© der Geschichte: Andrea Tillmanns. Nicht unerlaubt
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Draußen


Weißen Treppen gleich die Wolken, die an guten Tagen geradewegs hinein ins Blau des Himmels zu führen scheinen, so wie auch jetzt. Die Bäume vor meinem Fenster schon dunkel, im Schatten des Hauses, doch hinter ihnen, gesprenkeltes Hell zwischen unbesehenen Blätterflecken, glänzt die Sonne ihren Daseinsbeweis zu mir herüber.

Zum Photographieren schön ist dieses Bild, und so lasse ich den Apparat im Dunkel seiner Tasche und betrachte, was ein bloßes Abbild nur verfälschen, verkleinern würde.

Eine Kohlmeise tanzt zwischen Zweigen, und das Taubenpaar, immer verdeckt vom Fensterkreuz, wie ich mich auch setze, versunken in liebevollen Berührungen.

Weiter oben, wenn ich nach vorn mich beuge, auch die Spitze der Sommerlinde
lichtdurchflutet, doch stetig kleiner wird dieser Streif. Und wieder Himmel, verheißungsvolles Blau mit weiten, weißen, geflügelten Stufen, die vielleicht zu einem Ziel hinführen mögen, durchbrochen von sonnenhellen und schattendunklen Zweigen, die vorwitzig nach oben ragen, dem Himmel so viel näher als ich.

Und das vertraute Krächzen der Rabenkrähen, die an jedem Abend ihren Weg hierher finden, und von fern eine Herde Kühe, und lichtüberflutet die Bäume am anderen Ende der Wiese, doch schmaler wird der goldene Streifen am Haupt der Sommerlinde -
Momente gibt es, da müßte man aufspringen, bevor es wieder zu spät ist, hinauslaufen, die Sonne im Rücken oder der Wiese Gras, liegen und staunen, den Treppen folgen, die Vögel beneiden, den Bäumen ein Blatt nehmen, in dem das Licht des ganzen Tages gesammelt ist, den Kühen Kränze aus Gänseblümchen flechten.
Momente gibt es -

Nicht die Furcht vor der Nachbarn Spott, vor Erde auf meiner Hose und Gräsern im Hemd läßt mich bleiben, wo ich bin. Einst probierte ich es, doch die Vögel flohen mein Lachen, weder Kühe noch Treppen lockte mein zerzauster Blütenkranz, und die aus dem Blickfeld entschwundene Spitze der Linde verweigerte mir ihr Wissen um den Weg der Sonne.

Wichtiger, als was man tut, ist manchmal das Wissen, es tun zu können.

Und so trete ich langsam auf den Balkon und setze mich still, bis der letzte Sonnenstrahl das höchste Blatt der Sommerlinde seinen Träumen überläßt und mich der ruhigen Gewißheit, daß kein Photo dieses Bild besser bewahren könnte, als es die Bäume, Vögel und Kühe für mich tun.

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