© der Geschichte: Ludwig Luderskow. Nicht unerlaubt
vervielfältigen oder anderswo veröffentlichen. Alle Rechte
dieses Werkes liegen bei dem Autor. Diesen Disclaimer bitte
nicht entfernen


Von allen Wahrscheinlichkeiten
im Leben ist der Tod
die endgültigste

Das Unvermeidliche

Draußen ist es inzwischen dunkel geworden. Wieder ist ein Tag meines Lebens - ereignislos wie die letzte Zeit - vorbeigegangen. Ich liege hier in meinem Bett, die Federdecken scheinen mich erdrücken zu wollen. Mir ist heiß, ich möchte mich bewegen, aber meine Glieder gehorchen nicht. Seit vielen Tagen liege ich hier, vielleicht sind es auch Monate. Ich weiß es nicht. Jeder Tag - nicht einmal das Essen bietet mir Abwechslung - ist wie der andere.
Irgendwie so, denke ich, ist es bestimmt, wenn man tot ist. Oder ist es anders? Ich mache mir viele Gedanken über den Tod, über das Unvermeidliche des Lebens, meiner letzten Station.

Ich weiß gar nicht, was mir eigentlich fehlt. Ich weiß nur, daß ich mich von einem auf den anderen Tag nicht mehr bewegen konnte, meine Glieder steif waren. Viele Ärzte waren seitdem bei mir ein- und ausgegangen, hatten an meinem Bett gestanden, mit ernstem Gesicht auf meine Person gesehen, den Kopf geschüttelt und waren nicht wiedergekommen.

Irgendwie ist es mir auch gleich. Meine Gedanken können sich bewegen - mit ihnen gehe ich durch die Welt, durch die Stationen meines Lebens. Der Tod - der einzige, der mich aus dieser Lage zu befreien vermag. Der Tod - ein interessanter Gedanke, wie ich finde! - Wie es wohl ist, zu sterben? Schlafen...ist es wie Totsein? Wird er, der Tod, deshalb "der ewige Schlaf" genannt?
Ich habe Angst, zu sterben, davor, nicht mehr da, nicht mehr ein Bestandteil der Welt zu sein - dann würde es mich nicht mehr geben, ich würde in der Erinnerung derer weiterleben, die mich lieben. Aber auch sie würden mich irgendwann einmal vergessen. Dann bin ich ein Geist, eine Erscheinung, die in ihren Köpfen ist. Dann wäre ich ihnen nur noch eine schemenhafte Erinnerung - und wenn sie, die mich kannten, tot sind, ist auch diese Erinnerung an mich gestorben.
Ich glaube, daß wir in vollem Bewußtsein aus dem Leben scheiden - daß wir versuchen, uns im letzten Moment an das Leben zu klammern. Aber der Tod ist stärker als wir es sind. Er streckt seine Hand nach dir aus, und - ehe du es dich versiehst, greift er dich, packt dich fest am Kragen und schleift dich in die Dunkelheit.

Ich sehe schwarze Schatten in der Nacht. Sie tanzen um mein Bett herum. Sie fordern mich auf, mit ihnen zu gehen, strecken ihre Hände nach mir aus, versuchen, mich zu greifen. Ich spüre ihren kalten Atem. Irgendwann falle ich in einen unruhigen Schlaf, aus dem ich wenig später fröstelnd erwache.

Immer wieder habe ich den gleichen Traum: An meinem Bett steht jemand. Er winkt mir. Seiner Aufforderung nachkommend, folge ich ihm. Ich wandle durch verschiedene dunkle Räume, die dunkler sind als die schwärzeste Nacht. Meine Augen müssen sich erst an die Dunkelheit gewöhnen. Dort hinten meine ich, eine Tür zu sehen. Es ist mir jedesmal, als ob ein schwacher Lichtstrahl durch ihre Spalten fällt. Ich will sie öffnen, vermag es aber nicht. Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll, aber....egal, wie sehr ich mich anstrenge, rührt sie sich doch keinen Millimeter. Bevor ich erneut einschlafe, ist es in der letzten Zeit nicht vor dem Morgengrauen.

Ob das der Anfang vom Ende meines Lebens ist? Das letzte Aufbäumen? Das letzte Kämpfen? Habe ich jetzt schon den Kampf um mein Leben verloren? Ich, der ich an dich, du mein Gott, glaube - auch jetzt noch, da alles, was mir jemals etwas bedeutete, bedeutungslos erscheint?

Du bist es, Herr, der mich erlösen kann! Ich will zu dir, in dein Paradies. Aber was ist, wenn es das Paradies, von dem jeder spricht, nicht gibt? Was ist, wenn sich eines Tages in meinem Traum jene Tür öffnet und der schwache Lichtschein nichts anderes war als mein Lebenslicht, welches im selben Moment erlischt?

Im Jenseits sei alles besser als im Leben. Liebe und Freunde gibt es dort - keine Sorgen, keine Angst. Mir hat mein Leben gefallen. Auch jetzt noch gefällt es mir; jetzt, da ich hier liege. Auch wenn ich zumeist alleine bin, so will ich nicht sterben. Denn was ist, wenn es gar kein Jenseits gibt? Wenn Totsein nichts anderes ist, als schwerelos in einem dunklen Raum zu schweben?
Tote merken nichts mehr, so glauben wir. Was aber, wenn wir uns da irren? Was ist, wenn unser Körper stirbt, aber unser Bewußtsein nicht? Wenn wir es wahrnehmen, wie wir in den Sarg gelegt werden - die Flammen, wie sie an unserem Körper lecken, wenn wir verbrannt werden? Wenn wir ewiglich auf der Suche sein werden nach den Teilen unseres Bewußtseins, weil unsere Asche in alle Winde verweht?

Ich habe Angst, oh Gott! du weißt, daß ich sie habe! Die Angst vor dem Unvermeidlichen!

Der Morgennebel zieht auf. Ein neuer Tag, auch wenn er wie jeder andere wird, so lebe ich doch. Es ist kalt geworden, meine ich, bin müde. Ich werde wieder versuchen, ein wenig zu schlafen. Ich habe Angst. Ich weiß nicht, wovor - vielleicht davor, daß sich diesmal die Tür in meinem Traum öffnen läßt! Und dann? Was wird dann mit mir geschehen?

zurück