© der Geschichte: Ludwig Luderskow. Nicht unerlaubt
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Ein Versprechen ist zu brechen

Das Haus war alt. An seiner Fassade bröckelte der Putz. Schon lange, so schien es, hatte sich niemand um dieses Haus gekümmert - als ob man eine Liebe vergessen hätte; was man liebevoll aufgebaut hatte, lag jetzt in Scherben, war zum Tode verurteilt. Lange würden diese Mauern nicht mehr den Winden standhalten.

Niemand bewohnte dieses alte Haus. Die Fenster waren blind - wie ich einst vor Liebe nach ihr, bis sie mich verlassen hatte. Einige Scheiben waren schon zerborsten in den Unwirklichkeiten der Gezeiten, die hier an der Steilküste ihr wüstes Spiel spielten mit Mensch und Material. Einige Möven hoch am Himmel. Sie bewegten sich mit dem Winde, schaukelten hin und her, aber sie fielen nicht herab - wie ich einst. Auch ich schaukelte immer wieder...sagte sie mir, daß sie mich liebte - sogar das Eheversprechen wollten wir uns geben! - immer fiel ich auf ihre Worte herein, bis ich strauchelte im Unwetter meines Herzens, wurde krank vor unerfüllter Liebe nach ihr. Auch dieses Haus ist krank - ja...irgendwie wirkt es wie tot - nach letzten Atemzügen ringend.

Ich lebte auf, wenn sie kam. Ein liebes Wort von ihr! war meine Medizin nur das ließ mich leben, das Versprechen, das sie mir gab - daß alles gut wird.

Bei diesem Haus ließ es sich nur vermuten, wie stolz es einst gewesen sein mußte. Warum haben es seine Besitzer so schmählich vergessen? verlassen? allein gelassen? ob es sich auch so alleine fühlt wie ich, dieses Haus? Fühlt wie ich mich fühle tief in meinem Herzen? Ich sehne mich nach ihr! nach ihren Berührungen - kann ein Haus auch fühlen? niemand kann nachfühlen, wie es mir geht! Sie hat mich verraten! mich verspottet! keines ihrer Versprechen gehalten! mein Vertrauen mißbraucht und doch liebe ich sie...

Wann haben wohl die Bewohner dieses Hauses aufgehört, es zu lieben? Der Wind peitscht mit einer ungeheuren Wut, so scheint es, um es herum - als wollte er es los werden! Ich gehe gerne hier entlang: den Weg an der Steilküste. Es ist gefährlich, aber ich kenne hier jeden Stein. Schon als Kind habe ich hier gespielt - immer wieder, wenn es geht, komme ich an diesen einen Ort zurück, an dem ich meine Kindheit verbracht hatte. Meine Familie wohnte einst in der Nähe des Hauses, aber das ist lange her! Kaum daß ich in die nächste Stadt gegangen war, um zu arbeiten, waren meine Eltern von hier fortgezogen. Das Haus blieb einsam und allein. Auch ich hatte mich nicht darum gekümmert. Nie würde ich es alleinlassen, so hatte ich versprochen. Oft habe ich an seinen Mauern gelehnt und es war mir dann, als ob sie mir eine Geschichte erzählten. In der Stadt war es laut. Dort dachte ich oft an den Wind, der um die Mauern streicht, der leise Lieder sang. Meine Arbeit hatte mir keine Zeit gelassen und so habe ich viele Jahre nicht zurückkehren können. Doch jetzt bin ich wieder da. Ich werde dich aufbauen. dich reparieren. denn ich liebe dich. und ich hatte es dir doch versprochen: ewige Liebe bis zum Tode. Es mag seltsam klingen: ein Haus zu lieben...aber viele Erinnerungen verbinden mich mit dem alten Gemäuer. Zur Zeit wohne ich in einer nahen Herberge. Aber schon morgen will ich hier einziehen. Ein Zimmer von vielen habe ich mir richten lassen. Es sieht gut aus, weiß und rein. Ich weiß nicht, warum: aber dieses Haus verbinde ich mit meiner Kindheit mehr als mein Elternhaus, wo oft nur Zank und Streit regiert hatte. Hier aber habe ich das Kind sein können, das ich zu Hause nicht sein durfte.

Ach! wie verzehre ich mich nach der Unbeschwertheit meiner Kindheit. Damals, als ich noch naiv war, alles glaubte was man mir sagte, doch jetzt - ich möchte es nicht wahr haben, daß sie einen anderen heiratet. Als ich es las, hatte sich mein Herz mit aller Kraft zusammengezogen. Sofort zog ich aus dem kleinen Zimmer jener Pension in der ich jahrelang gelebt hatte - wollte ich doch weg von diesem Ort, an dem ich sie einst in meinen Armen gehalten hatte. Ohne Umwege bin ich hierhergefahren - vor vielen Wochen schon. Ich suchte Trost - niemand hatte mich je so gut verstanden wie dieses Haus, das ist mir bewußt geworden. Auf Menschen vertraue ich nicht mehr. Zu tief sitzt die Enttäuschung. Das Meer tobt, gewaltige Wellen schlugen mit einer ungeheuren Wucht in den Sand. Ich fühle mich auf einmal allein. Angst stieg in mir auf. Der Wind wird heftiger. Ein jeder Schritt gegen den Wind ist mühselig, aber ich trotze den Gezeiten wie das Haus ihnen seit vielen Jahrzehnten schon.

Ich werde niemals aufgeben, das weiß ich. Aber was? die Hoffnung? den Glauben? ich meine... dauern wird es, bis diese Wunden verheilt sein werden, die sie mir zufügte. Ich kann warten, wie das Haus gewartet hat, daß jemand zurückkehre und es bewohnen würde. Ich werde doch heute nacht hier schlafen. Eigentlich hatte ich es nicht gewollt, aber wenn ich auf den Himmel blicke - diese schwarzen Wolken verheißen nichts Gutes. Der Weg zu meiner Unterkunft ist lang bei Regen - es kommt mir alles langsamer und weiter vor, wenn es regnet. Ich vermeide es, bei Regen im Freien zu sein - zu sehr fürchte ich um meine schwache Gesundheit.

Die Haustür war nicht verschlossen. Nicht viele würden sich hierher verirren, dessen war ich mir sicher! darauf konnte ich vertrauen. Schon gar nicht bei dieser Witterung. - und doch...irgend etwas hielt mich ab, über die Schwelle zu gehen. Ich kannte das Haus nur von außen. Es ist wie ein lieber Freund - aber wenn ich jetzt weitergehe, dann betrete ich etwas Neues, das ich von ihm nicht kenne. Zu groß ist meine Angst, enttäuscht zu werden, daß ich es innen nicht so vorfinden würde, wie ich es von außen seit jeher gekannt habe. Ich glaube, da es noch nicht zu regnen begonnen hat - die Wolken sind zwar schwärzer und größer geworden - aber ich könnte es noch schaffen, trockenen Fußes zum Gasthaus zu gelangen. Ich werde es versuchen. Morgen werde ich wiederkommen! Hast Du gehört, Haus? Ich komme wieder! Bis morgen!

Er schloß die Tür und hoffte, daß das Haus nicht seine Gedanken würde lesen können. Er wollte es nicht enttäuschen.

Nie! würde er hierher zurückkehren. denn was wäre, wenn sich seine Erwartungen nicht erfüllten? seine Kindheit würde er nie wieder zurückgewinnen können - diese Unbeschwertheit...und dann würde er um einen Traum ärmer sein. Er wollte nicht enttäuscht werden. Nie hatte er dies vorher überlegt. es tat weh. Seine Tränen gingen unter im Regen, der einsetzte.

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