© der Geschichte: Frank Broszeit. Nicht unerlaubt
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Von einem der auszog das Fürchten zu lernen

Abends


Es war dunkel geworden und doch noch früh am Abend.
Alles schlief schon, ein ruhiges Haus.
Ein kleiner Junge, höchstens 7 oder 8.
Er zog sich an, die wärmsten Sachen die er hat und die großen Stiefel.
Etwas unbeholfen packte er die Schlittschuhe in seinen Rucksack, doch er schaffte es. Nur noch die Pudelmütze fehlte und die Handschuhe, aber an diesem Abend vergaß er nichts.
Es schneite ihm entgegen als er aus der Tür trat, er freute sich, er freute sich immer wenn es schneite.
Leise zog er die Haustür hinter sich zu und versuchte in die Handschuhe zu gleiten, nach einer Weile gelang es und er lief er los.
Immer mehr Flocken setzten sich auf ihn nieder während er lief, Eiskristalle bildeten sich an seinem Kragen, doch er lief.
Seichtes weiß säumte seinen Weg. Er liebte es wenn der Schnee unter den Stiefeln knirscht. Weit entfernt waren die letzten Häuser, verschwanden hinter Hügeln, das Licht wurde matter, die Welt versank in einem grauen Schleier.
Vor ihm lag der Wald. Zuerst die kleine Steigung, erste Bäume standen Spalier, suchten zu verhindern, dass der Schnee Helligkeit in ihr Reich trägt.
Seine Augen gewöhnten sich kaum an die Finsternis, zu kurz war sie, zu schnell knirschte wieder der Schnee unter seinen Füßen, zu plötzlich wiesen ihm Spuren den Weg. Ein schmaler Pfad. Aufpassen mußte er hier, damit seine Stiefel nicht schmutzig wurden, aufpassen mußte er vor den Schlammpfützen, die gelegentlich seinen Marsch zu bremsen suchten. Er lief gleichmäßig, denn er kannte sein Ziel, er wußte dass Dunkelheit vor ihm lag.


Schatten

Vielleicht war er der Einzigste an diesem Abend, der die Schwärze und die sich über ihr abzeichnenden Tannen so wahr nahm, vielleicht war er der einzigste der keine Furcht hatte, vielleicht. Vorsichtig umging der das eisige Morastloch um mit der Finsternis zu verschmelzen, die neuen Schuhe sollten einfach nicht schmutzig werden. Bäume auf der rechten, ein stummer Bach auf der linken zeigten ihm den Weg. Nichts war zu sehen, nur die Schatten, die unscheinbar hinter den Hölzern auftauchten um im selben Augenblick wieder zu verschwinden.
"Und als ich wanderte im Dunklen Tal", dachte er, er dachte nur diese Worte, diese 7 Worte, die er in einigen Jahren einmal beigebracht werden bekommt.
Er fühlt nichts dabei, denn es sind nur eine Hand voll Worte und er ist noch so klein - Schatten.
Es waren viele, doch er kannte sie, denn die Schatten sind auf der ganzen Welt gleich. Hier und da tauchten Augen auf, gelbe Augen, die scharfe Zähne erahnen lassen, Zähne die erahnen lassen was denen widerfährt, wenn sie sich aus dem Dunkel lösen. Sie zeigten sich nur schemenhaft und wichen jedem direkten Blick aus - und doch waren sie da. "Ich will euch sehen wenn ihr kommt", ging es durch seinen Kopf und so schob er den Rand seiner Pudelmütze etwas höher, sie kamen nicht. Wurzeln versuchten seine Füße zu Fall zu bringen, sie schafften es nicht. In gleichem Takt durchschritt er die Finsternis Meter um Meter, Schatten um Schatten.
Ja, auch die Schatten kannten ihn, wußten wer er war, wußten dass er viele von ihnen gezeichnet hatte in seinem kleinen Wandschrank, in seinem Bettkasten, in all den Winkeln in denen sich die Erwachsenen nicht hinein trauen, nicht fähig sind zu sehen - weil es dunkel ist.
Sie wußten alles.


