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Mein Leben

An einem seidenen Faden, wie eine Marionette, lebe ich meine Tage. Mein Leben, ohne Identität, ohne Fragen, die ich stelle. Denn ich weiß, daß es keine Antworten geben würde, die ich dafür verwenden könnte, Zufriedenheit in meinem Inneren zu spüren. Stattdessen lebe ich mit diesem Gefühl der Unausgegorenheit. Nicht zu wissen: "Was macht mich aus?" Nicht zu wissen: "Wer bin ich?" - "Was bin ich ohne inneren Frieden mit mir selbst?" - "Im Krieg sein: Ist das Erwachsensein?"

Ich bin angewiesen auf die Hilfe anderer. Und sie lassen es mich spüren, was sie denken über mich. Wenn ich ihrer Hilfe auch bedarf, so bin ich deshalb doch nicht weniger Mensch als damals, als ich noch alles selbst machen konnte...

Mein Vater sprach stets: "Sohn, du mußt! Es gibt kein Leben ohne müssen." - Aber ich mag nicht müssen, ich will leben! Selbst entscheiden, was ich tue und wann ich es tue. So bin ich nur ein Rad im Getriebe des Weltgeschehens. Ein kleines Rad, das sich dreht...ich höre es: "Wir alle müssen zusammenhalten....Wir sind der Staat, wir sind das Volk....Wir sind es, die entscheiden können.!" Und dann haben wir uns entschieden. Haben wir das wirklich? Haben wir wirklich die Macht, uns entscheiden zu können? Und wenn ja, was für Alternativen haben wir?

Ich - auch ich - bin verantwortlich für das, was ich mache aus meinem Leben, ob ich arbeite, Krieg führe oder Menschen helfe. Soll ich töten, ist das mein Schicksal? Gibt es das Schicksal? und wenn ja - wer ist das Schicksal? Ich glaube, letzten Endes bin ich es selbst. Ich allein. Ich bin mein Schicksal, allein für mein Leben verantwortlich.

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Ich liebe sie und ich ich lebe für sie. Seit ich sie das erste Mal gesehen habe, ist sie mein Schicksal. Ich habe sie dazu erklärt. Ohne zu fragen, habe ich sie dazu erhoben, über mich, über mein Leben zu verfügen. Ob sie es weiß, daß ich sie liebe? Ich weiß es nicht. Ich habe es ihr schon so oft gesagt, aber sie hat es nie gehört. Ich bete sie an, aber sie hat keine Augen für mich und nun....ich kann nicht zu ihr gehen - wäre dies nicht die Erfüllung des Schicksals?

Was wäre, wenn sie mich zurückweisen würde - was? Ich möchte es nicht wissen. Ich möchte nicht in die Welt gehen. Ich möchte nicht wissen, was mich erwartet da draußen. Ich möchte hier bleiben. Kann nicht alles immer so bleiben, wie es jetzt ist, kann es das nicht? Warum muß sich die Welt schneller entwickeln, als ich es selbst möchte? Ich möchte nicht weiter. Ich habe Angst - ich gehe nicht fort. Eines Tages werde ich es müssen....also hatte mein Vater doch recht!

