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Verdammte Weiber

Peter Lehnhart gehörte zu den Menschen, die dem Leben nicht gerade positiv gegenüber standen. Im Allgemeinen. Im Besonderen hatte er ein Problem mit dem anderen Geschlecht. Das lag nicht unbedingt an seinem Aussehen. Peter Lehnhart taugte zwar nicht unbedingt zum männlichen Modell, aber er hatte auch keine offensichtlichen Fehlbildungen... wenn man von seinen Augenbrauen absah. Die konnten kleinen Vögeln als nicht gerade spartanisches Nest dienen.
Seine Abneigung Frauen gegenüber resultierte vielmehr aus tausend Kleinigkeiten des Alltags. Und der ist bekanntlich mörderisch. Na ja, zumindest tödlich.

Peter Lehnhart starb an einem Freitag. Es war eine Verkettung unglücklicher Umstände (wie es so schön heißt) und dies zudem nach seinem ersten, kleinen Sieg über die Weiblichkeit. Was das Unglück aus seiner Sicht nur noch erhöht hätte.

Aber von Anfang an. Wir trafen uns, wie immer zur Einleitung des Wochenendes, in einem kleinen Cafe in der Nähe des Gendarmenmarktes. Hier gibt es tatsächlich ein paar nette Cafes... aber ich schweife ab.
Jedenfalls war ich zuerst da und bestellte für mich ein Hefeweizen und wollte gerade das obligatorische Altbier für Peter ordern, als er das Cafe betrat und völlig aufgelöst auf mich zukam.
"Du wirst es nicht glauben!"
Ich hob die Schultern und sah ihn fragend an. Er blickte zur Bedienung.
"Streichen Sie seine Bestellung. Eine Flasche Champagner!"
Wir reichten uns die Hände und er drückte mich nahezu in den Stuhl zurück.
"Du weißt ja, dass ich Probleme mit Frauen hatte..."
Ich nickte. Kein Wunder, wenn seine Mutter allein erziehend war und er drei Schwestern hatte. Natürlich war das nicht alles. Ich kannte seine ganze, traurige Historie. Und somit verstand ich auch seinen Lieblingsspruch:"Verdammte Weiber!"
Seine erste Freundin war ein Reinfall der besonderen Art. Sie war Klassensprecherin und Streberin. Natürlich stand sie immer im Mittelpunkt. Sie war präsent. Immer. Und was begehren wir? Das, was wir immer sehen und doch nicht haben dürfen. Peter jedenfalls fing an, sie zu umgarnen. Und dies auf eine schüchterne und unsichere Art. Sie ließ es sich gefallen, um ihn dann irgendwann vor allen Klassenkameraden zu demütigen. Details? Sagen wir es mal so: Unterhalb seiner Gürtellinie war nichts als Luft.
In der Lehre bekam er eine Ausbilderin, die ihn besonders forderte und trotzdem mit mäßigen Noten bedachte.
Seine Schwestern nutzten ihn aus, wo und wann es nur ging. Gleichzeitig hielten sie ihn mit"die Familie muss zusammenhalten" bei der Stange. Seine Mutter war ähnlich... und ließ doch nie ein gutes Haar an ihm.
Im Büro war seine Vorgesetzte (die Leiterin des Marketings) clever genug, seine Dienste für ihre Lorbeeren zu missbrauchen.
Seine Bekanntschaften... allesamt Problemfälle. Gespaltene Persönlichkeiten waren da eher noch die harmlosen Beispiele.
Aber es gab auch tagtägliche Gemeinheiten. Zum Beispiel ging Peter im Supermarkt mit Vorliebe an Kassen, die von Männer bedient wurden. Wenn er mangels Männerbesetzung doch auf eine weiblich kontrollierte Kasse ausweichen musste, dann konnte er sicher sein, dass entweder die Bonrolle gerade vor ihm alle war oder seine Kreditkarte nicht akzeptiert werden würde.
Peter war geschunden. Auf eine sehr besondere Art. Einmal überraschte er mich mit der Idee, schwul zu werden. Ich versuchte ihn zu überzeugen, dass das keine Entscheidungsfrage, sondern Veranlagung wäre. Resignierend weinte er sich an meiner Schulter aus.
Ja - so war das mit Peter.
Das alles gibt nur einen groben Überblick über das Kreuz, das Peter Lehnhart ständig mit sich herumzuschleppen hatte. Offensichtlich mochten ihn die Frauen nicht. Und irgendwann - wer konnte es ihm verübeln - beruhte dieser Zustand auf Gegenseitigkeit.
Dabei war Peter außerordentlich gut bestückt. Aber das tut bei Frauen ja nach eigenem Bekunden nur sekundär etwas zur Sache und da die Beziehungen Peters bereits auf der primären Stufe zum Scheitern verurteilt waren, kam es meist nicht zu Phase zwei.
Aber in jenem Cafe saß er vor mir und strahlte wie ein Honigkuchenpferd.
"Nun spann mich nicht auf die Folter!", bat ich ihn ungeduldig um Details.
Er nickte, nahm einen großen Schluck vom Edelsekt und begann.
"Ich hab sie gekriegt."
"Wen?"
"Die Frauen!"
Ich betonte, seine Worte wiederholend: "DIE Frauen?"
Er nickte heftig und begann endlich mit seiner Geschichte.
