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Die erste Sau

Heiß war der Tag gewesen, obwohl der Sommer noch jung war – war es doch erst die Fronleichnamswoche, dem Kalender nach eher noch Frühsommer. Wenn auch in diesem Jahr Ostern sehr spät lag und damit auch alle Feiertage, die sich von diesem ersten Vollmond im Frühjahr aus errechnen. Dazu war es sehr früh warm geworden und bereits Ende April waren selbst die Waldbäume schon grün, und ich war einmal drauf und dran gewesen, bereits jetzt das erste Mal zum Baden zu fahren. Lediglich aus Trägheit und weil ich mich nicht von den virtuellen Reisen im Internet losreißen konnte, war ich in meinem Büro geblieben. Doch hatte ich mich später über mich selbst geärgert, denn man hätte tatsächlich bereits – wenn auch nur kurz – ins Wasser tauchen und dann dafür umso länger in der Sonne liegen können.
Wirklich heiß war es also heute – nirgends anders konnte man es tagsüber aushalten als am See, im Schatten der Bäume. Alfons, mein vierläufiger Jagdhelfer hatte noch vor mir das kühlende Wasser angenommen und war zum erstenmal nicht nur hinter mir her geronnen, sondern hatte selbständig eine Runde in Ufernähe gedreht, und so langsam verwandelte sich das Plantschen des Welpen auch schon in die schnellen, aber nicht hastigen Schwimmbewegungen des erwachsenen Hundes. Trotzdem mußte man immer noch aufpassen, wenn man mit ihm im Wasser war, denn er neigte nach Hundeart eben dazu, wie überall, so auch im feuchten Element, immer wieder die Nähe seines zweibeinigen Gebieters zu suchen. Und da er einerseits untergehen würde, wenn er mit dem Paddeln aufhörte, sobald er das Ziel der Wasserreise erreicht hat, andererseits aber seine Krallen nicht einzuziehen vermag wie eine Katze, kann das Schwimmen mit einem Hund eine recht unangenehme Angelegenheit werden. Da heißt es scharf aufpassen und den vierläufigen Getreuen immer auf Distanz halten. Mit der Zeit bekommt man den Bogen aber heraus und im Notfall muß man sich der schmerzhaften Zuneigung eben mit einem plötzlichen Tauchgang entziehen.
In meinem Büro unterm Dach des Hauses kann man bei solchen Temperaturen eh‘ nichts zuwege bringen - und ein armer Wicht ist doch, wer im dumpfen Gemäuer bei der Fron ausharrt, obwohl draußen die Sonne vom blitzblanken Himmel herunterbrennt und der Schatten der Bäume am Ufer so herrlich kühl ist, weil ein trockenes Lüftchen von Osten hindurchweht. Außerdem streikte der Computer sowieso, und der entscheidende Geistesblitz zum Auffinden des Fehlers und seiner Behebung war noch nicht aufgeflammt. Auch auf der Jagd im Felde, die ich sonst des Nachmittags gerne betreibe, gibt ein heißer Junitag nichts rechtes her: Schonzeit haben Taube und Rabenvögel, von Hase und Rebhuhn ganz zu schweigen. Praktisch das einzige, was man tun kann, ist herumzuschleichen und die Jungfüchse am Bau zu meucheln – was im Sinne der Niederwildhege wohl sinnvoll erscheinen mag, denn wenn Fähe und Rüde keine hungrigen Mäuler mehr zu stopfen haben, werden sie wohl weniger die Kinderstuben der anderen Feldbewohner zehnten. Doch für mich ist´s alles andere als ein schönes Waidwerk, mit Blitz, Donner und bleiernem Hagel den arglosen Nachwuchs von Reineke und seiner Frau vom Leben zum Tode zu befördern, wo man mit den so erschlagenen doch nichts anderes anfangen kann, als sie „unschädlich zu beseitigen“, wie es im Amtsdeutsch heißt oder sie den Sauen hinzuwerfen. Da lasse ich sie doch lieber wenigstens bis zum Winter am Leben, wo sie dann bei der Bau- oder Fallenjagd oder beim winternächtlichen Fuchsansitz wenigstens einen schönen Balg liefern – wenn man als Jäger denn schon töten muß, damit Leben sein kann.
