© der Geschichte: Josef Bühler. Nicht unerlaubt
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Liebes Tagebuch

Heute war ein ausserordentlicher Tag. Ilsa hat mich verlassen. Nicht dass ich traurig oder gar untröstlich wäre, aber sie hat den Toaster mitgenommen. Sie könne mit mir nicht mehr leben, ich sei zu dick geworden und im Bett sei ich eine Niete. Und ich frage mich: warum den Toaster? Sie packte ihre Sachen, räumte ihre Gesichtsbemalungsstifte aus meinem Toilettenschränkchen und verschwand. Und unter ihrem Arm trug sie meinen Toaster.

Ich sass lange regungslos auf dem Klo und versuchte zu verstehen, was vorgefallen war. Als ich abgewischt hatte, eben mein Frühstück zubereitete und in dieser Absicht das Toastbrot in meinen Toaster stecken wollte kamen sie über mich: diese niederschlagenden Gefühle der Einsamkeit und der Leere, in letztere welche ich die beiden unschuldigen Weissbrote zu stecken versuchte.
Er kam aus der Unendlichkeit, dieser Moment, als mein roher Toast auf die Küchenkombination fiel. Ich sog den Anblick des Aufpralls in mich auf und starrte. Diese Schlampe. Natürlich wusste sie, dass ich ohne meinen Toaster nicht leben kann. Natürlich wusste sie, dass ich mit der Situation überfordert sein würde.

Mein Toaster: im Geiste unzertrennlich mit London verwachsen. Als ich diese Stadt aller Städte zum ersten Mal besuchte, sah ich ihn. In einem kleinen Geschäft in der Camden-Street. Ich musste ihn haben. Damals reiste ich drei Tage früher nach Hause, weil ich kein Geld mehr hatte. Doch ich hatte den grössten Reichtum der Welt in meinem Gepäck: den Toaster von Königin Victoria.

Diese Schlampe. Sie wusste, dass ich jeden Morgen meinen königlichen Toast brauchte. Tag für Tag sollte ich mich an sie erinnern, das war ihr Plan. Ich aber war ganz gelassen. Ich rief Herrn Bröselmeier an und sagte ihm, dass ich heute krank wäre und erst morgen wieder auf den Beinen sein würde. Ich fuhr zum Flughafen, kaufte ein Ticket und landete 90 Minuten später auf dem Flughafen London Heathrow. Runter in die U-Bahn, mit der Piccadilly- und der Northern-Line zur Station Camden-Town. Dort ausgestiegen und einige Meter gelaufen und schon stand ich da. Closed on Sunday. Sunday? Closed?

Diese Schlampe. An einem Sonntag musste sie mich verlassen. Sie wusste, dass ich Sonntags nirgends einen Toaster kriegen konnte. Aber sehen konnte ich ihn. Er stand in voller Pracht im Schaufenster. Und was ich nicht zu hoffen gewagt hatte, war doch tatsächlich eingetroffen: in der Auslage des Geschäftes befand sich keineswegs etwa nur der Toaster von Prinzessin Margreth oder noch schlimmer, derjenige von Prinz Charles, nein, der zweite Toaster von Königin Viktoria - den sie zweifelsohne besessen haben musste, denn er stand ja da - stand nur wenige Zentimeter vor meiner plattgedrückten Nase. An der verschlossenen Eingangstür war die Telefonnummer des Geschäftsinhabers zu lesen. Ein gewisser Mohammed abdel ben Schaumbad oder ähnlich.

Kurzentschlossen ging ich zur nächsten Telefonzelle und rief den guten Mann an. Er wollte mir erklären, dass Sunday sei und er an selbigem nicht arbeite und keinesfalls sein Geschäft aufmache. Auch wollte er mir weissmachen, dass Königin Victoria keinen elektrischen Toaster besessen haben soll. Reine Ablenkungstaktik, dachte ich. Hatte ich doch meinen Toaster vor kaum zwanzig Jahren in eben diesem Geschäft nach Vorlage des amtlichen Herkunftszertifikat erstanden. Ich liess mich also nicht beirren und drohte dem Perser wüste Folgen und Mohammedanische Verfluchungen an. Dies schien seine Meinung zu Ladenöffnungszeiten aber nicht weiter zu beinflussen. Unter der Androhung, mir den Toaster mit Gewalt zu holen, wenn er nicht innert 30 Minuten vor Ort sei, hängte ich auf.