Wege

Kein Wind, kein Garnichts war zu hören, nur der rieselnde Schnee und zwei saubere Stiefel.
Fast geblendet trat er aus dem Nichts in das kleine Tal, tanzende Flocken umwehten die Hügel und begleiteten ihn, selbst die Sträucher winkten, froh jeden zu sehen der das dunkle Meer verläßt.
Der Trampelpfad wuchs erst zu einem Weg, dann zu einer Steigung und schließlich zur Straße. Es war anstrengend für die kleinen Beinchen ihn zu tragen, sein linkes Knie begann zu schmerzen, doch er humpelte weiter, immer im gleichen Takt, denn es wäre nicht richtig gewesen um zu drehen, dass wußte er - nein - dass fühlte er. Es war ein friedlicher und einsamer Anblick, die Landstraße und verschneite Welt. Endlich knirschte wieder der Schnee so richtig, er liebte dieses Geräusch. Es war eine kurvenreiche Straße aber er spürte dass kein Fahrzeug kommen würde, nicht jetzt. Nur ab und zu mußte er kleinen Pfützen ausweichen - der Schuhe wegen. Gelegentlich gab es wieder ein paar Bäume, doch die Schatten waren weg. Sein Knie meldete sich gelegentlich zu Wort, nur die Schmerzen blieben stumm. Eine endlose Straße in einem endlosen Land. Der endlose Marsch zweier kleiner Füße.

Welten


Langsam, Stück für Stück rutschte ein Träger seines Rucksacks immer tiefer. Es war unangenehm aber erträglich, keine Bewegung durfte ihn vom Weg abbringen und so ließ er ihn in Ruhe.
Er kam an eine Straße, zu klein um zu verstehen, groß genug um zu fühlen. Sie war anders, färbte den Schnee orange, erhellte alles um sie herum. Nein, sie paßte nicht hierher, unwohl war ihm als er sie überquerte, Angst hatte er sie benützen zu müssen. Und selbst der Gurt seines Rucksacks hing wieder gerade.
Er kannte das Ziel, obwohl er noch nie da war, nur der Weg war ihm unklar. Etwas verloren sah er aus im Schein der Laternen.
Plötzlich bemerkte er ein Schild, fast vollständig vom Schnee bedeckt. Es hing hoch, aber er wollte lesen was da steht. Sachte kletterte er den feuchten Weidezaun empor um das kleine Holzschild frei zu kratzen, mehr tastend als lesend freute er sich einen Weg gefunden zu haben.

Zauberkraft

Es war ein schöner weg, leider gab es viele Schlammlöcher, aber auch verschneite Felder und Schienen.
Noch lieber als das Geräusch knirschenden Schnees, gefiel ihm der Klang der Steine, also ging er den kleinen Bahndamm entlang, Fast lächelte er. Erschrecken, kein anderes Wort fällt mir ein es zu beschreiben. Genau das mußte er gefühlt haben, als er die beiden Scheinwerfer eines Autos aufblitzen sah. "Es darf hier nicht lang fahren", dachte er. Der Wagen hielt in der Ferne, ein Haus tauchte auf. Nichts konnte ihn aus seinem Tempo bringen, gleichmäßig bewegten sich die Stiefel, bewegte sich ein Kind.
Er kam näher, doch irgendwie ängstigte ihn diese Situation. Er war bereit unsichtbar zu werden wenn sie den Weg nicht freiwillig räumten. Er haßte es unsichtbar zu sein. Er wollte nicht unsichtbar sein.
Der Wagen strahlte immer noch in seine Richtung, wurde größer, ebenso das Haus. Jemand stieg aus um ein Tor zu öffnen und ließ ihm keine Wahl.
Wie ein Ritter sein Visier herab läßt, so zog der Kleine die Mütze tiefer. Nur noch einen Spalt konnten die winzigen Augen durchblicken.
Als er wieder auf sah war es still. Kein Wagen, keine Menschen, unsichtbar.
Er haßte es unsichtbar zu sein.