So hatten Alfons und ich einen faulen Nachmittag am See verbracht, im Schatten liegend, er dösend, ich träge in Eduard Kettners Hauptkatalog blätternd, beide ab und an Kühlung im lauen Wasser des Sees suchend, als ich eine Weile vor Sonnenuntergang ins Revier fuhr, wo ich im Höllhau mit dem Jagdherrn zum Ansitz auf Sauen verabredet war. Alfons hatte ich zu Hause gelassen, denn ich hätte ihn eh´ nur unter dem Hochsitz ablegen können – was für einen Hund wohl doch eine recht langweilige Angelegenheit sein dürfte. Außerdem kann man sich bei einem jungen, unerfahrenen Hund nicht sicher sein, ob er nicht doch unruhig wird, wenn Wild zusteht. Man braucht den Hund beim Ansitz auch nicht unbedingt, wenn er auch, wie immer auf der Jagd , als getreuer Kumpan des Waidmannes, die Freude am Aufenthalt in der Natur verdoppelt und in langen, dunklen Stunden ein willkommener Trost ist. Auf Ansitzgelegenheiten, bei denen ich den Hund neben mir und nicht sechs Meter unter mir haben kann, möchte ich dann auch nicht auf seine Gesellschaft verzichten. Beim Kanzelansitz darf er aber zu Hause bleiben, denn das notwendige Warten, welches bei einem schlechten Schuß der nun erforderlichen Nachsuche vorausgeht, läßt genug Zeit, den Hund von daheim zu holen – wenn man des schwindenden Lichtes wegen nicht gar bis zum nächsten Morgen warten muß.
Der Jagdherr ließ mal wieder auf sich warten – was sollte es: Im Wald begann die Temperatur angenehmer zu werden, obwohl es auf den Blößen in der Abendsonne immer noch emsig summte und brummte. Der Tag der Bienen, Hummeln und all der anderen kleinen geflügelten Kreaturen war offensichtlich noch nicht ganz zu Ende. Es war der Klang des jungen Sommers – Grillen waren nämlich noch keine zu hören. Wenn ihre Musik erst einmal ertönt und die Beeren der Ebereschen ihr leuchtendes Orangerot annehmen, weiß der Kundige, daß langsam, aber unerbittlich der Sommer seinem Ende zustrebt. Wenn dann auch noch viele sonnige, ja heiße Tage folgen mögen, es geht doch schon bald der Zeit zu, da die Nächte merklich kühler werden und die brüllende Hitze des Hochsommers dem milden Sonnenschein und der angenehmen Wärme des vorgerückten Augusts weicht – womöglich die schönste Zeit des Sommers, die sich in glücklichen Jahren lange hinzieht und es dann erlaubt, gegen Ende September noch im Freien zu baden und in der Sonne zu dösen, ohne gleich mit einem Hitzschlag rechnen zu müssen.
Langsam beginnt so die hohe Zeit des Jägers: Wenn Mitte Juli die Wintergerste unter die Walze des Mähdreschers sinkt, beginnt die Taubenjagd, und auch für Krähe und Elster ist der Pardon beendet. Ist dann im August der Weizen dran, darf man auch schon den Dachs bejagen, und Anfang September ist‘s vorbei mit der Schonung für Stockente und Blässhuhn. Wenn es mit dem Schwimmen endgültig aus ist, im Oktober, dann darf man unter anderem auch Meister Lampe auf den billigen Balg rücken und die anderen Entenarten schießen, soweit sie nicht das Jagdgesetz ganzjährig schont. Das Füllhorn der Ernte im Jagdrevier ist jetzt weit geöffnet: bald beginnt auch die herrliche Zeit der Treibjagden, mit Hörnerklang und Hundsgeläut, mit aufgehenden Hasen und knallenden Flinten im Nebel des Novembers oder an seinen gar nicht so seltenen, goldenen Tagen, mit durstigen Waidgesellen beim Schüsseltreiben, Lachen und mancherlei losen Reden nach vollbrachtem Waidwerk. Der Herbst ist der wahre Sommer des Waidmannes, so wie der Mond, der alte August, die Sonne des Saujägers ist.
