine eindringt. Was man aus einem Kompressor und in bißchen Blech alles basteln kann. Das ist Kunst.
Da ist eine Bewegung über einem der Kühltürme. Doch es ist kein Hubschrauber. Ganz kurz, nur für einen Augenblick, sehe ich ein kleines Schemen mit ausgebreiteten Schwingen. Eine Eule, die durch einen Lichtkegel huscht. Zwei fluoreszierende Augen sehen auf mich herab, werden geblendet, verlöschen. Schon ist sie wieder im Dunst verschwunden.
Ich habe gehört, daß sich seltene Arten zurück in die Stadt wagen, weil sie in den brachliegende n Industriekomplexen neue Nistplätze finden. Der Aufruhr hier muß sie furchtbar irritieren.
Die übliche Hysterie, bevor die Aufführung beginnt. Wie werden die Rezensionen ausfallen? Wie immer hängt das allein von den Launen der Kritiker ab.
Hinter der Belagerungslinie auf dem Werksparkplatz ist eine kleine Stadt aus Übertragungsfahrzeugen der Medien entstanden. Kein Kabelkanal will den entscheidenden Moment verpassen. In Wahrheit, hinter all ihrer vorgeheuchelten Betroffenheit und Solidarität, hinter ihren Expertenkommentaren und Nonstopvoyeursberichterstattung hoffen sie auf den Funken. Sie wollen ihn fliegen sehen, aufzeichnen, in Zeitlupe. Bumm.
Ich weiß selbst nicht welcher, aber einer dieser Wagen ist statt mit einer Übertragungsanlage mit einem nagelneuen Überwachungssystem bestückt. Einem, das direkt aus einem Labor in Taiwan gekommen ist. So sensibel, so präzise, daß die Massenspeicher darin fast als allwissend zu bezeichnen sind. Nicht mal ein Gott kann es so genau wissen - und wenn all dies vorbei ist, dann wollen wir es doch ganz genau wissen, oder?
Endlich kann sich der Vorhang heben.
Die Hools bilden einen Keil um PAN, drängen Schollen aus Demonstranten beiseite wie ein Eisbrecher. Ich sehe ungehaltene Gesichter aber nur einer macht den Fehler zurück zu schubsen und wird gleich darauf niedergeprügelt. Einfach so auf jemanden einzuschlagen, das ist nicht mein Stil. Ich verachte sinnlose Gewalt. Was immer man auch tut, es sollte einen Grund dafür geben.
Es dauert keine Minute, bis sie die hundert Meter vom Ausgang des Gebäudes zur Hauptbühne zurückgelegt haben, die so positioniert ist, daß sie von innerhalb und außerhalb der Farzeugbarriere gleichermaßen gut einzusehen ist. Die Gewerkschaftler versuchen von innen auf die Polizei einzuwirken, so wie die Psychologen -sogenannte Deeseskalationsexperten , vollgestopft mit Erfahrungen aus einem halben Dutzend Fallbeispielen der letzen Monate - von außen.
Niemand scheint PAN , verborgen hinter den breiten Schultern seiner Eskorte , bisher zur Kenntnis genommen zu haben. Um so größer ist das Erstaunen, als er den Schritt auf die Schaufel des Baggers macht.
Pfiffe werden laut, viele Buhrufe. Was die dort unten brauchen, ist nicht unbedingt ein Musiker. Viel mehr von ihnen, als ich erwartet habe, durchschauen PANs synthetisches Image. Die Älteren vor allem, die die Idole ihrer Jugend schon lange begraben haben. Doch die Jungen jubeln, heben die geballte Faust als Symbol der Kampfbereitschaft. Egal welcher Kampf es ist, die Gesten bleiben dieselben. Voller Selbstüberschätzung und albern.
Aber der Zwiespalt in der Menge verschafft mir große Genugtuung. Ein weiteres Indiz dafür, daß meine Prognose aufgeht. Er wird eine so wunderbar zweifelhafte Gestalt sein.