"Du weißt doch, dass gerade die Goldene Kamera verliehen wird. Und dass bei der Gelegenheit alle Prominenten aus ihren Löchern kommen und sich hier in Pose werfen. Na ja, ich bin heute früh versehentlich dazwischen geraten. Speziell zwischen Alice Schwarzer und Pamela Anderson."
"Du willst mich verkohlen."
Peter griente.
"Keineswegs. Jedenfalls war da gerade großer Promi-Empfang. Ein Schieben und Drängeln, wie es die Welt noch nicht erlebt hat. Reporter, Kameras, die ganze Palette eben. Das kennen wir sonst nur von RTL 2. Ich wollte nur ein bissl zusehen, als eine neue Welle ankommender Reporter mich vor sich her trieb und mich mitten ins Gewühl brachte. Auf jeden Fall war links von mir auf einmal Alice Schwarzer und süffisierte in gewohnter Manier, dass die Frauen in den Filmen zuviel Fleisch zeigen und sie somit der gemeinen Frau - sie benutzte tatsächlich diese Wortwahl - ihre Rolle als Liebessklavin im Alltag aufzwängten. Während ich noch meinen Kopf schüttelte, kam von der rechten Seite ein Tross mit Pamela Anderson auf mich zu. Ich dachte zu dem Zeitpunkt noch, dass eine Konfrontation dieser beiden Damen recht hübsch werden könnte. Aber dann fiel mir ein, dass ich ja mittendrin war, und befürchtete wahrscheinlich nicht ganz zu Unrecht, dass ich wohl wieder der Hanswurst sein würde. Also versuchte ich mich aus der Masse der hysterischen Medienmenschen herauszuwühlen. Es misslang. Plötzlich war ich mit den beiden Frauen und einigen Bodygards im Gang der Garderoben. Und dann kam das, was kommen musste..."
Er machte eine Pause, nahm einen weiteren Schluck und fuhr endlich fort.
"Gerade wollten mich die Bodygards als zu spät erkanntes Missverständnis wieder hinauswerfen, als Alice Schwarzer auf mich aufmerksam wurde und die Bodygards bat, von mir abzulassen. Sie fragte mich - als Mann von der Straße - was ich von der zunehmenden Verrohung der Sitten halten würde... speziell unter dem Gesichtspunkt der medialen Ausbeutung der Frau. Wahrscheinlich hatte sie nur übersehen dass ich ein Mann war und außerdem konnte sie nicht wissen, was mir Frauen mittlerweile bedeuten. Jedenfalls konnte ich mitbekommen, wie die Übersetzerin von Pamela Anderson eifrig ihrem Job nachging und sie die Blondine auf den aktuellen Stand des Geschehens brachte. Als Pamela alles verstanden hatte blickte sie interessiert auf mich... genau wie Alice."
Er lächelte.
"Peter, Du machst die Pausen an den falschen Stellen. Erzähl weiter!"
"Hast recht. Auf jeden Fall war ich ziemlich in der Defensive und mit meinen geistreichen Erklärungen war in dem Moment Ebbe. Aber dann kam mir eine Idee. Peinliche Situationen gibt es ja, wie Du weißt, für mich kaum noch. Also öffnete ich meinen Gürtel, sah Frau Schwarzer tief in die Augen und sagte zu ihr: "Falls es Ihnen entgangen ist... ich habe auch einen...". Damit ließ ich meine Hosen fallen. Alice drehte sich mit hochrotem Kopf um, die Übersetzerin sprach in Pamelas Ohr und diese wiederum lächelte. Tatsächlich... Pamela Anderson lächelte mich an. Nun, in dem Gang war es nicht gerade kalt und das Lächeln Pamelas sorgte für eine ausgeprägte Gelassenheit meinerseits. Gerade, als die Bodygards sich der Situation bewusst worden und ich fast schon waagerecht auf dem Weg nach draußen war, ertönte ein lautes"Wait!". Die Muskelmänner ließen wieder von mir ab und postierten mich wieder senkrecht einen halben Meter vor Pamela, die mich mit interessierten Blicken bemaß. Ich zog meine Hosen wieder in den Ursprungszustand und musste ungläubig staunen, als Pamela meine Hand nahm und mich hinter sich herzog... in ihre Garderobe!"
Ich wartete.
"Und? Ich meine... hast Du, habt Ihr... Pamela Anderson und Du?"
Er nickte nur.
Ich lehnte mich fast erschlagen im Stuhl zurück. Das war unglaublich. Peter, gerade er, mit dem Fleisch- und Silikon-gewordenen Traum der Hälfte aller Männer dieses Planeten...
"Was soll ich sagen. Wahnsinn!"
Er stimmte mir zu, bezahlte die Flasche mit großzügigem Trinkgeld, nahm seine Jacke und machte sich auf den Weg. Ich war sprachlos.
Er verließ das Cafe mit einer Art Glückseeligkeit. Ich schaute ihm hinterher und beglückwünschte ihn. Irgendwie hatte er es mal verdient. Mittlerweile stand er draußen auf dem Bürgersteig und sah durch das Fenster nochmals herein. Er lächelte, ja er strahlte förmlich. Ich winkte ihm hinterher. Er winkte zurück und machte einen ersten Schritt auf die Straße. Da kam, wie anfangs kurz angedeutet, der Bus der Linie 147 und nahm ihn einige Meter an seiner Frontseite mit.

Fast unnötig zu erwähnen, dass der Busfahrer weiblich war.

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