Nach 31 Minuten schnappte ich mir den erstbesten Stein über 5 Kilo und schlug die Schaufensterscheibe ein. Sirenen heulten, Drehlichter blitzten und alles Volk sah zu mir. Unbeirrt schnappte ich mir den Toaster, warf unter Berücksichtigung der Teuerung und des Schadens 1000 Pfund in das Geschäft und zog glücklich von Dannen. Als ich im Flughafen einchecken wollte, fragte mich eine Dame mit fremdländischem Teint, ob ich irgendwelche elektrischen Geräte im Gepäck habe. Vorsichtshalber verneinte ich. Bei Fremden muss man schliesslich vorsichtig sein. Beim Durchqueren des Metalldetektors piepse dieser fröhlich und ich wollte schon weitergehen, als mich ein grosser Muskelbepackter Polizist aufforderte, meine Tasche zu öffnen. Ich öffnete und er schnappte sich meinen Toaster. Er wollte schon mit ihm davonziehen, als ich den Ernst der Lage erkannte. Mein Toaster war ein absolutes Unikat (bis auf das Unikat, das meine Schlampe jetzt hatte) und dieser Bulle wollte ihn haben. Wutentbrannt stürzte ich mich auf ihn. Er wehrte sich tapfer, aber meinen Tiefschlägen hatte er nichts mehr entgegenzusetzen. Ich sah von allen Seiten Polizisten auf mich zurennen. Frauen schrien, Männer erblassten, Kinder machten in die Hose und ich schnappte mir die Pistole des sich krümmenden Polizisten. Ich gab einen Warnschuss ab und alle Leute blieben stehen. Ich nahm meinen Toaster und machte mich auf den Weg zu meinem Gate. Alle Menschen schauten angespannt auf mich. Jeder und Jede schien ihn haben zu wollen, den Victorianischen Toaster. Ich hielt es für das Beste, Begleitschutz anzufordern und winkte mit der Pistole einen nahestehenden, die Hände in die Höhe haltenden Wachmann zu mir. Dieser folgte meiner Aufforderung umgehend und gesellte sich mit hoch erhobenen Händen zu mir.

Der gute schienen an einer bösartigen Muskelverkrampfung zu leiden. Ich hielt es für das Beste, ihn nicht darauf anzusprechen. Als wir an meinem Gate ankamen, rannten alle Stewardessen kreischend davon. Ist doch keine Art so was, dachte ich noch, der arme Engländer konnte doch wahrlich nichts für seine Behinderung. Da niemand mehr da war, der meinen Boardingpass in Empfang hätte nehmen können, begab ich mich in den lustigen Tunnel, der zum Flugzeug führte. Dort erst fühlte ich mich sicher. Ich bedankte mich artig bei meinem Leibwächter und klopfte ihm auf die Schulter. Anscheinend hatte es der Ärmste nicht nur mit den Armen sondern auch mit der Blase. Leider hatte ich keine Zeit mehr, mich weiter um ihn zu kümmern.

Ich stieg in das Flugzeug. Es war noch keine Menschenseele da. Ich begab mich verwundert zum Cockpit um nachzufragen, wo denn all die Passagiere seien. Als ich dem Chefpiloten vorab die Pistole des Polizisten zur sicheren Verwahrung übergeben wollte, streckte dieser seine Hände in die Höhe und faselte in einer fremden Sprache. Er schien ein sehr sensibler Mensch zu sein, begann er doch zu heulen und zu winseln. Er zeigte mir Fotos von Kindern und einer gutaussehenden Frau und weinte dabei noch mehr. Die persönlichen Probleme dieses offensichtlich südländischen Herrn interessierten mich in diesem Moment jämmerlich wenig und ich bat den Kopiloten mir Auskunft über die Boarding- und die Abflugzeit zu geben. Dieser schien mich aber nicht recht verstanden zu haben, wurde er doch immer weisser im Gesicht und war nicht mehr in der Lage seinen Urin länger innerhalb seines Körpers aufzubewahren. Langsam wurde mir die Sache zu bunt. Ich fluchte was das Zeug hielt und tat gestenreich kund, dass ich nach Hause wolle. Wie durch ein Wunder schienen mich die Beiden zu verstehen. Sie schnallten sich an, fuhren mit ihrem Airbus zur Startbahn und hoben ab.

Der Flug verlief relativ ruhig, bis der Urin der Piloten durch eine kleine Öffnung im Boden unter den Sitzen weiter in's Innere des Flugzeuges floss. Auf einmal begannen alle Lichter auf dem Armaturenbrett zu blinken, aus dem Boden schwebten kleine Rauchschwaden in das Cockpit und die Piloten wurden noch nervöser, als sie es ohnehin bereits waren. Ich hielt es für das Beste, mich auf einem Sitz hinten im Flugzeug anzuschnallen und den zweifelsohne bevorstehenden Absturz von da aus zu verfolgen. Wider Erwarten fanden die Piloten einen passenden Flughafen und landeten den Vogel relativ sanft. Durch das Fenster sah ich von allen Seiten Polizeiautos und grün bemalte Schützenpanzer auf uns zurasen. Irgend was stimmte hier doch nicht. Die beiden Piloten waren mir von allem Anfang an nicht geheuer.

