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Rainer Zufall verliert etwas
Plötzlich bemerkte Rainer Zufall etwas. Das heißt,
genau genommen bemerkte er nichts...höchstens daß er nichts bemerkte.
Das beunruhigte ihn. Ein völlig neues Gefühl, beängstigend
und faszinierend zugleich.
Als er sich ein bischen daran gewöhnt hatte, began er nachzudenken. Er
kam zu dem Entschluß, daß er irgendetwas verloren hatte. Rainer
Zufall war sich nicht so ganz sicher was oder wo, deshalb wollte er systematisch
vorgehen.
"Ich bin mir nicht so ganz sicher was oder wo, deshalb will ich systematisch
vorgehen.", sagte er laut zu sich selber. Das war natürlich albern von
ihm, weil das hier ja eine Geschichte ist und kein Hörspiel.
´Vielleicht sollte ich erstmal herausfinden, was ich verloren habe.´, überlegte
er.
Seine Unschuld hatte er schon vor langem verloren. Dasselbe
galt für sein Vertrauen in die Menschheit, seine Hoffnung auf eine Beförderung
und die Wette, daß er nach 14 Limes noch den Text von "Blau blau blau
blüht der Enzian" fehlerfrei mitsingen könne.
All das konnte es also nicht sein, was diese Fülle an Leere in seinem
Kopf ausgelöst hatte.
´Das wäre schon mal abgehakt.´,dachte er und machte vier Kreuze auf der
Liste in seinem Verstand.
Rainer Zufall blickte in den Spiegel und bemerkte erleichtert, daß er
sein Gesicht nicht verloren hatte. Seine nächste Station war das Schlafzimmer.
Er betrachtete das Foto seiner Frau auf dem Nachttisch mit dem selben Gesichtsausdruck,
mit dem er heute morgen eine Fliege auf dem Marmeladenbrot bemerkt hatte.
So war also klar, daß er auch sein Herz nicht verloren hatte. Jedenfalls
nicht an seine Frau Hanne, geborene Büchener-Unsinn.
´Das wäre schon mal abgehakt.´, dachte er.
Das alles half ihm nicht weiter, und er beschloß, die
Sache doch von der anderen Seite her anzugehen. ´Vielleicht fällt mir
ein, was ich verloren habe, wenn ich zufällig an dem Ort vorbeigehe,
wo es passiert ist.´, dachte er.
Auf der Straße bemerkte Rainer Zufall, daß er da nichts verloren
hatte. ´Das wäre schon mal abgehakt.´ dachte er. ´Aber wo war ich noch
heute?´
Zum zweiten Mal an diesem Tag ging er ins Büro, auf der Suche nach dem
Grund für dieses seltsame Gefühl, daß er nicht fühlte.
Seine Sekretärin bat ihn bei dieser Gelegenheit um eine Unterschrift.
´Das wäre schon mal abgehakt.´, dachte er und ging zum zweiten Mal heute
in seine Stammkneipe, bestellte ein Bier, nur zum Vorwand- im Gegensatz zum
Bier war der Besuch umsonst.
Sein Weg führte ihn nun in die Peepshow am Stadtrand. Er sah sich ein
Mädchen an, nur zum Vorwand. Auch hier fand er nicht, was auch immer
er verloren hatte. Langsam verlor er die Lust am Suchen. Es wurde nun auch
schon dunkel und er befürchtete, zu allem Überfluß auch noch
die Orientierung zu verlieren.
Frustriert ging er schließlich nach Hause. Er wollte sich ablenken und
schaltete den Fernseher ein. Als er die Schreckensmeldungen der Nachrichten
gesehen hatte, wurde ihm plötzlich klar, daß er seinen Verstand
verloren hatte.
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