Der See


Selbst das Räumfahrzeug vermochte ihn nicht zu entdecken und so kam er wieder zurück in diese Welt, damit ihn der Schnee wieder sehen kann.
Bald würde er da sein, tief drinnen war es geschrieben.
Seine Beine wurden schwach, doch sie hielten ihn nicht auf, die Schulter tat ihm weh und auch der Gurt hing wieder etwas.
Aber all das machte nichts, es war belanglos. Die letzten Meter des ‚Bahndamms hüpfte er von einem Gleis zum anderen, es war schwer mit den großen Boots, aber er schaffte es. Ein kleine Gasse führte hinunter zum See.
Einzelne Häuser säumten den Weg, manche beleuchtet.
Parkbänke standen Spalier in der Mitte kahle Bäume und der See.
Etwas, nur etwas enttäuscht registrierte er, dass er eingezäunt war und mit Stacheldraht versehen.
So weit haben ihn die Beine getragen und so gingen sie auch noch etwas weiter, bis zu einer Stelle, an der die Menschen keinen verletzenden Draht gespannt hatten und eine Parkbank es ihm ermöglichte hoch zu klettern.
Zuerst warf er die Tasche mit den Schlittschuhen über den Zaun, dann hängte er sich daran und ließ sich von dem biegenden Metall zur Erde tragen. Der Boden war weich, nur spärlich nahm sie den Schnee auf. Keine Möglichkeit ließ sie ihm die Stiefel sauber zu behalten.
Er kam an den Rand des Sees. Es war kein großes Gewässer, doch sein Anblick erfreute das kleine Herz.
Er setzte die Tasche vorsichtig ab um die Schlittschuhe raus zu holen. Es gelang ihm gerade noch, bevor sich der Boden mit brauner Flüssigkeit vollsaugte. Er mußte sich setzen um die schweren Schuhe von den Füßen zu bekommen und die Kufen an zu ziehen. Die Hose durchweichte genauso wie seine langen Unterhosen, auch die Handschuhe wurden schmutzig als er sich hochstemmte und auf das Eis zu wankte.
Der See war nicht ganz gefroren, nur am Rand bemerkte man eine kleine Schicht, doch sie mußte auch nur für kleine Kufen reichen.
Die ersten Zentimeter glitt er durch Eis und Schnee bevor das Eis selbst den kleinen Körper nicht mehr halten wollte. Vielleicht war es auch einfach zu schwach ihn zu halten. Beide Kufen steckten im Grund zwischen Scherben gebrochenen Eises. Seichtes Wasser umspülte die Schuhe. Er versuchte immer wieder Fuß auf dem eis zu fassen, doch es brach immer wieder ein.
Traurig viel er auf die Knie. Die Knie auf Eis und das Eis unter Wasser.
Feuchtigkeit durchtränkte seine Beine und Gesäß. Traurig blickte er zur Mitte des Sees. "Warum ist es so kalt wenn man nicht Schlittschuhlaufen kann?", fragte er sich. Er verstand nicht, die Kälte hatte ihren Sinn verloren, aber warum war sie dann da?


So weit die Füße tragen


Er kroch den einen Meter zurück an Land, setzte sich und zog wieder die schweren, schlammigen Stiefel an.

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.................... zu müde für Rest

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Unsichtbar

Er stolperte über die Fußmatte, nur die Haustür bewahrte das Eis davor, auf dem Boden zu zerbrechen.
Zitternd und schlotternd schabte der Schlüssel eine Ewigkeit bevor er die Öffnung fand und eine weitere Ewigkeit klapperte er bis das Schloss sich drehte und den Flur frei gab.
Es war sehr warm im Haus, doch nicht warm genug, denn er fror.
Mehr fallend und stolpernd drückten kleine Arme und Glieder die Tür wieder zu um dann auf allen Vieren die Treppe zu erklimmen.

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