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Mein Vater - er ist im Krieg gewesen. Er hat getötet. Er weiß, wie es ist, einen Menschen um sein Leben zu bringen, er hat es getan. Wenn ich mit ihm darüber reden möchte, dann ist er böse. Er wird wütend - sehr leicht wird er wütend, jedesmal. - Ich denke dann immer: Wenn er jetzt eine Waffe hätte, wäre ich dann auch ein Mensch, den er am liebsten umbringen würde? Manchmal glaube ich das. - Sein Kopf wird dann immer rot, seine Stimme erhebt sich wie ein Wolkenbruch über mich, er schreit: "Das war Krieg! Ich hatte den Befehl! Ich mußte töten! Es war doch unser Feind!" Unser Feind! Also auch meiner? - Mit meinem Vater zu reden bringt nichts. Er geht dann meistens aus dem Raum, nicht ohne mit der Tür zu schlagen - er fegt geradezu aus dem Zimmer. Meinen Feind hat er umgebracht - ich mache mir oft diese Gedanken. Ich verstehe das nicht. Mein Vater sagt, er mußte töten. Auch sagt er mir, daß ich oft etwas tun müsse, was ich nicht will. Aber einen Menschen töten? Auf Befehl? Auch das verstehe ich nicht. Ich bin also der Sohn einer Marionette...dann wäre ich selbst nichts Besseres als eine Marionette und kann nie etwas anderes sein? Ist das mein Schicksal? Mein Vater war im Krieg. Er hat gerecht gehandelt, sagt er. So verteidigt er sich sein Leben lang, ohne daß es ihm bewußt ist. Ständig sucht er nach Rechtfertigungen, anders denkende Menschen davon zu überzeugen, daß alles, so wie es ist, nicht anders hat sein können.

Es herrscht kein Dialog zwischen den Menschen, so ist mir aufgefallen. Sie reden nicht miteinander. Jeder sieht nur seinen Standpunkt. Keine Kompromisse. Und wenn doch, wollen sie etwas dafür haben. Religionen sind die Grenzen. Jeder glaubt an etwas anderes. Alles unter einen Hut zu bringen, an einem Tisch, ist wahrscheinlich unmöglich. Und so wird weiter der Mächtige dem Ohnmächtigen die Augen ausstechen, ohne daß er weiß, daß er es ist, der nicht sehen kann. Ist das alles ein Leben? Haben wir nicht etwas Besseres verdient, als gebeutelt zu werden, mißbraucht? Es ist im Kleinen wie im Großen - schon ein einfacher Hausmeister fühlt sich berufen, und wenn er meint: "Der Mensch dort paßt mir nicht" dann ist Ungerechtigkeit Alltag und Terror.

Alltag ist Terror auch für viele andere. In der Beziehung, in der Ehe, in ihrem Land. Es ist schlimm. Ich glaube, ich mag nicht - zumindest heute nicht. Wenn ich herausschaue aus dem Fenster, regnet es. Ich mag nicht naß werden. Ich mag liegenbleiben. Hier in meinem Bett. Ich mag träumen. Ich mag nicht die Realität. Ich habe Angst vor ihr. Ich werde träumen. Dort ist auch sie, der ich schon so oft meine Liebe gestand. Ich werde träumen....und wenn es dort Gerechtigkeit gibt, werde ich nicht wieder aufwachen.

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...Er drehte sich um. Bis jetzt hatte er auf dem Rücken gelegen, mit den Augen gegen die Decke gerichtet. Sehen konnte er nichts. Er war blind, sein vielen Jahren schon. Seine Beine waren ihm abgetrennt worden - damals, als er auf dem Weg nach Hause über die Felder rannte, um schneller zu Hause sein zu können. Er wäre verblutet, hätte ihn nicht ein Soldat gefunden. Er war auf eine Mine getreten, die sein Vater - stellvertretend für alle anderen Soldaten des Landes - dort vergraben hatte. Oft und immer wieder hatte er seinen Sohn gewarnt, dort entlang zu laufen. Der Soldat, der ihn gerettet hatte, war sein Feind, zumindest in den Augen seines Vaters. Für ihn aber war es sein Retter in der Not gewesen. Damals verlor er auch sein Augenlicht. Der Feind war längst gegangen und er ist geblieben.

Allein, aber voller Träume, in denen er sehen konnte. Er konnte über die Felder rennen und er konnte mit seinem Schicksal, mit seiner Liebsten, unter einem Baum liegen und Pläne schmieden für die Zukunft. In seinen Träumen war kein Muß, keine Angst...eine Welt voller Frieden und Zuversicht.

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