© der Geschichte: Rainer Pick. Nicht unerlaubt
vervielfältigen oder anderswo veröffentlichen. Alle Rechte
dieses Werkes liegen bei dem Autor. Diesen Disclaimer bitte
nicht entfernen


Emilie im Zauberwald

Einige werden es vielleicht noch wissen: Es war einmal, vor vielen, vielen Jahren eine Mutter mit sieben Kindern, deren Mann ein Jäger war. Der Jäger und seine Frau erlebten viele Abenteuer mit Hexen, Königinnen und Königen, Zwergen und Elfen sowie den vielen Tieren des Waldes. Nur von den Kindern erfuhren wir nichts. Die mußten eh zu Hause bleiben und den ganzen Haushalt "schmeißen".
Erinnert ihr euch noch?
...Nicht Trine, sondern Emilie kam an die Spitze. Schließlich war sie in Wirklichkeit die Älteste und alle anderen machten schon lange nur noch das, was sie ihnen sagte. ...

Ja, das war in dem Märchen von der Siebenkindermutter zu lesen, dann hatten wir sie, die sieben Kinder allein gelassen. Emilie war inzwischen schon 13 Jahre alt und durfte Abends schon länger als ihre jüngeren Geschwister draußen bleiben. Da waren die anderen 6 Kinder nicht sehr froh drüber, aber so ist es nun einmal im Leben, wenn wir Kinder sind, dann wollen wir unbedingt und immer wieder die älteren sein, sind wir dann erwachsen, dann wollen wir unbedingt jünger als die anderen sein. Aber das lernt und merkt man erst wenn man erwachsen ist, das hat also noch viel Zeit.

In jener Zeit also, in der sich diese Geschichte erfindet, ist der Jäger und die Mutter der Kinder wieder zu Hause gelandet und der Familien-Alltag ist normal. Es gibt genug zu futtern, die Eltern meckern nicht zu viel aber auch nicht zu wenig. In die Hütte hatte der Jäger inzwischen einige Wände eingebaut, so dass fast alle Kinder ein eigenes Zimmer haben, nur Nr. 7 das zu letzt geborene Kind ist noch ein Baby und wohnt im Schlafzimmer der Eltern, mehr noch wohnt es aber im Kinderwagen, den die Geschwister gerne und viel im Wald herum fahren.

Dieser Kinderwagen hatte ganz unten, weit unter dem Baby einen Drahtkorb, dicht über den Rädern und dem Erdboden. Beim Baby spazieren fahren gingen die Blicke der Kinder über den Waldboden. Hin und Her flitzten sie. Ständig fanden sie dort etwas Interessantes. Mal waren es "Kien - Äpfel" die Samenzapfen von Kiefer und Fichte, die im Winter ganz prima den großen Kachelofen in der Wohnung erhitzten und dabei lustig knallten oder es waren viele Pilze zu finden, die für Mahlzeiten zubereitet, den Hunger stillen konnten. Ohne Drahtkorb, also zum Naschen gab es auf dem Waldboden Blaubeeren, Himbeeren und Brombeeren zu finden. Und so manches Mal lag auch ein Strauß bunter Blumen im Korb. Darüber freute sich immer wieder die Siebenkindermutter.

Heute hat Emilie den Kinderwagen gerade vom Abendspaziergang wieder zur Hütte gebracht, wo die Mutter sie schon erwartet, denn das Baby sollte frische Windeln umgebunden bekommen. Zu der Zeit gab es nur Windeln aus Baumwolle, die immer wieder gewaschen werden mußten und keine Papier- und Plastehöschen, die wohl gefüllt im Mülleimer landeten. Sie nahm den Kinderwagen von Emilie entgegen und kümmerte sich um die Nr. 7.

Emilie ging derweil noch ganz alleine eine Runde durch den Wald. Sie wollte noch nicht in ihr Zimmer gehen, auch wollte sie nicht mit den anderen Kindern spielen oder erzählen, schließlich war sie schon dreizehn Jahre alt und da hat man ja schon ganz andere Themen und Gedanken, als die Kleinen. Da möchte man zum Beispiel sich noch eine kleine Weile an der alten Kastanie hinsetzen. Dicht an dem Stamm kann man gemütlich seinen Rücken anlehnen und blickt dann in Richtung der untergehenden Sonne, die wenn die Wolken sie nicht verdecken in wunderbaren Farben strahlt, besonders kurz bevor sie hinter dem Horizont verschwindet. Vor Emilie, sozusagen zu ihren Füßen lag eine Lichtung auf der sich am Tage immer die Hasen trafen, einerseits um miteinander zu spielen und andererseits, um die Rangkämpfe durch zu führen, damit jeder wusste, wer der Bestimmer ist. An diesem Abend aber, waren diese Hasen nicht zu sehen. Nur da am rechten Rand der Lichtung, gerade an der Grenze zwischen Wiese und Wald und Licht und Schatten, da sah Emilie noch zwei Hasen, eng aneinander geschmiegt, der eine hatte sogar seine Pfote über die Schulter des anderen Hasen gelegt. Emilie schlußfolgerte, dass das ein Liebeshasen-Paar sein mußte und lächelte vor sich hin. Liebespaar?