Jetzt aber war dieser Sommer – mein erster auf der Jagd – noch jung: Die violetten Blüten des Weidenrösleins leuchteten an den Rändern der Wiebke-Flächen, am Himmel kreiste noch ein Bussard und der würzige Duft sonnendurchglühten Nadelwaldes lag in der Luft. In meinem Rücken lag das Altholz, vor mir erstreckte sich eine weite Wiebke-Fläche, Ergebnis des schweren Wintersturmes von Anfang 1990, der die jagdlichen Gegebenheiten in unserem Lande teilweise stark verändern sollte - und nicht unbedingt zum schlechteren, für den, der die neue Situation zu nutzen weiß! Was hier vor mir lag, war – und ist es natürlich immer noch – ein typisches Ergebnis des gewaltigen Sturmes: Er hatte die alten Fichten fast alle gnadenlos niedergeworfen, so, daß es aussah wie ein Mikadospiel für Giganten. Gespielt mußte diese Partie jedoch von Menschen werden, und für die war ein Fehler bei diesem Spiel so manches Mal der letzte ihres Lebens. Gnadenlos schnellt der Fichtenstamm nach oben, den die Last anderer Stämme gebogen hat, wenn man die Kettensäge ansetzt und ihn befreit. Wer hier nicht genau überlegt, was passiert, wenn er welchen Stamm durchsägt, kann ohne weiteres in die Luft geschleudert, zermalmt oder erschlagen werden. Immer wieder fordern die Aufräumarbeiten auf Windbrüchen Menschenleben und zeigen noch lange nach dem Abflauen des Sturmes, wie unerbittlich die Natur auch in einem sogenannten zivilisierten Lande sein kann. Nachdem man also auch auf dieser Fläche unter Lebensgefahr in Knochenarbeit die Stämme herausgezogen und zu den Nasslagerplätzen gekarrt hatte, war auf eine Wiederaufforstung im herkömmlichen Stile verzichtet worden. Ob aus Geldmangel des Privatwaldbesitzers, aus Zeitmangel oder aus ökologischen Überlegungen heraus – das ist dem lieben Gott wohl egal, der auf dieser Fläche sein eigenes Aufforstungsprogramm zu verwirklichen begann.
Im Boden des Waldes bereits schlafende Samen, solche, die von Vögeln mit ihren Geschäftchen dahergebracht wurden, geflügelte Früchte sowie von Hähern und Hörnchen herbeigeschlepptes Saatgut begannen zu keimen und zu wachsen und schufen ein Lehrstück, das uns zeigt, wie die Natur eine Fläche bewaldet, wenn man sie nur läßt. Der Stickstoffeintrag aus der Luft tat ein übriges: Nach einigen Jahren stand auf der Katastrophenfläche bürstendicker Jungwald als erste Generation eines neu entstehenden Urwaldes, der bei uns überall aufwächst, wenn das Wachsen und Gedeihen nicht durch die Hand des wirtschaftenden Menschen in Bahnen gelenkt wird, die er für richtig hält. Keine natürliche Wiese gibt es in unseren Breiten, sondern nur natürlichen Wald; dieser ist die natürliche Pflanzengesellschaft in unserer Weltgegend – wo immer Boden, Niederschläge und Höhenlage es zulassen.
Die erste Generation des werdenden Waldes besteht aus Pionierbaum- und -straucharten, Arten, die bereits in ihrer Jugend Licht benötigen, pralle Sonne ertragen und auch auf extremen Standorten, auf armen und auf trockenen Böden leben können, Wind, Hitze und strengem Frost trotzen. Unter den allerersten ist hier die Birke zu nennen, aber auch Weidenarten, schwarzer und roter Holunder, Himbeere, Brombeere und viele andere. Vielleicht auch schon die unheimliche Tollkirsche, die demjenigen, der ihre Früchte genießt Sinnestäuschungen, Wahnideen und abstruse Träume verschafft, ja sogar den Tod bringen kann. Tja, so manches wächst im Walde, was früher den Hexen zu ihren Salben und Tränklein diente und auch heute noch vereinzelt von Kundigen als Rauschmittel verwandt wird – und von dessen Existenz so mancher Kriminalist im Rauschgiftdezernat keine Ahnung hat, weil es nicht im Opiumgesetz steht.
Auch die Kiefer gehört zu denjenigen Bäumen, denen es gelingt auf kahler Fläche, auf dem Windwurf oder nach Waldbränden Fuß zu fassen. Man findet sie und die anderen Arten großenteils auch in unwirtlichen Gegenden des hohen Nordens und des Hochgebirges und auf sehr armen Böden, wo sie die eigentliche heimische Flora bilden. Bei uns dienen diese Gehölze als Schirm, der auch diejenigen Bäume aufwachsen läßt, die in ihrer Jugend Halbschatten ertragen, ja sogar benötigen, die Schutz vor den extremen Einflüssen des Klimas brauchen, bis sie herangewachsen sind und die zu den Baumarten unseres natürlichen Waldes in seinem „fertigen“ Zustand gehören. Undankbar, wie das Leben nun einmal ist, lassen diese Bäume ihren Zieheltern, den Lichtbaumarten keine Chance mehr, haben sie selbst erst einmal das Terrain erobert. Allen voran ist die Rotbuche der häufigste Bürger dieser ausgereiften Pflanzengesellschaft, welche fast unser ganzes Heimatland in alten Tagen bedeckte. Je nach Höhenlage, Untergrund, Feuchte und klimatischen Bedingungen mischen sich unter sie verschiedene Nadel- und Laubbäume, auch Sträucher und kleinere Pflanzen, bis hinunter zu den Gräsern, Farnen, Pilzen und Moosen des Waldbodens. Die Fichte und die Lärche mischen sich unter die Buche, wo es das Klima zuläßt kommt die Eiche auf, der Ahorn, die Esche, auf feuchten Standorten auch die Erle treten in Erscheinung und viele weitere Arten, darunter auch Wildobstbäume, die Vögeln Nahrung liefern und auch Fuchs und Marder eine vitaminreiche Aufbesserung des Speisezettels. Doch die Buche bleibt vorherrschend – eigentlich sollte sie der Wappenbaum unserer Heimat sein und nicht die sprichwörtliche Deutsche Eiche.
