© der Geschichte: Michael Eichhammer. Nicht unerlaubt
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Rainer Zufall verliert etwas

Plötzlich bemerkte Rainer Zufall etwas. Das heißt, genau genommen bemerkte er nichts...höchstens daß er nichts bemerkte. Das beunruhigte ihn. Ein völlig neues Gefühl, beängstigend und faszinierend zugleich.
Als er sich ein bischen daran gewöhnt hatte, began er nachzudenken. Er kam zu dem Entschluß, daß er irgendetwas verloren hatte. Rainer Zufall war sich nicht so ganz sicher was oder wo, deshalb wollte er systematisch vorgehen.
"Ich bin mir nicht so ganz sicher was oder wo, deshalb will ich systematisch vorgehen.", sagte er laut zu sich selber. Das war natürlich albern von ihm, weil das hier ja eine Geschichte ist und kein Hörspiel.
´Vielleicht sollte ich erstmal herausfinden, was ich verloren habe.´, überlegte er.

Seine Unschuld hatte er schon vor langem verloren. Dasselbe galt für sein Vertrauen in die Menschheit, seine Hoffnung auf eine Beförderung und die Wette, daß er nach 14 Limes noch den Text von "Blau blau blau blüht der Enzian" fehlerfrei mitsingen könne.
All das konnte es also nicht sein, was diese Fülle an Leere in seinem Kopf ausgelöst hatte.
´Das wäre schon mal abgehakt.´,dachte er und machte vier Kreuze auf der Liste in seinem Verstand.
Rainer Zufall blickte in den Spiegel und bemerkte erleichtert, daß er sein Gesicht nicht verloren hatte. Seine nächste Station war das Schlafzimmer. Er betrachtete das Foto seiner Frau auf dem Nachttisch mit dem selben Gesichtsausdruck, mit dem er heute morgen eine Fliege auf dem Marmeladenbrot bemerkt hatte. So war also klar, daß er auch sein Herz nicht verloren hatte. Jedenfalls nicht an seine Frau Hanne, geborene Büchener-Unsinn.
´Das wäre schon mal abgehakt.´, dachte er.

Das alles half ihm nicht weiter, und er beschloß, die Sache doch von der anderen Seite her anzugehen. ´Vielleicht fällt mir ein, was ich verloren habe, wenn ich zufällig an dem Ort vorbeigehe, wo es passiert ist.´, dachte er.
Auf der Straße bemerkte Rainer Zufall, daß er da nichts verloren hatte. ´Das wäre schon mal abgehakt.´ dachte er. ´Aber wo war ich noch heute?´
Zum zweiten Mal an diesem Tag ging er ins Büro, auf der Suche nach dem Grund für dieses seltsame Gefühl, daß er nicht fühlte. Seine Sekretärin bat ihn bei dieser Gelegenheit um eine Unterschrift.
´Das wäre schon mal abgehakt.´, dachte er und ging zum zweiten Mal heute in seine Stammkneipe, bestellte ein Bier, nur zum Vorwand- im Gegensatz zum Bier war der Besuch umsonst.
Sein Weg führte ihn nun in die Peepshow am Stadtrand. Er sah sich ein Mädchen an, nur zum Vorwand. Auch hier fand er nicht, was auch immer er verloren hatte. Langsam verlor er die Lust am Suchen. Es wurde nun auch schon dunkel und er befürchtete, zu allem Überfluß auch noch die Orientierung zu verlieren.

Frustriert ging er schließlich nach Hause. Er wollte sich ablenken und schaltete den Fernseher ein. Als er die Schreckensmeldungen der Nachrichten gesehen hatte, wurde ihm plötzlich klar, daß er seinen Verstand verloren hatte.

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