Sie hatte schon viel darüber gelesen, über Liebe und Liebespaare, denn lesen konnte sie gut und die Waldbibliothek hatte auch Bücher da, die von der Liebe der Menschen erzählten. Schulfreunde und Mutter und Vater hatten oft mit ihr darüber gesprochen, denn sie hatte sich schon früh gefragt, woher die vielen Geschwister gekommen sind. Und ihr Vater, der Jäger hatte ihr auch erzählt, dass alle Lebewesen so etwas wie die Liebe der Menschen erfahren. Und in der Schule gehörte es zur Pausenkultur, dass die Mädchen sich gegenseitig erklärten - manche haben dabei richtig angegeben - wie sich das zwischen Jungen und Mädchen so entwickelt. Und manchmal hatte Emilie auch geduldet, dass der Fritz mit den vielen Sommersprossen im Gesicht, sie bei der Hand nahm. Morgens, wenn es zur Schule ging oder am Nachmittag, wenn sie das gemeinsame Stück Weg benutzten, das sie auf dem Nachhauseweg hatten. Eigentlich hatte sie es nur geduldet, weil sie ihn schon seit der ersten Klasse kennt und den Weg immer mit ihm gegangen ist, später dann hatten sich auch die anderen Kinder der Schule daran gewöhnt. Die doofen Sprüche, die hinter ihnen her gerufen wurden, haben langsam auf gehört. Warum? Na sie hatten beide nicht darauf reagiert, so getan, als ob sie nichts gehört hätten, weder die Sprüche noch das blöde Gelächter darauf. Es fiel schwer und war unangenehm, aber es half. Kurze Zeit später haben die Sprüche aufgehört, es wurde denen langweilig, weil sie nicht darauf reagierten.

"Hasen haben es gut.", dachte sie bei sich, "Hasen könne ganz schnell weg laufen, wenn sie sich bedroht fühlen oder nicht mehr wissen, wie sie anders reagieren sollen." Aber ich muss jetzt nach Hause gehen.
Gerade will sie wieder aufstehen, da erscheint auf der linken Wiesenseite ein helles, grünes Licht. Verblüfft schaut Emilie hinauf zum Mond. "Bist du das, der dieses Licht erstrahlen lässt?" Aber nein, vom Mond kommt nur der Silberstrahl. Und selbst die Strahlen des Mondes, die durch die Baumkronen am Rande der Wiese hindurch scheinen, werden nicht so lindgrün, wie die Erscheinung an der linken Wiesenseite. Inzwischen formt das grüne Leuchten eine Figur. Ja, es wird immer deutlicher, da drüben erscheint ein lindgrünes Männchen. Auf dem Kopf hat es einen niedlichen aber wohl uralten geschwungenen Hut, dessen breite Krempe den Regen ableiten könnte, wenn es den regnen würde. Tut es aber nicht. Statt dessen tritt nun das Männchen auf die Wiese. Das Leuchten des grünen Scheines hat sich verdunkelt, fast normal sieht die Gestalt auf der Wiese aus, eher ein schwarzer Schatten, der ein kleines bisschen Grün noch in sich trägt. "Hallo Emilie!", ruft mit schmelzend zarter Stimme das Männchen. Es klingt nicht bedrohlich, eher freundlich oder nett. Emilie beschließt sich zu melden obwohl ihr Herz bis zum Hals hinauf schlägt und eine dicke Unruhe in ihrem Bauch sitzt. "Ehemm, ja Hallo erstemal." beginnt sie unsicher und platzt dann ihre Neugierde und Sorge hinaus, "Ja, wer bist denn du ? Wo kommst du denn her ? Kommst wohl aus der stämmigen Eiche am Wiesenrand ? Bist du ein böses oder ein gutes Männchen?" Das Männchen lächelt weise, denn es hat die Unruhe und Angst von Emilie verstanden, kann sie nach vollziehen. "He, he!", ruft es beruhigend Emilie zu und hebt seine leeren Händen empor. "Bleib ganz ruhig, ich tue dir nichts, es wird dir nichts geschehen." Und "Ich bin ein freundlicher und alter Wald- und Wiesengeist und erscheine nur den dreizehnjährigen Mädchen, die ganz in der Nähe dieser Wiese leben oder auch zufällig auf meiner Wiese spazieren gehen.. Ja, das ist einerseits mein Pech, denn ich kann nicht durch den ganzen Wald und in die weite Ferne reisen, laufen oder schweben. Nein ich bin an diesen Fleck gebunde ! Kann ja nicht ein Mal unter die Wiese tauchen. Kann nicht weg", fast schon verzweifelt hebt das grüne Männchen seine Arme, zuckt mit den Schultern und lässt sie dann traurig herunter hängen. So langsam beruhigt sich Emilie. Gelassen schlägt nun wieder ihr Herz und die dicke Unruhe in ihrem Bauch? Die ist schon wieder verschwunden und hat Platz gemacht für jede Menge neugieriger Fragen. "Aber hier ist es doch ganz prima!", ruft sie begeistert und wohl auch zum Trost dem grünen Männchen zu. "Die vielen Tiere, die hier jeden Tag vorbei kommen. Gras von der Wiese fressen. Mäuschen und Schmetterlinge jagen. Schmetterlinge, die von den Wiesenblumen den Nektar sammeln und sich über den Blumen lieben. Käfer und Ameisen, die über den Boden und die Grashalme kriechen und klettern und einsammeln was alles sie gebrauchen können", begeistert streckt Emilie die Arme aus, als ob sie die ganze Wiese umarmen wolle. "Sieh doch nur den großen Ameisenhaufen dort, an der rechten Seite, wie fleißig die Ameisen noch immer herum wuseln. Oder schau die alte Eule, da oben auf der Eiche, sie beobachtet auf deiner Wiese die Mäuse um die eine oder andere irgendwann zu erwischen. Die ganze Nacht wird sie jagen, damit sie ihre Jungen füttern kann. Und wenn dann morgen die Sonne aufgeht, dann geht die Eule schlafen. Dafür aber kommen andere Vögel zu deiner Wiese. Große und kleine. Die einen um Mäuse oder auch kleinere Vögel zu jagen. Das kann ich gut erkennen, denn die Gejagten, die Mäuse und kleinen Vögel sind plötzlich still, während hoch oben über der Wiese wie ein Schatten ein größerer Vogel dahin gleitet. Nur manchmal sind kleine tapfere Vögel unterwegs und greifen den großen Schatten an. Meistens haben die kleineren Vögel dann Junge in ihrem Nest und verteidigen diese. Oh, du hast ein so spannendes Leben auf der Wiese, da musst du doch nicht traurig sein, dass du nur hier und nirgendwo anders wohnen kannst!?", fragend schaut Emilie das grüne Männchen an. "Ja", lächelt das Männchen, "Ja, die kenne ich alle. Auch die großen Vögel, die mir schon so manchen Hasen von der Wiese fort geholt haben. Ich liebe die genauso wie die Rehe. Oft komme sie erst am frühen Morgen wenn die Sonne gerade aufgeht und dichter Morgennebel die Wiesenränder verbirgt. Ich fühle mich ja schon auf meiner Wiese wohl." "Ja aber warum bist du dann so traurig weil du nicht fort kommst?", fragt Emilie das grüne Männchen erstaunt. "Das ist zwar eine lange Geschichte, aber ich will sie dir gerne erzählen. Nicht nur weil du gerade dreizehn Jahre alt bist, auch weil du so ein freundliches Mädchen bist, das ich schon kenne, seit deine Mutter mit dir im Kinderwagen über meine Wiese spaziert ist. Vielleicht kannst du sogar helfen? Komm wir setzen uns hier hin", mit diesen Worten greift das kleine grüne Männchen den Arm von Emilie und beide setzen sich auf das Gras der Wiese, welches richtige kleine Sitzkissen genau an jener Stelle bildete, an der sich die beiden Gestalten nebeneinander gesetzt hatten. Wenige Augenblicke später sieht der Mond am linken Rand der Wiese zwei kleine Menschen oder Leute, eingehüllt in grünem Nebelschleier, im vertraulichen Gespräch. Wie um sie zu schützen legt er einen silbrigen Glanz um den Nebelschleier und schirmt die beiden zusätzlich ab. Ein wohl zufällig vorbei kommender Wanderer oder ein pirschender Fuchs nimmt die beiden nun nicht mehr wahr. Sogar der Abendwind streift über die Wiese ohne die beiden zu bemerken. Und völlig ungestört kann nun der Mond das Gespräch des grünen Männchens und Emilies belauschen.

