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Die Wahrheit über Verkehrssünder

In meinem Bekanntenkreis herrscht allgemein ein bestimmtes Verhaltensmuster vor, wenn sich ihnen ein Polizeifahrzeug nähert und meine Bekannte selbst gerade motorisiert sind. Sie neigen dazu, nervös zuckend in den Rückspiel zu schauen, Fingernägel zu kauen oder statt der Strasse gebannt die Tachonadel zu beobachten.
Dieses Verhalten kann fatale Folgen haben. Nicht nur, dass durch so hoch konzentriertes Ignorieren der Verkehrsvorgänge eventuelle Mitfahrer in Zukunft eher einnässen, als noch einmal einen Fuss in eine solche Paranoiakarre zu setzen oder dass während dem starren Blick auf den Tacho urplötzlich die Tachonadel eines Schwertransports unter ihrem Augenlid klemmen könnte, vielmehr ist dieses Verhalten eine klare Provokation für die ominösen Herren in grün.

Um das zu verdeutlichen, versetzen wir uns doch einfach mal in ihre Situation.

Stellen Sie sich zunächst vor, Ihre Lieblingsfarbe sei grün und Sie tränken ihren Kaffee schwarz. Diese Vorraussetzungen müssten Sie auch für den gehobenen Dienst erfüllen. Konzentrieren Sie des weiteren Ihr gesamtes Selbstvertrauen auf einen Schlagstock und eine Pistole in einem Halfter an Ihrer Hüfte, außerdem auf ein funzliges blaues Blinklicht auf dem Dach eines Autos, das Ihnen zwar nicht gehört, welches Sie aber trotzdem fahren dürfen.

Mit Ihrem Kollegen, einem Bruder im Geiste, befinden sie sich auf S.T.R.E.I.F.E - Das steht für "Stundenlange-TotalReizung-Einfachstrukturierter-Intelligenz"-FahrEinheit oder zu Beamtendeutsch: sinnlos ohne zeitliche Begrenzung in der Gegend herumfahren, hoffen, dass irgendetwas passiert, was Ihnen persönlich gegen den Strich geht.
Und schwarzen Kaffee trinken.
Nur, wenn man lange genug herumfährt, passiert meistens etwas, was einen nervt.

Mit sieben Tassen Kaffee auf dem Gemüt rasen Sie also durch die Innenstadt, Zone 50. Da begegnet Ihnen mein Freund Martin. Motorisiert. Wenn man das von einem Lupo behaupten kann. In einem angemessenen Tempo von ca. sechzig Stunden Kilometern fährt er glücklich ein Liedchen trällernd vor Ihnen her.
Vermutlich hätten sie ihn gar nicht bemerkt, er fuhr schließlich vorbildlich.
Bis er Sie bemerkte und wie ein Idiot die Bremse zukloppte.

Sie steigen ebenfalls in die Eisen, als wollten Sie irgendetwas Gefährliches, Ekliges zertreten.

Der Rest Kaffee widmet sich der Hose Ihres Kollegen, sowie dem Fussraum unter dem Beifahrersitz. Panisch aufschreiend fuchtelt er Ihnen grobmotorisch im Gesicht herum. Der Hüftgurt hätte sie perfekt halbiert, wenn Sie nicht das Lenkrad durch einen brachialen Stoß vor Schlimmerem bewahrt hätte. Die Hand Ihres Kollegen klemmte kurzzeitig zwischen dem Lenkrad und zwischen zwei Ihrer Rippen, wo sie nur begrenzten Schaden anrichten konnte.

Die Finger Ihres Kollegen einzeln aus Ihrer Seite entfernend, schweifte Ihr Blick in Richtung Kennzeichen des potentiellen Verbrechers.

Martin ist unterdessen hochzufrieden mit sich. Ihm ist ein Strafzettel erspart geblieben, dessen ist er sich sicher. Mit einem Durchschnittstempo von fünfunddreißig Stundenkilometern setzt er seine Fahrt fort. Die Augen heften am Rückspiegel. Ängste kommen auf, als er sich ins Gedächtnis ruft, was er heute zu sich genommen hatte.