Die Baggerschaufel wird hochgefahren, kommt ruckend in gut acht Metern Höhe zum Stillstand. Für eine Sekunde droht PAN das Gleichgewicht zu verlieren , doch einer der Hools stützt ihn geistesgegenwärtig ab. Der Hauptdarsteller muß gut sichtbar sein für seine Zuschauer. In dieser Nacht ist das wichtiger, als ihn hören zu können. Doch das bedeutet nicht, daß er mit seiner blassen Visage voran auf den Beton knallen soll, wie ein vollgepumpter Junkie.
Oh, ich vergaß: PAN ist ein vollgepumpter Junkie. Er steht da, blinzelt ins Licht , die Augen verkniffen und trotzdem erkenne ich seine geweiteten Pupillen noch hier oben. Wie ein Mann, der sich dem weit aufgesperrten Rachen eines Monstrums gegenüber sieht, glotzt er die Menschenmasse an. Als hätte er vergessen, wie man mit dem Mund Laute formen kann.
Ich flüstere in das Mikrophon an meinem Kragen direkt hinein in seinen Gehörgang. Unten sehe ich, wie er zusammenfährt. Das Ding ist so laut einjustiert, daß meine Stimme ihm wie eine Nadelspitze vorkommen muß, die sich in sein Trommelfell bohrt. "Spiel...", sage ich und lache dabei. "Spiel um dein Leben."
Ich bin darauf vorbereitet, ihn anzubrüllen. Doch mit der Musik wird er aktiv wie ein Bauteil, das mit den Boxen parallel geschaltet ist - er ist wirklich nur ein Element der Maschine. Eine Blackbox, deren Innenleben niemand völlig durchschaut. Wie eine Automatik stößt er die Worte hervor, seine Zunge schleudert ihnen Muhammads Provokationen ins Gesicht, feuert sie an durchzuhalten, nicht aufzugeben. Er spuckt seine Verachtung auf die Polizei, das Krisenmanagment, auf die Regierung, auf den Müll, auf die Stadt, auf die ganze beschissene Existenz.
Die Bässe sind so laut, daß sie meinen Brustkorb pochen lassen wie eine Membran.
Die Masse setzt sich in Bewegung wie Sandkörner, die auf einem Lautsprecher hüpfen, Muster bilden. Er setzt die Panflöte an, spielt so hohe Töne, daß alles Glas kurz vor dem zerspringen steht, als wären die Nerven der Polizisten Glasfasern, die er so zerschmettern könnte. Und es funktioniert. Das Unbehagen der Sicherheitskräfte manifestiert sich in ihrem unfreiwilligen Zurückweichen vor der Streikfront hinter der Barrikade, die aufwallt wie der Ozean über einem unterseeischen Vulkan. Der Dampf über der Anlage scheint direkt aus ihren wütenden Köpfen zu kommen. Erst jetzt wird mir ein beständiger warmer Luftzug aus den riesigen Generatoren bewußt. Ob er einige Polizisten hinter ihren gesichtslosen versiegelten Visieren an den Atem eines Drachen erinnert?
Dort unten, verborgen hinter den Tänzern, hinter denen die Plakate schwenken, der Polizei den Mittelfinger zeigen, hinter denen, die Flaschen über die Barrikaden schleudern - noch keine Molotowcocktails - konzertiert sich einer der Hools. Er ist kein vollwertiger Darsteller, mehr der Zufall, die plötzlicher Wendung der Inszenierung, das Moment, um die Geschichte herum zu reißen - seit kurzer Zeit ist er übrigens ein vermögender Mann, mit der Chance den Pott hinter sich zu lassen und einen Neuanfang zu wagen.
Seine Vergangenheit hat ihn für mich qualifiziert. Er ist Soldat mit Erfahrungen aus OffBorfer-Einsätzen im Nahen und Fernen Osten. Ein Scharfschütze.