Gerade erklärt das grüne Männchen: "Kleine grüne Männchen sind Verwandte der Feen, Elfen und Hexen. Wenn eine Fee zum Beispiel eine Wiese so richtig toll lieb findet, dann entstehen die freundlichen kleinen grünen Männchen. Findet eine alte Hexe - es gibt glaube ich gar keine jungen Hexen - eine Wiese besonders grässlich, dann entstehen die kleinen grünen Männchen, die eher böse sind. Weil nun aber die Wiesen mit guten und bösen grünen Männchen nicht direkt aneinander grenzen dürfen, gäbe ja doch nur Zank und Streit, haben die Elfen die Wiesen zwischen gut und böse besonders lieb und dort entstehen und leben die roten Wiesenmännchen. Die verstehen die grünen Wiesenmännchen überhaupt nicht, wir sprechen völlig verschiedene Sprachen." "Ach so und dann können sich die guten und die bösen grünen Wiesenmännchen nicht treffen und auch nicht streiten!?", verstehend und fragend schaut Emilie das grüne Männchen an. Es nickt ihr zu und erzählt weiter: "Tief unter dem grünen Gras der Wiese, noch tiefer unter dem Erdboden, in dem die Wurzeln der Gräser, Sträucher und Bäume stecken und noch viel, viel tiefer, auch unter dem Bach ist eine Höhle versteckt. Sie ist nicht zu groß, aber immerhin könnte man, wenn man wollte, zwei bis drei Häuser hinein bauen, ohne an die Wände oder an die Decke von der Höhle zu stoßen. Sie ist aber nicht so groß wie die Höhle, die unter dem Meer steckt. Das Meer kennst du doch?", fragt das Männchen Emilie. "Meer?", fragt Emilie nachdenklich und dann weiter, "Nein, ich weiß jetzt nicht was du meinst?" und schaut das Männchen fragend an. "Ach so", sagt das Männchen, "Aha, du warst noch nie aus dem Wald heraus? Auf einem Pferd, in einer Kutsche hinaus in die Welt ? An einen Strand, aus lauter weißem Sand? Und Emilie: "Nein!" Das grüne Männchen überlegt. Es hat sich nach hinten gelehnt und eine Hand unter seinen Kopf geschoben. Und während sein Kopf ohne große Belastung seines Halses auf der Hand ruht, hat das Männchen in seinem Kopf eine brauchbare Lösung gefunden. "Warte, ich kann dir das zeigen, bleib ganz ruhig es ist eine schöne Traumreise, die ich dir schenken werde." So seltsam sieht nun das kleine grüne Männchen aus. Sein Hut und sein Kopf, ja auch die Hände scheinen plötzlich grünlich durchsichtig zu werden. Rauchwölkchen, natürlich grüne, kräuseln sich über seinem Hut. Sie steigen langsam und majestätisch in die Höhe. Emilie schaut ihnen nach. Immer wieder drehen sich die grünen Wölkchen und Emilies Augen drehen sich allmählich mit.