Wer weiß, vielleicht wird auf unserer Wiebke-Fläche in ein paar Jahrhunderten wieder etwas stocken, was dem ursprünglichen Urwald des nördlichen Mitteleuropas sehr nahe kommt und auch wieder manches Tier beherbergt, dem unsere heutigen Forsten zu licht und zu laut geworden sind. Schon jetzt ist die Wiebke-Fläche ein Paradies des Wildes, auch wenn der unaufmerksame Beobachter meinen mag, es gäbe keines mehr. Das nämlich, was in seiner natürlichen Umgebung leben darf, ist normalerweise kaum zu sehen, wenn es nicht gerade groß und wehrhaft genug ist, seine Feinde abzuschrecken wie etwa der Büffel und der Elefant in der Savanne oder der mächtige Rothirsch, der ja eigentlich in die Steppe gehört. Hase und Rebhuhn in der Feldmark, das Reh im Wald, Fuchs, Dachs und viele andere dagegen setzen auf Tarnung durch ihr Kleid und auch durch vorsichtiges Verhalten. Während die großen Arten wohl ihren räuberischen Feinden aus dem Tierreich trotzen können, sind sie oft der Büchse des Zweibeiners hilflos ausgeliefert und können durch unsachgemäße Bejagung möglicherweise tatsächlich ausgerottet werden. Nicht jedoch die kleinen Arten, welche die Möglichkeit haben, sich zu decken und daran gewöhnt sind, mit reicher Nachkommenschaft die Verluste durch Beutegreifer, Krankheiten und Katastrophen zu kompensieren. Auch wo der Mensch das gerne möchte, wie zum Beispiel bei den Kaninchen im Felde, kann er mit Dackel, Donnerrohr und Falle nicht über ihre Fruchtbarkeit Herr werden. Empfindlich sind diese Tierarten oft genug jedoch gegen Beschädigungen Ihres Lebensraumes – die ihnen zum völligen Verhängnis werden kann.
Wenn der Mensch die Natur zur Kulturlandschaft umgestaltet, passiert es, daß gewisse Tiere daraus einen Gewinn ziehen, andere jedoch in ihrer Lebenskraft empfindlich geschwächt werden. Profitiert nun ein Beutegreifer von der Anwesenheit des Menschen, kann er die eine oder andere Art an den Rand der Ausrottung bringen, vor allem, wenn sie schon unter den Veränderungen leidet, die der Mensch gebracht hat. Besonders schlimm kann das werden, wenn der Beutegreifer zwar besonders geschickt im Erbeuten einer Art ist, andererseits aber auch von anderen Arten problemlos leben kann. Er wird dann nicht wie ein Nahrungspezialist sich selbst durch die Dezimierung seiner Beute vermindern, sondern hauptsächlich von in großen Mengen verfügbaren anderen Tieren leben, seine Lieblingsbeute jedoch jedesmal schlagen oder reißen, wo er sie noch antrifft. Das ist ganz ähnlich, wie bei der Katze, die man füttern muß, damit sie effektiv maust.
Die Wiebke-Flächen sind ein – wenn auch zunächst ungewollter – Schritt in die richtige Richtung. Sie bieten das, was der Ökologe als reiches Biotop bezeichnet. Viele verschiedene Tiere und Pflanzen leben dort von- und füreinander. Gerade auch dem Rehwild gefällt es dort sehr gut. Das fast undurchdringliche Dickicht kommt diesem Schlüpfer der Waldrandzone sehr gelegen. Äsung und Deckung finden Bock und Geiß hier an einem Ort beieinander und die Beschränkung des Rehes auf ein recht geringes Territorium führt dazu, daß wohl manch ein Reh sein ganzes Leben verbringt, ohne jemals die schützenden und nährende Wiebke-Fläche zu verlassen. Derjenige Jäger, der nicht dazulernen will, sitzt dann weiter auf dem Hochsitz am lauschigen Waldrand, wo bereits sein Vater und auch Großpapa ihren Lebensbock schossen, wenn er aus der äsungslosen Fichtendickung abends ins Feld zog. Aber er heute, er schaut mit dem Ofenrohr ins Gebirge.
