© der Geschichte: Oliver. Nicht unerlaubt
vervielfältigen oder anderswo veröffentlichen. Alle Rechte
dieses Werkes liegen bei dem Autor. Diesen Disclaimer bitte
nicht entfernen


Der Traumwagen

Die Nerven zum Zerreißen angespannt, den Schweiß auf der Stirn, langsam heruntertropfend, unruhig von einem auf den anderen Fuß hüpfend, aufgeregt auf den Fingernägeln kauend - so stand er da, als er sich für eines der beiden Tore entscheiden mußte, das den Ferrari-Sportwagen, 275PS, Beschleunigung von 0 auf 100 in weniger als 5 Sekunden, Listenpreis bei 88000 DM, verbarg - oder auch nicht. Wie aus weiter Ferne hörte er das Publikum, dessen Uneinigkeit und wildes Durcheinandergerufe ihn nur noch stärker verunsicherte.
Tor 1, Tor 2, Tor 1, Tor 2 - für welches sollte er sich entscheiden? Hinter einem befand sich der Hauptgewinn, ein Sportwagen, wie er ihn sich schon immer gewünscht hatte, hinter dem anderen Tor dagegen die Niete, eine aus Styropor angedeutete Schraube.
Er wollte das Auto - natürlich.
"Für welches Tor entscheiden Sie sich?" drängte ihn der Moderator hinsichtlich der fortgeschrittenen Sendezeit.
Er rang nach Luft. Am liebsten wäre er vor dem unglaublichem Druck, der in diesem Moment auf ihn lastete, geflüchtet und zur Toilette gerannt. Das wilde Hämmern seines Herzens, das seine Brust zu zerreißen drohte und die Schmerzen in seinem Magen, die ein tiefes Durchatmen unmöglich machten.
"Ich entscheide mich für...", setzte er erneut an, keuchend und an dem kleinen Pult vor sich festkrallend.
Totenstille. Alle Kameras auf ihn gerichtet. Das Publikum hielt es vor Spannung kaum noch auf seinen Sitzen. Die Luft im vom Scheinwerferlicht überhitzten Studio schien zu zerbersten.
"...für Tor..."
Ein Traum konnte heute in Erfüllung gehen. Er mußte sich konzentrieren. Wo stand die Assistentin? Sie plazierte sich meistens unbewußt in der Nähe des Tores, das den Preis enthielt. Aber stand sie nun näher zu Tor 1 oder Tor 2? Der Abstand zu beiden Toren schien bis auf den Millimeter genau identisch zu sein. Auch konnte er keine hilfreiche Geste an ihr erkennen, die ihm eine Auswahl erleichtert hätte, kein Augenzwinkern, kein unmerkliches Fingerdeuten in eine bestimmte Richtung.
"...für Tor..."
Seine Stimme überschlug sich.
"Herr Blocher, Sie machen es aber spannend."
"... für Tor..."
Aber bevor es ihm gelang, eine Zahl zu nennen, wurde er von einem heftigen Schmerz gepackt, der gleichzeitig aus Herz und Magen zu kommen schien und sich in Windeseile im gesamten Körper ausbreitete. Er übergab sich und versank in eine tiefe Bewußtlosigkeit, aus der er erst drei Stunden später in einem kleinen weißgestrichenen Krankenhauszimmer erwachte, gerade als in Studio 3 die letzten Lichter gelöscht wurden und sich das fahle Mondlicht auf einem herrenlosen Sportwagen hinter Tor zwei spiegelte.

Ende

September 1995
© by Oliver
Alle Rechte beim Autor

zurück