Nein, er wird niemanden töten - das wäre doch unmoralisch, oder? Zumindest sagt man das. Er wird auf den Oberschenkel zielen. Den irgendeines beliebigen Bullen. Ein kleiner Funke...........
Ich spüre, wie er zielt, obwohl ich ihn nicht sehe. Ich höre den Schuß nicht. Niemand tut das. Aber dann ist das Mündungsfeuer da. Von der anderen Seite der Barrikade. Die Polizei erwidert das Feuer. Ihre Schüsse sind so leise, viel leiser als die Schreie derer, die getroffen werden, leiser als die Bässe, sogar leiser als PANs Panflöte. Zumindest bis er plötzlich verstummt, und nichts als den Nachhall eines besonders schrägen Tons zurückläßt.
Ich höre ihn einen erstickten Laut von sich geben, über den Stöpsel in meinem Ohr. Scharf atmet er ein, doch nicht wieder aus. Sein Körper fliegt in hohem Bogen von der Baggerschaufel, gleitet geradezu majestätisch durch Nebelschwaden von Besänftigungsgas. Die Musik reißt ab. Eine Rückkopplung kreischt durch die Dunkelheit und dann lachen sie alle. Gelächter, das sich nicht so sehr von Weinen unterscheidet, unter einem besonders schmerzhaften Krampf, in dem man sich so seltsam verrenkt, daß es schon wieder komisch ist. Wären da nicht Warnrufe, die Schreie, die allgegenwärtigen Schüsse, die Explosionen selbstgebastelter Brandsätze - nach Anleitungen hergestellt, die seit Wochen über Piratensender ins Kabelnetz gespeist werden. Und seltsame klickende Geräusche. Aufreißende Nebelschwaden geben den Blick frei auf zwei Männer. Ein Stahlrohr trifft auf ein Amorflexvisier. Das Visier bleibt ganz, aber die Nase darunter wird zertrümmert. Die Ursache des Klickens - und es klickt überall.
Einige brennen, aber durch ihre lodernden Auren kann ich nicht erkennen, wer Polizist ist, oder Demonstrant. Das Feuer hat sie alle gleich gemacht. Sie rudern mit den brennenden Gliedmaßen, stolpern auf andere zu, die entsetzt vor ihnen zurückweichen. Ein Tanz dessen Arhythmik soviel faszinierender ist als das monotone Zucken, in das die Fans sonst bei PANs Sound verfallen. Es macht optisch viel mehr her.
Ich muß meine Vorliebe für Feuer eingestehen - manchmal sitze ich stundenlang da und sehe den brennenden Öllachen auf dem Rhein nach.
Was für eine gelungene Inszenierung, was für eine dynamische Choreographie - obwohl ich durch den künstlichen Nebel viel zu wenig davon erkenne. Die Bullen haben Infrarotoptiken, aber zu beneiden sie sie für ihren Überblick wohl nicht. Was sie sehen ist eine Woge aus Menschen - wirklich sehr, sehr erbosten Menschen, schließlich hat man gerade grundlos auf sie geschossen - , die aus heiterem Himmel über ihnen zusammenschlägt. Der Funke ist endlich übergesprungen. Bumm.
PAN ist tot, weil jemand ihn direkt zwischen den Fronten auf den Präsentierteller gesetzt hat. Der Rest ist Zufall, oder nennen wir es: Der Geschichte auf die Sprünge helfen.
Aber wer macht denn so was? Manche würden es bösartig nennen, ich weiß. Was hat sie über mein Lächeln gesagt? Es hat ihr Angst gemacht. Nun, wenn die Natur des Bösen darin liegt, seine Ideen, seine Kreativität konsequent umzusetzen, dann muß ich gestehen: Ich bin ein böser Mann.
PAN ist tot, aber sagt man nicht, daß man Menschen gelegentlich zu ihrem Glück zwingen muß? Ganz davon abgesehen, was Legenden und Idole für die Menschen bedeuten - sie sind von ihnen abhängig, sie geben den Menschen etwas, dem sie hinterherlaufen können, ohne allzusehr dahin zu vegetieren.