Am Stammtisch bruddelt der wackere Waidgesell dann aus überzeugter Brust, daß es keine Rehe mehr gäbe und man diesen unsinnig hohen Abschuß unmöglich erfüllen könne, den die vermaledeiten Förster mit ihren noch vermaledeiteren Verbißgutachten bei der Unteren Jagdbehörde durchsetzen, wo doch sie selbst und ihre Jagdgäste auf den Regiejagden im Staatswald dafür sorgen, daß auf jedes Stückchen Rehwild gnadenlos Dampf gemacht wird. Wer aber die Veränderungen im Wald erkannte und weiß, wo er zu suchen hat, der findet in den Wiebke-Flächen die Plätz- und Fegespuren guter Böcke, auch wenn im gleich nebenan gelegenen „Feindlichen“ jahrelang ein als wahrer Rehehasser bei den Jägern verschrieener Förstersmann mit dem eisernen Besen, oder besser gesagt, mit der 8 x 57 ausgekehrt hat.
Aber auch das Schwarzwild meidet die Wiebke-Flächen keineswegs. Hier findet es Deckung und wohl auch einen Teil seiner Nahrung. Zum Verdruß der Bauern und Jagdpächter aber nur einen Teil: Nächstens zieht es nämlich gerne noch nach der Feldmark, um dort im Futtermais zu wüten – dessen vermehrtem Anbau es auch nicht zuletzt seine starke Zunahme verdankt – oder aber in aller schweinischen Unschuld in der besten Wiese des Bauern nach Mast zu brechen. Eine Wiese, die auf diese Art behandelt worden ist, sieht dann aus, als wenn hier ein Treffen wildgewordener Planierraupenfahrer stattgefunden hätte. Manchmal bräuchte man nur noch mit der Scheibenegge darüber zu gehen, um das Saatbett vorzubereiten, die Bodenwendung haben die Sauen bereits besorgt. Mancher Bauer und mancher Jagdpächter – der für die Wildschäden aufzukommen hat – mag die Sprache unseres Landstriches um neue Ausdrücke bereichert haben, wenn er vor einer so bearbeiteten Fläche stand. Ausdrücke, über die wir hier den Mantel des Schweigens breiten wollen, denn blumenreich und nicht immer jugendfrei ist der Sprachschatz unserer Heimat.
Was den Zorn der Bauern und Jagdherren erregt, kommt den Jungjägern zu gute: Einen Bock – und sei es nur einen Knopfler – schießen zu dürfen, darum muß einer den Jagdherren oft lange bitten und fleißig beim Hochsitzbau, bei der Fütterung und bei der Anlage von Pirschpfaden fronen. Das war vor Jahren noch des Jungjägers Traum und das einzige Schalenwild, auf das er bei uns vorerst hoffen konnte, wenn er sich nicht irgendwo einen Abschuß kaufen wollte oder konnte. Heute jedoch sind die Sauen da, und eine solche schießen zu dürfen, das erlaubt der Jagdherr gerne, wenn ihm der Wildschaden im Nacken sitzt. Die Jungjäger werden sogar angewiesen, fleißig „nauszomhocka“, denn möglichst viele Sauen sollen erlegt werden, ist nach dem Sturm von Weihnachten 1999 doch mit einer weiteren Vermehrung der Schwarzkittel zu rechnen: In den unzugänglichen Windbrüchen, die erneut entstanden sind und nicht auf die Schnelle aufgearbeitet werden können, werden sich die Sauen ungestört vermehren, was wohl nicht ohne zusätzlichen Schaden in der Feldflur bleiben wird.
Wenn es vielen Bauern und so manchem Jagdherren dazu, auch als Ungeziefer erscheinen mag, gehört sus scrofus, das Wildschwein, doch zur Hohen Jagd. Als Hochwild durfte es in den alten Tagen nur von hohen Adligen bejagt werden, wogegen sich die niederen Herren mit dem Niederwild begnügen mußten und als einziges Schalenwild das Reh auf der Jagdkarte hatten, welches denn auch heute noch als Hirsch des Kleinen Mannes gilt. Das grobe Schwein aber, der reife Basse ist mir der wahre König unserer Wälder: Wehrhafter als der Rothirsch, schlauer als der Fuchs, fruchtbar wie sonst fast nur der Karnickel und mit einer unbändigen Kraft zum Überleben ausgestattet, erobert sich das Schwarzwild Landstrich um Landstrich zurück, nachdem man es Jahrzehnte in manchen Gegenden nur noch vom Hörensagen gekannt hatte. Wehe dem, der einer angeflickten Sau begegnet oder einer altkranken, die mitbekam, wer ihr das heiße Blei verpaßte! Dabei sind wie anderswo auch, die Vertreter des schwachen Geschlechtes um einige Grade schlimmer, als die Herren der Schöpfung. Während der Keiler einmal zuschlägt und dann sein Heil in der Flucht sucht, massakriert die Bache ihren Feind mit Bissen, hinter denen die Kraft von Kiefermuskeln steckt, um die sie jeder Schäferhund beneiden würde. Anschließend dient ihr der getötete Feind dann als Mahlzeit. Warum das so sein muß, kann man sich leicht vorstellen, wenn man sich vor Augen hält, daß das eigene und auch das Überleben des Nachwuchses das höchste Ziel in der Natur ist: Der Keiler ist alleine und hat er sich selbst den Fluchtweg freigehauen, wird er kein weiteres Verletzungsrisiko durch eine Fortsetzung des Kampfes eingehen. Die Bache jedoch führt unter Umständen Frischlinge, die noch nicht schnell genug flüchten können. Also muß der Feind ganz und gar und ein für allemal unschädlich gemacht werden. Und warum sollte sie die gute Nahrung verkommen lassen, wenn der Angreifer zum blutigen Fleischklumpen geworden ist?