Da, plötzlich hört Emilie ein neues Geräusch. Hell und laut kreischen weiße Vögel vor ihren Augen. Dabei haben die gar keinen Grund zum Schreien. Die fliegen prima. Sie schweben im stürmischen Wind ohne die Flügel zu bewegen. Nur wenn sie sich in die Wellen stürzen, legen sie die Flügel an den Seiten eng an und tauchen. Kurze Zeit später tauchen sie wieder auf. In ihren Schnäbeln zappeln Fische. Kurz darauf steigen sie wieder in die Höhe und während ihre Flügel ihren Körper in einer Luftströmung halten und segeln lassen, futtern sie die Beute auf, die eben noch als Fisch durch die Wellen oder unter ihnen fröhlich herum schwammen. Emilie stutzt. Wellen? Wasser? Sturm? Wo ist denn die Wiese geblieben? Und war da nicht ein kleines grünes Männchen? Verwirrt schaut sie über das weite Meer. Es geht von einem Ende bis zum anderen. Nur Wasserberge, also die Wellen die von ganz weit hinten zu ihr an den Strand heranbrausen. Manchen hat der starke Wind eine weiße Krone aufgesetzt. Aber nur für kurze Zeit, dann ist wieder eine neue hohe Welle Schaumkönigin. Und Strand? Ja, feiner fester Sand. Total trocken fliegen einzelne Körner bis in den Mund von Emilie. Das knirscht vielleicht. Weiter vorne, mehr zum Wasser hin, ist der Sand fester und feuchter. Emilie sieht ihre Fußspuren im Sand. Vom großen bis zu den kleinen Zehen. Und Husch ist der Strand wieder glatt. Eine kleine Welle ist eilfertig heran gekommen und hat die Fußspuren von Emilie einfach wieder ausgelöscht. Wusch waren sie weg. Einfach so. Emilie atmet tief ein. Es ist alles so verwirrend und doch so schön. Die Luft ist auch ganz anders als sonst. Sie ist über dem Wasser und über dem Strand. Sie ist nicht ruhig, sondern rennt, fliegt und stürmt um Emilie herum. Sie treibt die Wellen von da draußen an den Strand hierher. Und. Und sie schmeckt und riecht nach Wasser und Land und ... ja was ist das? ... und sie schmeckt nach Salz. Ja Salz ist der Geschmack, den Emilie nur kennt, weil ihre Mutter beim Kochen Salz an die Suppe, an die Kartoffeln, ja fast an alle Speisen gibt. Salz sind die kleinen weißen oder gelben Kristalle, die in der feuchten Küche zusammen klumpen und kleben. Der große Steintopf, indem sie das Salz lagern, hat einen weißen Rand, weil die Mutter das Salz mit einer Schale aus dem fest zusammen klebenden Salzgemenge heraus schabt.

Steintopf? Mutter? Meer?
Emilie sitzt plötzlich wieder neben dem kleinen grünen Männchen auf der Wiese. Umhüllt und damit geschützt durch einen feinen grünen, silbrigen Nebelschleier. "Na, hat es dir gefallen und weißt du nun was das Meer ist ?", lächelnd fragt das grüne Männchen und genauso lächelnd antwortet ihm Emilie "Ja! Jetzt weiß ich was du meinst, aber ich hätte es gerne noch mehr kennen gelernt. Es ist schön.". "Warte nur, du bist ja noch ein Kind. Später kannst du noch öfter an das Meer reisen und seine Schönheit erleben. Aber jetzt lass uns zu der Höhle zurück kommen, die tief unter der Wiese, dem Gras und der Erde liegt." Ja, Emilie wird wieder ruhig. Ja, da war ja noch diese geheimnisvolle Höhle. Nicht so groß, wie die Höhle unter dem Meer, das sie jetzt kennt, aber groß genug für zwei Häuser. Und sie steckt hier. Tief unter der Wiese. Was ist mit dieser Höhle und warum tut das kleine grüne Männchen denn so heimlich? Wieder stecken die beiden Gestalten auf der Wiese ihre Köpfe zusammen und der Mond hat ernsthafte Schwierigkeiten sie zu belauschen.

"Zu dieser Höhle kommen nur Menschen, die noch nie in ihrem Leben richtig böse waren. Ein kleines bisschen würde nicht stören, aber noch nie so richtig böse dürfen die gewesen sein", ernst schaut das Männchen Emilie an und die schaut zweifelnd zurück. "Da habe ich doch der Trine mit dem großen Stock gedroht und nur, weil sie mich nicht in Ruhe lassen wollte", denkt sie gerade an ihr Bösesein in der Vergangenheit. Da spricht das Männchen weiter: "Nein, das war nicht richtig böse von dir, eher etwas ungehalten. Du bist schon die richtige Person für einen Besuch in der Höhle." Platsch, da war es heraus ! Auf der einen Seite hatte das Männchen verraten, dass es die Gedanken von Emilie lesen und verstehen kann und auf der anderen Seite hat es verraten, was es von Emilie möchte. Sie soll in diese Höhle gehen. Wahrscheinlich sogar alleine! Emilie braucht nun nichts mehr zu sagen. Das Männchen kann ihre Gedanken ja lesen. "Das ist ja unmöglich, ich bin doch ein Mädchen und auch noch ein Kind. Kinder schickt man in keine Höhlen. Vielleicht sind da sogar noch glitschige Tiere drinnen, Schnecken nackt und glatt und riesengroß. Und dann noch ohne Licht, bestimmt. Dann fass ich die glitschigen Tiere mit der Hand an und bekomme einen riesen Schrecken und sterbe vielleicht sogar noch vor lauter Angst!?", aufgeregt gucken ihre Augen das Männchen an und aufgeregt klopft ihr Herz immer schneller in ihrer Brust. "Aber, nun sei doch mal ganz ruhig. Das denkst du dir doch alles nur aus. Ich habe doch noch gar nichts weiter gesagt. Lass dir doch erstemal erklären ...", fast hilflos schaut das Männchen Emilie in die Augen und hebt seine Hände in die Höhe. "Ich bin doch kein Unhold!" Nein das ist er nun wirklich nicht. Emilie schaut ihn genauer an. Die graugrünen Augen des Männchen strahlen Güte und Ruhe aus. In den Ecken jetzt gerade ein wenig Unsicherheit, aber nur ein wenig. Seine grünen Lippen formen gerade ein deutliches "O" in das schmale Gesicht, dessen Haut -natürlich- einen grünen Teint hat. Wahrscheinlich hat dieses Wiesenmännchen nur grüne Sachen in seiner Kosmetiktasche. Aber es ist ein freundliches Männchen, das kann Emilie deutlich erkennen. Vielleicht ein bisschen verzweifelt, vielleicht auch ein bisschen ängstlich, aber freundlich. Bestimmt freundlich!