Martin ist Student, hat folglich nicht viel zu essen. Als letztes hatte er vor drei Stunden einen Apfel gegessen. Je mehr ihm das bewusst wurde, umso mehr glaubte er , einen leichten Hauch Vergorenes zu schmecken.

Jetzt bloß keinen Fehler machen, Martin. Ein Blick auf seinen Tacho sagte ihm, dass er fünfzehn Stundenkilometer zu langsam fuhr, wenn man so will. Unter ständigem Blickwechsel zwischen Strasse, Tacho und Rückspiegel erhöhte Martin mit einem mörderischen Konzentrationsaufwand exakt im Zweiminutentakt seine Geschwindigkeit um je einen Stundenkilometer. Leichte Abweichungen von der Fahrtrichtung waren unvermeidbar.

Sie sind mittlerweile hellwach. Ihr Jagdinstinkt war angesprungen. Es gab ein Wort, dass sich Ihnen unweigerlich immer wieder ins Bewusstsein drängte: F.E.S.T.N.E.H.M.E.N.
Was frei übersetzt so viel heisst, wie "Folgerichtiges Erkennen Schwerwiegender Tatbestände Nominativer Einzelpersonen Häufig Mit Einhergehender Neutralisierung"
Der brennende Schmerz in den Rippen, genauso wie der im Fahrgastraum zunehmende Kaffeegeruch formten die Silben unaufhörlich.
Da! Sie bemerken ein Schlingern des Lupo. Noch einmal. Zufrieden strahlen sie Ihren Kollegen an, der Ihr Lächeln breit erwidert. Sie nicken sich zustimmend zu.

Die Sirene wird angeworfen. Worte wie "Fahren Sie rechts ran!" und "Polizei!" drängen sich Martin auf wie süßliches Parfum. Er fängt an zu schwitzen und kurbelt, langsam, das Fenster auf der Beifahrerseite hinunter.

Ahmed krass. Bassboost voll auf, Bass dröhnt an Scheiben. Überholt mit hundertunddrei Sachen Bullenauto. Von rechts. Zeigt ihnen Stingefinger. Bullen ham Schiss, gucken nur geradeaus. Ahmed ist krass.
Scheisen. Jetz muss Ahmed sein Haschisch loswerden, weil wenn Bullen ihn fragen, wär scheise. Ahmed schmeisst aus Fenster.

Martin spürt, wie sein Herzschlag seinen ganzen Körper erschüttert. Sogar seine Fensterscheiben dröhnen schon. Ein kleiner Gegenstand fliegt ihm an den Kopf. Irritiert kurbelt er das Fenster wieder runter und stellt erstaunt fest, dass sich das auf die Lautstärke seines Herzschlages auswirkt, welcher sich zunehmend normalisiert.

Das Polizeifahrzeug beginnt mit angeschaltetem Martinshorn und Blaulicht damit, den Lupo von hinten zu rammen. Durch die Erschütterung erbricht Martin seinen Apfel. Es stinkt, als besäße er seinen eigenen Weinkeller. Im Fahrgastraum seines Autos. Durch das Würgen verkrampft sich Martins Körper, versehentlich gibt er Vollgas.

Als pflichtbewusster Polizist eröffnen Sie beide das Feuer auf das flüchtige Fahrzeug und beordern mehrere Einsatzfahrzeuge zur Verstärkung und lassen zusätzlich durch ein mobiles Sonderkommando der Autobahnpolizei alle Schnellstrassenauffahrten sperren. Schon bald zerschneiden die umherzuckenden Lichtkegel von mehreren Hubschraubern die nächtliche Schwärze.

*

Wie Sie sehen, schneller als man glaubt, kommt es zu solch dramatischen Missverständnissen. Martin bekam die Fahrerlaubnis entzogen, wegen Trunkenheit am Steuer. Und zwei Jahre ohne Bewährung wegen Drogenbesitz.

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