Ein interessantes Wild ist das Schwarzwild fürwahr, und auch eines, das nicht so leicht zu bejagen ist. Es kommt zumeist in rabenschwarzer Nacht und darf deshalb im Gegensatz zu anderem Schalenwild auch des nachts bejagt werden. Der Mond ist daher die rechte Saujägersonne. Wenn es auch einen Saujäger gäbe, der nicht weiß, daß das Jagdjahr zwölf bürgerliche Monate hat, so wüßte er doch sicherlich, daß der gute, alte August ihm dreizehnmal im Jahreslauf das notwendige Büchsenlicht spendet. Sein bester Freund ist der Schnee, der ihn auch ohne Mond den Umriß der Sau erkennen läßt, und der Mangel, der hier in den letzten Jahren herrschte, mag wohl ebenfalls eine Rolle spielen bei der Massenvermehrung, mit der das Schwarzwild die Jäger heute auf Trab hält.
Aber auch ohne Schnee kann man Sauen jagen, und das wollen wir heute tun. Endlich erscheint der Jagdherr! Mit seinem zerbeulten Suzuki Samurai kommt er den holperigen Waldweg herangerattert. Nach einigen Flachsereien über Pünktlichkeit und einem kurzen Gespräch über die Gegebenheiten weist er mir die Kruzifix-Kanzel an. Bereits am Freitag zuvor hatte ich dort angesessen und war bei schwindendem Büchsenlicht abgebaumt, ohne Waidmannsheil gehabt zu haben. Ein anderer der Mitjäger des Reviers war noch aufgebaumt und hatte zehn Minuten später eine Sau gestreckt! Eine, auf der eigentlich schon mein Name stand – hätte ich nur nicht die Geduld verloren! Der Konjunktiv samt Wehklagen über Versäumtes - und noch weniger Neid auf den Jagdkameraden - sind hier jedoch nicht angebracht. Pah! Wo die eine herkam, da gibt es sicher noch mehr, und so soll das Waidmannsheil des Kameraden mir auch als ein gutes Vorzeichen für mein eigenes Waidwerk gelten.
In froher Erwartung erklimme ich also die Kruzifx-Kanzel, zwänge mich mit Rucksack und Büchse durch den Eingang und richte mich auf dem Sitzbrett ein. Den Namen hat diese Kanzel nicht etwa von Unmutsäußerungen über Waidmannspech, sondern von einem alten Marterl, welches ganz in ihrer Nähe an dem Wirtschaftsweg steht, der hier die weite Wiebke-Fläche durchschneidet und hinter der Kuppe steil ins Tal führt. Zu meiner Rechten befindet sich die Kirrung, die Stelle also, an der die Sauen zu erwarten sind. Etwas ungeschickt, denn man muß sich auf dem Sitzbrett schon ordentlich verdrehen, wenn man hier hin schießen will. Entweder wurde beim Bau der Kanzel nichts gedacht, oder die Kirrung wurde erst später angelegt. In jedem Falle jedoch verbesserungsbedürftig – ein zweites, bewegliches Sitzbrett quer zum ersten würde hier Abhilfe schaffen. Naja, wer mit Hammer und Säge nicht zurechtkommen kann, braucht nicht auf die Jagd zu gehen!