"Schau, die Geschichte ist so: Immer nur freundlich zu sein ist gar nicht so einfach. Es ist - um genau zu sein - genau so schwer wie immer schlecht oder böse zu sein. Wer immer nur auf einer Seite einer Waage sitzt, der hat hin und wieder ein paar Gramm von der anderen Seite ab bekommen. Das wird im Laufe der Zeit immer mehr, aus einigen Gramm werden Kilo, wenn du verstehst, was ich meine. Aus einigen Kilogramm werden hundert oder gar tausend. Und das ist dann schon eine Tonne. Die kriegst du schlecht im Handwagen weg", um Verständnis heischend schaut das grüne Männchen Emilie an. Die fragt noch einmal nach: "Du meinst ein böses grünes Männchen, weiß ja von den Wiesen die die Hexen besonders grässlich finden, also ein böses Männchen sammelt Gutes an und ein gutes Männchen, wie du zum Beispiel, du sammelst Böses?" "Ja, genau so ist es ! Und je länger wir leben, um so mehr wird es. Wir tun so viel Gutes. Das ist nicht nur eine alte Hirschkuh über den Waldweg zu führen, während der Feierabendverkehr durch den Wald rollt. Nein, ich rette auch Leben. Vom Floh bis zum Menschen. Ich tue nur Gutes. Aber je öfter ich das tue und je länger ich so gut bin, desto öfter erwischt mich ein Gedanke. Es ist der Gedanke einmal in vielen vielen hundert Jahren etwas Böses tun zu dürfen. Mal richtig ausrasten, wenn du verstehst was ich meine", fast wehleidig schaut das Männchen Emilie in die Augen. "Aber du bist doch ein Guter! Du bist das gute Männchen hier! Du darfst ja gar nicht böse sein!", ernst und schon ein bisschen entrüstet schaut Emilie nun zurück. "Ja Emilie, es ist ja schon gut. Ich bleibe auch das gute Männchen. Aber dieser Gedanke auch einmal anders zu sein der entsteht immer öfter und das hat einen Grund", fragend schaut Emilie das Männchen an. Das fährt fort: "Die Höhlen unter den Wiesen sind deswegen vorhanden, damit die Guten und die Schlechten alle gegenteiligen Grämmchen und Kilos dorthin schicken können. Und immer, wenn die Höhlen zu Hälfte damit gefüllt sind, dann geht eine Klappe an der Seite auf und der Inhalt fließt in die ganz großen Höhlen unter dem Meer." Das Männchen seufzt und Emilie fragt noch einmal: "Also, damit ich dich auch richtig verstehe. Wenn du Gutes tust, dann entstehen auch ein paar Gramm Schlechtes. Die gibst du in die Höhle. Wenn sich in der langen Zeit ..., wie alt bist du eigentlich?", unterbricht sich Emilie. "Zweihundertfünfundsiebzig", antwortet das Männchen schnell. "Ach so!?", echot jetzt erstaunt Emilie und fragt dann weiter: "Also alles Schlechte schubst du in eine Höhle, hier unter dieser Wiese. Wenn die dann irgend wie voller geworden ist, dann gibt es eine Klappe die auf geht. Dann fließt das Schlechte hinaus in die Höhlen unter dem Meer?" "Ja!", antwortet das Männchen und sagt weiter: "Nun aber scheint es so als ob die Klappe nicht mehr richtig klappt. Denn sonst kämen mir ja nicht diese bösen Gedanken in den Kopf. Das ist die Ausstrahlung. Die Ausstrahlung vom Bösen. Die wird nur dann spürbar für uns, wenn unten in der Höhle mehr als gut ist sich angesammelt hat und nicht unter das Meer fließen kann. Da muss ein Stau sein. Vielleicht ist auch die Klappe verstopft oder kaputt, genau weiß ich es nicht." "Und warum soll ich jetzt da hinunter steigen? Ich bin doch noch ein Kind? Kannst Du das wirklich nicht selber machen?", Emilie macht sich Sorgen. "Wenn ich es selber könnte, das Reparieren und Hinuntersteigen, dann würde ich so ein liebes Mädchen wie dich nicht da hinunter schicken. Das kannst du mir wirklich glauben", ernst sieht das Männchen auf Emilie. "Aber ich kann und darf es nicht, du musst das sehen, wie bei den zwei Magneten. Du weißt, gleiche Pole stoßen sich ab und ungleiche kleben zusammen. Wenn ich da hinunter steigen würde, dann käme ich nicht mehr als nur gutes Männchen herauf, denn da unten hätte ich auch das Böse angezogen", traurig schaut das Männchen vor sich hin. "Ja", sagt Emilie, "Ja, das habe ich verstanden. Und ich wäre dann sozusagen neutral und käme, ohne das Böse anzuziehen, da hindurch und könnte die Klappe reparieren." und sagt dann weiter: "In Ordnung grünes Männchen, ich mach es!".

