© der Geschichte: Michael Eichhammer. Nicht unerlaubt
vervielfältigen oder anderswo veröffentlichen. Alle Rechte
dieses Werkes liegen bei dem Autor. Diesen Disclaimer bitte
nicht entfernen


Eine kurze Geschichte der Menschheit

erzählt von Michael Eichhammer

Es war einmal ein Wald, in dem alle Menschen friedlich zusammenlebten. Jeder achtete den anderen, unabhängig davon, ob dieser schwarz, rot oder grün war, sogar unabhängig davon, ob dies seine politische Gesinnung oder seine Hautfarbe war. Die Menschen im Wald betrachteten alles was sie hatten als gemeinsamen Besitz. Das fanden sie natürlich sehr erfreulich, hätte ihnen aber bestimmt mehr Spaß gemacht, wenn sich dieser Besitz nicht nur auf die Bäume und Tiere des Waldes beschränkt hätte.
Diese schöne Zeit, in der die Leute viel derselben damit verbrachten, sich gegenseitig Bäume und Tiere zu schenken oder neue Waldbewohner zu erzeugen, hätte eigentlich immer so weiter gehen können, denn vor lauter Schenken und Zeugen hatte niemand Zeit, um auf dumme Gedanken zu kommen. Niemand außer dem einen, dem niemand jemals etwas geschenkt hatte. Nicht einmal Zeit. Deshalb kam er auf eine Idee, die das Leben im Wald ziemlich verändern sollte. Glücklicherweise war es eine positive Veränderung. Unglücklicherweise waren alle außer ihm da anderer Meinung.

Er beschloß, daß der ganze Wald ihm allein gehörte und teilte es den anderen mit. Da die anderen aufgrund dieser Neuigkeit in Empörung ausbrachen, erklärte er ihnen, daß dies auch positive Aspekte hätte. "Welche?", wollten die anderen wissen und nach einer Weile fiel ihm einer ein: " Ihr dürft dafür für mich arbeiten."
Wider Erwarten zeigten die Waldbewohner statt ihrer Dankbarkeit nur den Stinkefinger und wollten ihm an die Wäsche gehen- was natürlich bildlich gemeint ist, weil die Wäsche, insbesondere die richtige Outdoor-Mode für den Waldspaziergang, erst viel, viel später erfunden wurde.Er versuchte die Massen mit einer beschwichtigenden Geste seiner Hände zu beruhigen, die offensichtlich so effektiv war, daß sie in das kollektive Repertoire an Ur-Gesten aufgenommen wurde und seither von vielen seiner Nachfahren mehr oder weniger erfolgreich kopiert wurde. "Dafür schenke ich euch Geld.", verkündete er strahlend und blickte neugierig in die Menge, wie die frohe Botschaft wohl aufgenommen würde. Die Waldbewohner blickten ihn erst verständnislos an und artikulierten dann vereinzelt ihre Fragen: "Aga aga", meinte einer, der übrigens einige Jahre später, als veraltetes Modell eingestuft, aus den Bauplänen der Evolution gestrichen wurde. Ein anderer präzisierte die Frage: "Was ist Geld?" Der neue Herr des Waldes, der sich seit diesem Tag nur noch als "Chef" ansprechen ließ, erklärte es ihnen hilfsbereit: "Geld wird aus den Bäumen gemacht."
"Und was sollen wir mit deinem Geld?", fragte eine der Frauen, die der Chef nie gehabt hatte.
"Ihr könnt damit Bäume kaufen."
Das hatten alle verstanden und der Kapitalismus war geboren.

So machten sich die Waldbewohner daran, die Bäume zu fällen und daraus Papier und Bleistifte herzustellen. Sie gaben alles dem Chef, der mit den Bleistiften auf kleine Papierzettelchen das Wort "Geld" schrieb und sie an die Arbeiter verschenkte. Am Abend waren alle müde, die Arbeiter vom Fällen der Bäume und der Chef vom Zählen der Papierscheine. Der letztere legte sich unter einen Baum zur Ruhe und als die anderen ihm gleichtun wollten, erklärte er ihnen, daß sie dazu einen Mietvertrag bräuchten. Die Waldbewohner gaben also ihre Zettel zurück und bekamen dafür neue Papierscheine, auf die der Chef "Mietvertrag" schrieb. Das ganze ging so eine Weile, bis dem Chef die Papierscheine, die sich unter seinem Lieblingsbaum schon meterhoch stapelten zu unübersichtlich wurden. Er beschloß, daß er, um den Überblick nicht zu verlieren, einen Aktenordner brauchte. Nicht einfach irgendeinen Ordner, wie man ihn in jedem Kaufhaus bekommen hätte, wenn er diese schon erfunden hätte - nein, es müßte ein representativer Aktenordner sein, der seine mühsam erkämpfte Stellung im Wald symbolisch zum Ausdruck brachte: Ein Aktenordner mit einem Einband aus Schweineleder.
Also erklärte er den Waldbewohnern, daß die Miete erhöht werde und sie, um sich das Leben im Wald noch leisten zu können, zu jedem gefällten Baum auch noch ein Schwein erlegen müßten. Vor lauter Arbeiten hatten die Waldbewohner langsam gar keine Zeit und Lust mehr neue Waldbewohner zu erzeugen oder sich irgendetwas zu schenken. Nicht einmal Vertrauen.
Manche starben an Erschöpfung und da keine Nachfolger geboren wurden, mußten die anderen umso härter arbeiten, was wiederum dazu führte, daß mehr Leute an Erschöpfung starben. So stapelten sich Papierscheine und Aktenordner, bis es bald immer schwieriger wurde Bäume, die man noch fällen, oder Schweine, die man noch erlegen könnte, zu finden. Und eines Tages...aber ich will das Ende nicht vorwegnehmen- und außerdem geht ja auch langsam das Papier aus...

zurück