Noch ist es hell. Ich vertreibe mir die Zeit, indem ich zunächst ein wenig im Frankonia-Katalog blättere, ihn dann weglege und beobachte, was um mich herum geschieht. Von der Kruzifix-Kanzel aus kann man den größten Teil des Reviers überblicken, vor allem draußen die Feldmark. Wenn am Abend im Wald oder im Feld Ruhe einkehrt – oder besser: einkehren sollte – merkt man erst, wie verunreinigt mit Lärm unsere Welt ist: Selbst im tiefsten Wald wird man sogar nachts irgendwo ein Auto hören. Hier ist es noch schlimmer: Die Autobahn liegt in Sichtweite, und die Vizinalstraße, welche als Autobahnzubringer dient, ist gleich hinter dem nächsten Gestell. Offensichtlich können die Tiere jedoch mit dem Lärm leben, denn auch direkt an der Autobahn – bis dort hin reicht das Revier – steht in einem kleinen Waldstück Rehwild. Und auch die Sauen – die sowieso nicht, mittlerweile kommen sie ja bis in Großstädte – stört der Radau nicht. Auch Bussard und Turmfalke ziehen tagsüber ungerührt ihre Kreise über der Feldmark bzw. stehen dort rüttelnd. Der Bussard, als Niederwildgreifer beim Jäger unbeliebt, aber vom Jagdgesetz streng geschont, sitzt sogar auf den Leitpfosten an der Straße und wartet, daß ihm ein Auto die Mühe abnimmt, seine Beute selbst zu erlegen.
Mir jedoch stört der Lärm die Romantik des Abendansitzes. Doch wollen wir nicht undankbar sein! Manch einer wäre froh über eine Jagdgelegenheit wie diese. Unter solchen Gedanken geht die Dämmerung hin, lange ist der letzte Bussard über der Feldmark verschwunden und heimgekehrt zu seinem Horst, das freche, schlaue Elsterngesindel und die vorsichtigen Ringeltauben sind schon lange zu Bett gegangen, und langsam beginnt die Zeit der nächtlichen Tiere. Von einem Dorf her leuchten die Straßenlaternen und die Fenster, schon bald kann ich den Kollegen auf der Ansitzleiter am Stangenholz beim nächsten Rückepfad kaum mehr ausmachen, äste, Stämme, Sträucher, Leiter und Mann sinken zurück in die einheitliche, dunkle Masse des nächtlichen Waldes. Ab und zu ist noch ein Radfahrer an der Kanzel vorbeigestrampelt, mit der sinkenden Dämmerung hört das jedoch auch auf.
Mein Blick geht über den dunklen Wald, aus dem nur noch die hellen Kalkwege schimmern, über die Feldmark, hinter der auf der Straße die Lichter von Autos zu sehen sind. Oben am „Bahnhof“, dort wo einst die Holzverladestelle der längst verschwundenen Kleinbahn war, ist das Auto des Jagdherrn nicht mehr zu sehen. Er sitzt dort auf dem Sausitz oder an der Suhle, Stellen, an denen ebenfalls mit Schwarzwild zu rechnen ist. An der Kirrung bei meinem Sitz tut sich noch nichts, es ist noch nicht einmal etwas in der Wiebke-Fläche zu vernehmen......
Zwischendurch werfe ich einen Blick dahin, wo der Kalkweg über die Kuppe verschwindet.... Und traue meinen Augen kaum! Eine Sau! Ist es auch wirklich eine? Kein Hund oder noch was anderes? Sorgfältiges Ansprechen ist das wichtigste: Es ist des Jägers höchst‘ Gebot – Was Du nicht kennst, das schieß nicht tot! Also schaue ich noch mal hin. Es ist unverkennbar eine Sau – ein Überläufer... Und noch mal. Es bleibt tatsächlich ein Sau. Und da ist noch eine! Mann!
Strickdumm müssen die beiden sein, sich hier noch im letzen Büchsenlicht auf dem hellen Kalkweg zu präsentieren. Und auch noch auf mich zuzukommen! Unerfahrene Überläufer, wenn sie auch schon lange die Frischlingsstreifen verloren haben. Die schießt man vorrangig ab, denn der Jäger soll, wie das Großraubtier, vornehmlich in die Jugendklasse eingreifen. Vorsichtig kriege ich den Browning Halbautomaten Kaliber 30.06 Springfield her und lege auf der Brüstung auf. Jetzt das Leuchtabsehen einschalten! Entsichern! Ich sehe die eine der beiden Sauen im Zielfernrohr. Die soll es sein... Mist! Sie steht zu spitz... Aber jetzt macht sie den letzten Fehler ihres Lebens und stellt sich breit hin auf dem hellen Kiesweg, einen besseren Schuß kann man sich kaum wünschen. Der rote Leuchtpunkt in der Mitte des Absehens fährt ins Blatt und der Schuß bricht.....