Erleichtert atmet der Mond auf. Erleichtert ist auch das Männchen. Vorerst, aber nur eine kurze Minute später schaut es schon wieder besorgt Emilie an. "Was ist denn jetzt noch?", will Emilie wissen, denn sie hat den Blick sehr wohl bemerkt. "Da sind noch ein paar Sachen, die ich dir sagen muss, bevor du in die Höhle gehst." "Na dann erzähle schnell, bevor mich mein Mut wieder verlässt". mahnt Emilie das grüne Männchen. "Also, in die Höhle kommst du nur, wenn du in den Bach am Wiesenrand tauchst. Ohne Taucheranzug und Schnorchel. Ich zeige dir die Stelle gleich, wir gehen mal da hinüber", eingehüllt in den grünen- silbrigen Nebelschleier wandern die zwei über die Wiese. Neugierig folgt ihnen der Mond. So ist es nun mal, wer den Anfang der Geschichte kennt, der möchte auch den Schluss erfahren. Angekommen an der Wiesenseite, an der der Bach leise plätschernd fließt bemerkt Emilie: "Du, der Bach ist doch eigentlich gar nicht tief. Eher so flach. Man sieht ja den Grund. Wie soll ich denn da tauchen?" "Das wurde doch extra so eingerichtet, damit kein Mensch, der hier herum läuft gleich auf die Idee kommt, es im Bach mal mit Tauchen zu probieren. So eine Art optische Täuschung ist da eingebaut. Du wirst sehen, es geht gleich tief hinab. Außerdem mögen es die Forellen im flachen, schnell dahin strömenden Wasser zu schwimmen. Schon deshalb muss der Bach flach aussehen." "Ach so, ja das kann ich verstehen. Und hier ist jetzt die Stelle an der ich tauchen muss?" sagt Emilie und zeigt mit dem Finger in den Bach. "Ja, genau da!" bestätigt ihr das Männchen und kurz entschlossen springt Emilie mit dem Kopf voran in den Bach. Richtig erschrocken schaut der Mond, denn er hat nicht alle Worte zwischen den beiden verstanden und meint, dass Emilie sich den Kopf ganz furchtbar stoßen müsse. Nur gut, dass der Mond keine Arme und Hände hat. Müsste komisch, sehr komisch aussehen, wenn ein Mond die Hände über dem Kopf zusammen schlägt. Obwohl, genau dieses zu tun hatte der Mond das Gefühl. Das Männchen schaut da gelassener zu. Es weiß ja, dass an dieser Stelle nur der Zugang zur Höhle unter der Wiese zu finden ist.

Emilie war selber erschrocken von ihrem plötzlichen Mut. Aber anhalten ging nun nicht mehr. Ihr Körper verschwand mit einem Satz im Wasser des Baches. Kalt und schnell floss das Wasser in das sie eingetaucht war. Zuerst der Kopf, deswegen hielt sie auch gleich mal die Luft an. Dann folgte der Körper und die Beine. Alles tauchte in den Bach und dann war nichts mehr zu sehen von Emilie. Die Spritzer vom Eintauchen waren schnell verschwunden und genau wie zuvor floss das Wasser des Baches flach in seinem Bett. Emilie hielt derweil noch immer die Luft an, obwohl sie nun fühlte, dass sie nicht mehr im Wasser ist. Auch die Augen hielt sie noch fest geschlossen, denn eigentlich wollte sie nicht sehen, wo sie sich nun befindet. Aber die Luft ging ihr aus. Mehr als vielleicht eine Minute konnte sie ohne Aus- und Einzuatmen nicht durchhalten. Also öffnete sie ihre Lippen und holte tief Luft, darauf gefasst dass ihr irgend etwas Schlimmes passieren würde. Aber nichts passierte. Nur Luft, frische saubere Luft strömte durch ihren Mund in beide Lungenflügel. Nun schon etwas neugieriger geworden öffnet Emilie beide Augen. Sie steht in einem hell erleuchteten Flur, dessen Boden sich leicht nach unten neigt. Das Licht in diesem Flur kommt von oben und ist ein bisschen grünlich gefärbt. Das ist durchaus logisch, denn die Flurdecke ist durchsichtig wie Glas und darüber ist der Bach und die Wiese zu erkennen. An den Seiten des Flures sind lang gestreckte grüne Pfeile zu sehen, die in die Richtung des schrägen Bodens zeigen. "Ach so, hier geht es wohl zur Klappe", denkt Emilie sich und folgt den Pfeilen. Und richtig schon nach wenigen Metern werden die Pfeile von einem Wort in grünen Buchstaben unterbrochen. Da steht es KLAPPE. Sie ist also auf dem richtigen Weg. Beruhigt und mit festerem Schritt geht sie weiter und während sich allmählich ein immer lauter werdendes Rauschen in ihren Ohren bemerkbar macht, schauen sich hoch oben auf der Wiese der Mond und das grüne Männchen an.