Ja PAN, wenn du mich hörst: Wir brauchen Legenden wie dich - aber eine Legende zu sein, erfordert Opfer.
Belastet mich sein Tod? Nun, es ist eben so und wird ein Menschenleben an sich nicht viel zu oft überbewertet?
Und was ist mit denen, die heute Nacht in den Straßen sterben werden? Nun, sie werden Opfer der Politik, namenlose Figuren in der Geschichte wie Millionen vor ihnen. Diese Region ist ein eitriger Infektionsherd. Man muß ihn öffnen, eine Prozedur, die nun mal schmerzhaft ist. Nur so ist Heilung möglich.
Dort wo er liegt - ich sehe die Stelle nicht genau, weil die Masse über ihn hinweg rollt - gerade noch Ihr Idol, treten sie ihn nun mit Füßen - wird das Denkmal errichtet werden. Eine dieser sogenannten neosurrealistischen Plastiken. Das Ding sieht genauso schräg aus, wie der ganze kohärente Rap sich für mich anhört, aber für die Fans wird es eine Pilgerstätte werden. In der Halle, auf deren Dach ich stehe, wird man den größten Club Deutschlands eröffnen. Das "Widerstand". Gewidmet PAN, dem Märtyrer des kohärenten Raps, auf dem Gipfel seiner Karriere durch eine Kugel aus der Waffe der Exekutive niedergestreckt.
Revolutionäre verkaufen sich nun mal besser als simple Musikergemüter. Die Männer hinter den Labels sehen das rein kommerziell - nicht, daß ich damit ein Problem hätte. Sie werden vergessen, sagen die Bosse und meinend damit die vielen Eintagsfliegen, denen sie mit Verträgen Andy Warhols ruhmvolle fünfzehn Minuten ermöglichen. Die Masse begeistert sich schnell und genauso schnell läßt sie ihren Favoriten wieder fallen, wenn seine Musik lange genug auf ihrer Hirnschale herumgehämmert hat. Aber wenn sie sterben, nun, es konserviert sie irgendwie.
Ich meine, was ist es wirklich, das Jimmie Hendrix unsterblich gemacht hat?
Sein virtuoses Spiel? Oder die Tatsache, daß er früh und tragisch gestorben ist?
Natürlich gibt es gewisse Grenzen. In einem Jahr mache ich höchstens drei berühmt, so lautet die Regel, obwohl die Chefs vieler Label kaum einsehen wollen, wenn ich einen Klienten ablehne. Und selbstverständlich stehen jedem Label im Laufe von fünf Jahren maximal zwei Legenden zu.
Ich bin mir ziemlich sicher, daß niemand einen Computer darauf ansetzen wir, der auf diese eigentümliche Gesetzmäßigkeit stößt. Falls aber doch, oder falls sie den Scharfschützen aufspüren und er ihnen seine Geschichte auftischt? Na und? Welche Rolle spielt da schon?
Solche Theorien würden doch nur zum Mysterium beitragen oder? Sie heizen die Phantasie an, wecken die Neugierde - und das ist genau die Promotion die wir wollen.
Imran, der Boß von Buvoice - Pans Label - hat es auf den Punkt gebracht, als er mich zum ersten Mal engagierte. "Wenn sie tot sind, bringen sie uns mehr - und wir müssen sie nicht mal bezahlen."
Ich bin da eher ein Romantiker, erfreue mich an der Melancholie dieser Schicksale. Genau das ist es, was ich unter dem Blues verstehe.
Meine Stimme flüstert dort unten in PANs Gehörgang. Ich hoffe auf einen Rest Bewußtsein in seinem Kopf- "Jetzt bist du auf dem Gipfel des Ruhms."
An diesem Punkt frage ich mich, wie so oft zuvor, ob sie mir danken würden für die Unsterblichkeit, die ich ihnen schenke.