Was die wohl ausgefressen hatten? Raub, Mord, Vergewaltigung oder gar Kidnapping? Ich stürmte in's Cockpit und befahl den Verbrechern unter Waffengewalt, sich gegenseitig eins in die Fresse zu schlagen. Leicht benommen, waren die Zwei relativ einfach zu handhaben. Ich band sie mit meiner Freizeitjacke zusammen und führte sie zur Ausstiegsluke. Als diese sich öffnete, stand der gesamte Polizeichor des Flughafens im Halbkreis mit gezückter Waffe zu meiner Begrüssung da. Ich schnappte mir die Tasche mit meinem Toaster und schritt die herbeigefahrene Gangway hinunter. Froh darüber, die Sache überstanden zu haben, winkte ich den Polizisten mit meiner Pistole zu um anzudeuten, dass ich die Beiden Banditen unter Kontrolle hatte.

Die Polizisten reagierten wirklich toll. Sie warfen alle ihre Waffen weg und gaben mir damit zu verstehen: "Es sind deine Gefangenen, du bist der Mann, der sie hinter Gitter bringt." Tief gerührt schritt ich mit meiner Beute zum Flughafengebäude und wollte sie in's Büro der Polizei bringen. Mein Begrüssungskomitee folgte mir mit gebührendem Abstand. Kurz bevor ich das Büro der Flughafenpolizei betrat, riss sich einer der Gangster von mir los und rannte auf die Polizisten zu. Dabei stiess er wilde Kampfschreie aus machte ungelenke Bewegungen. Kurz bevor er den ersten Wachmann erreichte und ihn hätte verletzen können, brachte ich ihn mit einem gezielten Kunstschuss in sein rechtes Bein zu Fall. Sofort ergriffen ihn meine Kollegen und rannten mit ihm davon. "Besser so", dachte ich, "der Kerl ist gemeingefährlich."

Als ich mit meinem verbliebenen Gangster das Büro der Flughafenpolizei betrat, war da niemand. "Kommen Sie mit erhobenen Händen raus, Sie haben keine Chance, geben Sie auf", war von Draussen zu hören. Die Sache schien mir nicht ganz klar oder nachvollziehbar, aber wenn die das so haben wollten... Ich band also meinen Gefangenen los und befahl ihm, die Hände in die Höhe zu halten und langsam aus dem Büro zu gehen - ich wollte ja schliesslich nicht sein Leben gefährden, man weiss ja, wie schiesswütig die Polizisten heutzutage oft sind. Kaum aus der Tür getreten rannte der Typ aber wider meiner Anweisung wie von der Tarantel gestochen auf die Polizisten los. Ich packte sofort meine Kanone und schoss ihn nieder, noch bevor er einem meiner Kollegen hätte ein Haar krümmen können.

Ich fühlte mich danach schlecht. Natürlich hatte ich das einzig Richtige getan, natürlich war es meine Pflicht, die unschuldigen Polizisten zu schützen, aber ich hatte einen Menschen verletzt, vielleicht sogar getötet (so genau hatte ich nicht mehr hingesehen). Ich beschloss, noch einen Moment mit mir allein zu bleiben und trat zurück in das Büro. Und hier sitze ich nun, mein liebes Tagebuch und versuche diesen ereignisreichen Tag zu verarbeiten. Es will mir einfach nicht recht gelingen. Draussen rennen meine Kollegen nervös hin und her und scheinen verwirrt zu sein. Einer ruft dauernd: "Erschiesst den Schweinehund, erschiesst ihn, bevor er noch jemanden umlegt." Ein anderer schreit "Geben Sie endlich auf, Sie haben keine Chance" in sein Megaphon. Anscheinend habe ich den zweiten Kerl nicht richtig erwischt, dass er ihnen noch immer dermassen Umstände macht. Oder aber die Flughafenbullen sind mit der Situation total überfordert. Was auch immer, ich werde jetzt rausgehen, den Kerl erledigen und mir anschliessend meine Lorbeeren, vielleicht sogar meine Orden, abholen. Und dann, dann werde ich nach Hause gehen, meinen Toaster anwerfen und mir meinen königlichen Toast zu Gemüte führen; mit oder ohne Ilsa, dieser Schlampe.

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