Beide denken das gleiche: Was wohl Emilie da unten erlebt ? Und hoffentlich gelingt es ihr die Klappe wieder in Gang zu bringen und hoffentlich kommt sie wohlbehalten wieder hier auf der Wiese an.
Vorsichtig setzt Emilie einen Fuß vor den anderen, während ihre linke Hand die Wand berührt. Immer steiler senkt sich der Erdboden, auf dem sie läuft. Immer lauter wird das Rauschen in ihren Ohren. Und da ist auch schon eine Tür aus grünem, durchsichtigen Glas. Dahinter scheint ein großen Schwimmbecken zu sein, wie in einem Spaßbad. Emilie erkennt hinter dem grünen Glas einen Beckenrand und in dem Becken Wellen einer Flüssigkeit, vielleicht Wasser, aber das kann sie nicht beurteilen, denn das grüne Glas färbt alles dahinter in ein weiches Grün. Entschlossen öffnet Emilie die Glastür. Sofort wird das Rauschen überlaut, wie bei einem Wasserfall, der aus großer Höhe riesige Wassermengen hinab stürzt. Da, am anderen Ende von dem Becken, das so zwei Häuser lang und mindestens anderthalb Häuser breit ist, also an seinem anderen Ende erkennt Emilie ein dickes Rohr. Aus dem stürzt eine giftgrüner Flüssigkeit in das Becken. Daher dieses Rauschen, denkt sich Emilie und richtig, das Rohr ist hoch oben angebracht, es sind noch einige Meter bis zur Oberfläche der Flüssigkeit im Becken zu bewältigen. Und genau deswegen rauscht es so laut, denn wenn die Flüssigkeit aus dem Rohr auf die Flüssigkeit im Becken trifft, dann wallt und wirbelt es nur so, weil Luft mit in das Becken gerissen wird, die gleich wieder heraus kommen will. Das sprudelt und pruscht, das wallt und wellt, das wirbelt und planscht, das spritzt und sprüht. Bald schon, so scheint es Emilie, wird das große Becken überlaufen, denn nicht nur kleine Wellen platschen an den Beckenrand vor ihren Füßen und mindestens bei jeder dritten Welle kommt eine große giftgrüne Pfütze über den Beckenrand, fast bis an die Glastür schwimmt sie. Aber noch reicht der Schwung der Pfütze nicht aus, die Tür zu erreichen und so zieht sie sich erstemal wieder zurück. Emilie denkt sich voller Staunen, ooch muss das grüne Männchen aber viel gutes getan haben, wenn dabei noch so viel Böses angesammelt wurde, dass ein so großes Becken gefüllt werden kann. Emilie schaut sich um. Ja, da an der Seite sind noch immer die grünen Pfeile aufgezeichnet und sie kann auch einen Schriftzug von Buchstaben erkennen. An der Seite des Beckens entlang geht sie und liest wieder die Worte KLAPPE. Der Pfeil zeigt nach unten. Richtig, denkt Emilie, oben kann die Klappe nicht sein, denn die grüne Flüssigkeit aus dem Rohr kommt ja von oben und fällt nach unten, also ist sie schwerer als die Luft und kann nur nach unten weiter fließen. Also muss auch unten die Klappe sein, die den Abfluss eigentlich regulieren soll. Und die will ich ja reparieren, denkt sie sich also und schaut genauer hin. "Guck mal", sagen ihre Augen. "Da ist eine Kellertür." Und richtig, es geht ein paar Stufen hinab und dann ist da diese Kellertür. Emilie hat keine Angst vor Kellertüren und Keller. Sie öffnet die Tür, denn die hat eine Klinke in der Mitte und schaut vorsichtig in den Keller. Eben ist dort ein , klar grünliches Licht angegangen und erhellt jeden Winkel in diesem Keller. Der Fußboden vom Keller ist glatt und ordentlich gefliest. Natürlich grüne Fliesen. Oben an der Kellerdecke sozusagen, hängen dicke Rohre herum. Sie bewegen sich. Als ob sie zittern. Emilie tritt in den Keller, denn sie kann keine Gefahr für sich entdecken. Im Keller summt es, wie bei einem Schwarm Bienen. Das Summen kommt von den Rohren, den dicken. Emilie berührt ein Rohr mit der Hand. Da drinnen brodelt es. Klar, denkt sich Emilie, das Böse staut sich in den Rohren. Es kann nicht abfließen, also drückt es gegen die Rohrwände. Es will raus. Das darf es aber nur in Richtung Meer, denn da sind die ganz großen Höhlen. Emilie schaut sich ratlos um, wo ist denn nun die KLAPPE? In der hinteren Ecke des Kellers sieht sie wieder den Schriftzug KLAPPE. Allerdings kann sie keinen Pfeil entdecken. Sie geht näher an die hintere Kellerecke. Und da, da kann sie ihn sehen. Ein kleines grünes Männchen, entfernt ähnlich dem grünen Männchen von ihrer Wiese, sitzt dort am Kellerboden und hat eine Hand an der KLAPPE. "Was tust du denn da?", mutig schleudert Emilie die Worte in Richtung des Männchens. Keine Antwort folgt. Das Männchen sitzt still und stumm, hält aber die Hand an der KLAPPE. Noch näher tritt Emilie. "Du da! Kannst du nicht sprechen!?", energisch klingt Emilie, aber innerlich ist ihr doch ganz schön mulmig. Ganz leise kriecht immer mehr Angst in ihr Herz. Sie wehrt sich. "Es kann mir ja nichts passieren!" Überall um sie herum, summt und brummt es immer lauter und dieses Männchen rückt und rührt sich nicht. "Jetzt habe ich aber die Nase voll von deiner Schweigerei!", ruft sie nun aus und fasst das grüne Männchen an der Schulter.
Es fällt wie vom Blitz getroffen um. Da liegt es nun auf der Seite. Auf dem Rücken hat es Holzleisten. Holzleisten, kreuz und quer genagelt, damit die Pappe aus der das Männchen besteht, nicht auseinander fällt. "Ein Pappmännchen!", jubelt Emilie in ihren Gedanken. Und noch etwas fällt ihr auf. Seitdem das Pappmännchen umgefallen ist, wurde das Brummen und Summen im Keller leiser. Es scheint sich alles wieder zu entspannen. Und dann ist da noch ein Zettel. Gleich an der Wand vor der das Pappmännchen saß. Emilie nimmt den Zettel in ihre Hand und liest:

"Ich hoffe, dieser Zettel schwimmt oben auf der grünen Wiese von dem guten grünen Waldgeist. Mindestens einen halben Meter hoch soll die Wiese vom Bösen bedeckt sein und derjenige, der den Zettel findet, steht wenigstens auch einen halben Meter mittendrin im Bösen. Alles soll Böse werden! Endlich ist es geschafft. Schon zweihundertvierundsiebzig Jahre lang, habe ich selber die Klappe fest gehalten, damit sich das Böse hier unter dieser grünen Wiese anstaut. Und es ist mir gelungen! Jedenfalls bis zum vergangenen Jahr. Dann hatte mich ein rotes Männchen erwischt. Wusste ja nicht, dass die regelmäßig in den Höhlen unter den Wiesen ihre Inspektionen machen. Die halten so ein Dingsbums in die Höhle und das erkennt sofort, wenn ein anderes Männchen in der Höhle ist. Dann wird das erwischte Männchen aus der Höhle verbannt. So haben sie es auch mit mir getan. Aber! Aber ich habe sie ausgetrixt, die Höhle anschließend noch einmal besucht, meine Holzfigur an die Klappe gesetzt, ein bisschen noch gehext, dann hat meine Holzfigur die KLAPPE verschlossen. Ha, ha! Und weil es nur meine Holzfigur war, haben die roten Männchen bei ihren Inspektionen nichts mehr bemerkt. Nieder mit den guten grünen Männchen! Es lebe das Böse!"

"Auweia, so ein Bösewicht! Tückischer", dachte sich Emilie, "Da hast du dich aber getäuscht, ich war auch noch da und mit mir hast du wohl nicht gerechnet!". Richtig stolz ist Emilie auf sich und ihren Mut. Den Zettel steckt sie in eine ihrer Taschen und läuft schnell, ein bisschen unheimlich ist es ihr in diesem Keller doch, wieder nach oben. Und sieh da, das Becken liegt ruhig im grünen Licht der grünen Neonlampen. Das Böse, welches im Becken sich sammelt, ist ruhig und ohne jeden Strudel. Auch aus dem dicken Rohr, oben an der Decke rinnt das Böse völlig unaufgeregt und normal. Emilie ist sich sicher, die KLAPPE funktioniert wieder wie sie sollte.
Schnell geht es nun auf die Wiese. Ganz leicht war das. Sie stellte sich nur in den Flur vor der grünen Glastür und schloss die Augen. Schwupps stand sie im silbrigen Mondlicht. Hell erstrahlt ihr Gesicht, denn der Mond hatte gerade ganz intensiv in den Bach gestrahlt, er wollte wohl nachsehen, wo denn die Emilie geblieben ist, da war sie plötzlich wieder da. Den Zettel in der Hand reichte sie dem grünen Männchen, welches jetzt auch in hellem Grün freudig auf leuchtete. "Oh, ich fühlte es schon, du hast es geschafft! Du tapferes Mädchen", sagte es freudig und begann den Zettel zu lesen. "Ach so hat der das gemacht. Das ist ja ein ganz schlauer gewesen, aha", kommentiert das grüne Männchen. Stolz stand Emilie vor ihm. Stolz auch schaute der Mond und das kleine grüne Männchen Emilie an. "Du hast dir eine Belohnung verdient", sagte das Männchen zu Emilie. "Ach nee, lass mal gut sein", echot darauf Emilie. "Ist schon toll gewesen, dieses Abenteuer." Aber das kleine grüne Männchen reagiert nicht auf ihre Antwort. Der grünliche Glanz um das Männchen verstärkt sich. "Leb wohl Emilie und sei immer willkommen auf meiner grünen Wiese", sagt es feierlich und während seine Konturen langsam verschwimmen, verstärkt sich der Glanz mehr und mehr. "Und weil du so tapfer warst und ein gutes Herz hast und hilfsbereit für mich eingesprungen bist, sollst du ab heute zur Schwester der Wiesen - Fee werden", nun ist das Männchen nicht mehr zu erkennen, nur ein grüner heller Glanz ist an seiner Stelle zu sehen und während feierliche Musik aufklingt, hört Emilie und der Mond noch die Worte des nunmehr völlig verschwundenen Männchens: "Und Schwester der Fee, das heißt so oft du es willst, kannst du die Tiere auf der Wiese beobachten, ihren Gesprächen lauschen, ohne dass sie dich als Störung empfinden. Und wenn du einmal Hilfe benötigen solltest, weil du oder deine Familie in Not sind, dann puste drei Mal sanft gegen die Windrichtung und rufe nach dem kleinen grünen Männchen."

Mit diesen Worten verschwand das grüne Männchen vollkommen, auch der Glanz der immer heller geworden war verlosch nun allmählich und der Mond machte sich weiter auf seinen Weg über den Himmel. Emilie schaute sich um, als ob sie die Wiese neu entdecken wollte. Da ein Hasenpaar am linken Wiesenrand. Der eine hat seine Pfote um den anderen Hasen gelegt. Emilie dachte bei sich "Aha, ein Liebes- Hasen- Paar." und hörte über die Wiese hinweg das Gespräch der beiden Hasen: "Und wenn die Kinder dann groß sind, werden sie selber die Elternhasen sein ...."

zurück