Sowie Muhammad, den die Rechtsradikalen - nach meinen Anweisungen - an die Fassade geklebt haben wie ein Steak - ein echtes, nicht aus Ersatzstoffen ohne Nährwert - in Zellophan.
Oder wie Yehudi, das Violin- Genie, mit dem Kopf nach unten ersoffen im lagunenblauen Wasser seines verstopften Klos. Sein letzter Trip hat ihn durch die Kanalisation direkt ins Nirwana geführt. Das Überwachungssystem des Hotels - ein üblicher Verstoß gegen das Gesetz, das die Unverletzbarkeit der Privatsphäre garantiert, aber die Manager versuchen sich so gut als möglich, vor Drogentoten zu schützen - hat alles aufgezeichnet. Eine bedauerliche Fügung des Schicksals, daß die Monitore in dieser Nacht einer Störung unterlagen, so daß das Sicherheitspersonal nichts von dem Unglück in Zimmer 33 bemerkte, das heute übrigens ein Jahr im Voraus gebucht werden muß.
Zugegeben erinnerte mich die Inszenierung an Elvis Tod. Nennen wir es eine Hommage, okay? Die letzen Augenblicke des Kings blieben vor den Augen seiner Fans verborgen - aber wäre er sie ihnen nicht schuldig gewesen?
Yehudis Ende gehört nun der Menschheit - und ist zum Kunstwerk mutiert.
Ich habe die Farben aus der Aufzeichnung gefiltert, die Kontraste verstärkt. Ein Film von einfacher Schönheit, der mit mehreren Kunstpreisen bedacht wurde - obwohl des Ursprung des Videos ein modernes Mysterium geblieben ist.
In einiger Zeit wir ein Videoclip auf dem Schwarzmarkt auftauchen. Ein Tape, das die seltsamen Geschehnisse auf einem verwaisten Werksgelände dokumentiert. Man wird sehen, wie ein Mann, dem bekannten Poeten ,Texter und Gewerkschaftsführer Muhammad sehr ähnlich, von mehreren Maskierten an der Fassade einer Lagerhalle unter Plastikfolie erstickt wird. Kabelstationen werden sich um diese künstlerische Aufbereitung von Muhammdas tragischem Schicksal reißen und sie werden es mit Sicherheit früher in Händen halten, als die Polizei. Für sehr viel Geld natürlich.
Obwohl all das verblaßt gegen PAN, den neuen PAN, die Legende. Ein Meisterwerk, das erst durch das neue Überwachungssystem möglich wird.
Die Polizisten haben Kameras in den Gewehrläufen, die aufzeichnen, sobald sie die Waffe entsichern. Aber mir geht es um die Mikroobjektive in den Projektilen. Die CCDs darin übertragen Bilder an den Empfänger in der Waffe, wo sie abgespeichert werden. Irgendwie haben sie das Problem gelöst, daß die jeweilige Ursprungswaffe nur Signale, der aus ihr stammenden Kugel aufzeichnet. So ist es endlich möglich, in den in Mode gekommen Prozessen gegen den Staat genau festzustellen, welcher der üblichen - ziemlich dumm dreinschauenden - Zivilisten von welchem Bullen über den Styx geschickt wurde. Tja, so was passiert eben, aber Gott sei Dank gibt es den Fortschritt der, der Wahrheit zum Sieg verhilft, nicht wahr?
Ein Projektil bewegt sich mit doppelter Schallgeschwindigkeit, legt in einer Sekunde gut siebenhundert Meter zurück und macht in dieser Zeit glatte siebenhundert Aufnahmen. Ein Bild pro Meter Genau genug um festzustellen, wen sie durchbohrt hat. Genau genug auch, um den letzten Ausdruck eines Gesichtes zu betrachten.
Den Ausdruck in PANs Augen in seiner letzen Sekunde. Wie wird er aussehen? Wie ein Held oder wie ein Idiot? Triumphierend oder entsetzt?
Gleichgültig, denn es ist sein letztes Gefühl, die letzten Augenblicke im Leben einer Legende im Zeitraffer. Mit jedem Sekundenbruchteil näher dran. Siebzig Phasen der Muskelbewegung in seinem Gesicht. Eine siebenhundertstel Sekunde vielleicht ein Lachen, dann Entsetzen, dann Verblüffung, dann Zorn, dann Angst, dann.......was? Erlösung? Was geschieht im letzten Augenblick? Jedes einzelne Bild wird großartig sein, daran besteht kein Zweifel für mich. Alle zusammen ergeben ein Leben.
Was wirklich in ihm vorgeht, ist unwichtig. In dieser Welt geht es lediglich um das Äußere, das Design, die Hülle - die Form der Botschaft ist wesentlich, nicht deren Inhalt. Die Bedeutung ist bedeutungslos geworden.
Etwas explodiert. Viele schreien.
Noch mehr Lachen. Es geht lustig zu heute Nacht. Die Luft flimmert vor freigesetzten Emotionen.
Jeder Schuß, den ich höre, bedeutet ein paar hundert Megabytes - und ist das nicht, was die meisten Menschen sind? Ein paar hundert Megabytes überflüssiger Daten? Zersplitterte Illusionen, zerplatze Träume, begrabene Ideale, komprimiert zu zahlen? Nur wenige lassen mehr zurück. So wie PAN.
Die Elektronik im Wagen hat alle Schüsse aufgezeichnet , aber es kann nur Sekunden dauern bis die Suchroutinen PANS Gesichtszüge identifizieren.
Mein Handy piept, ich öffne die Verbindung, höre die Worte , auf die ich sehnsüchtig gewartet habe. Ich liebe den erlösenden Augenblick nach stundenlanger, tagelanger Anspannung, wenn das Gelingen einer Arbeit zur Gewißheit wird. "Wir haben es." Ja, natürlich.
PAN würde mir danken, da bin ich sicher. Sie alle würden es . Yehudi in seiner Kloschüssel, Muhammad an der Fassade, PAN, wie er von der Baggerschaufel fliegt und die anderen, die vielen........nicht namenlosen, sondern legendären anderen.
So wie sie, die Frau in meinem Leben, wenn man so will. Eine der wenigen. Geliebt habe ich sie nicht. Das liegt mir nicht, dazu bin ich zu egozentrisch, schätze ich. Es war Verehrung für ihre Kunst. Sie war Pianistin, eine großartige ohne zu übertreiben......und ich vergötterte sie einfach zu sehr, als erlauben zu können, daß man sie vergißt. Sie starb während eine Konzertes in einem Transatlantikzeppelin. Da Ding stürzte einfach so ab. Die Legende behauptet während sie eine ganz besondere ihrer Kompositionen spielte. Sinking Ships.
Ein Bergungsroboter hat ihr Bild Stunden später zur Oberfläche gesendet. Im eisigen Wasser, eingekeilt zwischen Wand und Klaviertastatur liegt sie mit gespreizten Fingern da, als wollte sie weiterspielen. Der letzte Ausdruck auf ihrem wunderschönen Gesicht ist es, der mich nicht losläßt. Er ist nicht etwa angsterfüllt oder von Panik verzerrt, sondern zeugt von einer seltsamen Gewißheit. Man kann den Ansatz eines Lächelns nicht übersehen, so als wäre der Tod nichts weiter als eine außerordentlich inspirierende Erfahrung.
Habe ich das nicht immer behauptet?
Schon allein, weil sie meine erste Klientin war, werde ich sie nicht vergessen. Schließlich hat mit ihr mein Schaffen begonnen.
Die Laufbahn des außergewöhnlichen Bluesman.
Ich bin ein Künstler, ein Genie auf meine Weise.
Ich bin kein Teil der Geschichte, ich schreibe sie.
Ich brauche keine Götter, ich erschaffe sie.
Ich bin der Bluesman.
Ich kann aus jedem eine Legende machen.
Sogar aus Dir.

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