Eigentlich soll der Jäger „durchs Feuer sehen“ um im Moment der Schußabgabe mitzubekommen, wie das Stück zeichnet, also durch seine Bewegung verrät, wo die Kugel wohl sitzt. Natürlich habe ich nicht gemuckt und das Zielauge zugekniffen, wie das so mancher Schütze aus Angst vor dem Schuß tut. Aber im Glas habe ich nur orangefarbenes Feuer gesehen als es krachte, zu dunkel war es bereits. Als ich wieder sehe, sind beide Sauen verschwunden. In der Fläche rechts von mir höre ich Brechen. Macht sie da ihr Testament? So nennt es der Jäger, wenn man den Todeskampf des Stückes im Bewuchs an den brechenden Ästen und dergleichen hören kann. Jetzt ist alles still. Büchse wieder sichern! Eine Selbstladebüchse ist nach der Schußabgabe ja sofort wieder schußbereit. Jetzt fange ich auch an zu zittern, daß berühmte Jagdfieber kommt bei mir erst nach dem Schuß – eiskalt und ruhig war ich, als ich den Finger auf die Sau krumm machte. Das ist ein nicht zu unterschätzender Vorteil: Mancher, der auf dem Schießstand nur Zehner-Kugeln in seiner Patronenschachtel zu haben scheint, trifft im Revier kein Scheunentor, denn es reißt ihn gnadenlos, sobald das Wild im Glas erscheint. Bei mir ist es anders, auch beim Angeln fällt mir das Herz nicht in die Hose, sobald der Schwimmer zuckt.....
Jetzt aber, nach dem Schuß, zittern mein Hände doch. Ich zünde mir eine Zigarette an und warte, bis das Zittern wieder verschwindet. Dann packe ich in Ruhe meinen Rucksack, entlade meine Waffe, baume ab und gehe zum Anschuss. Zu sehen gibt es da im Dunkeln nichts, außer zertrampeltem Gras. Um dem Hund nicht die Arbeit zu erschweren, wurschtele ich auch nicht lange herum, sondern verbreche lediglich den Ort und mache mich dann auf den Heimweg, da ich den Jagdherrn nicht erreiche, denn er hat sein Mobiltelefon offensichtlich abgestellt, um beim Ansitz Ruhe davor zu haben. Am anderen Morgen beim Hellwerden bin ich wieder da. Spät in der Nacht habe ich den Jagdherrn noch zu Hause erreicht und mich mit ihm für die Nachsuche verabredet. Geschlafen habe ich nur eine Stunde auf dem Sofa im Wohnzimmer, mein Bett mochte mich in dieser Nacht absolut nicht leiden. So habe ich an meinem Computer herumgepfriemelt und auch tatsächlich herausbekommen, was ihm fehlt: Der Prozessor-Lüfter hat sich verabschiedet. Und ich Idiot habe die Platte formatiert und das System neu installiert! Naja, nachher besorge ich mir halt so ein Ding und baue es ein. Aber erst sind wir noch auf der Jagd – das ist jetzt Sache, der Computer hat Zeit.
Jetzt ist auch Alfons, mein vierläufiger Freund dabei, denn heute gibt es Arbeit für seine Nase. Zunächst lasse ich meinen Hund im morgendlichen Feld sich auslaufen und lösen, denn für die Schweißarbeit braucht er seine ganze Konzentration. Noch ist es angenehm kühl und ein frisches Lüftchen bläst – herrlich ist‘s, an solch einem Morgen im Revier zu sein! Ich fahre zur Kanzel und sehe, daß hier bereits einer der anderen Jäger auf dem Morgenansitz sein muß, denn sein Wagen steht auf dem Kalkweg in einiger Entfernung. Also stelle ich meinen dahinter und warte auf den Jagdherrn, um dem Kameraden nicht den Ansitz zu verderben – schließlich konnte er nicht wissen, daß ich am Vorabend hier beim letzten Büchsenlicht ein Stück Schwarzwild beschossen habe. Er kann ja immerhin noch zu Schuß kommen, bevor der Jagdherr kommt und wir ihn dann halt doch stören müssen.
Als der Jagdherr angestoppelt kommt, baumt er auch ab, um zu sehen, was wohl anliegt. Gemeinsam gehen wir zum Anschuß – finden aber zunächst keinen Schweiß. Ich setze den Hund also auf gut Glück und ohne große Hoffnung an: „Auf Alfons! Woooo ist die Sau?“ Er fängt auch tatsächlich an zu arbeiten. Als ich ein paar Meter gekommen bin, rufen die beiden anderen: „He, schau her! Hier hast Du Deinen Schweiß!“ Der Anschuss lag an einer anderen Stelle, einige Meter weiter, als ich ihn vermutet hatte: Das niedergetrampelte Gras, was mich am Abend bei schwindendem Licht irregeführt hatte, kam nicht von meiner Sau, sondern davon, daß hier die Sau vom Freitagabend aufgebrochen worden war, wie mich mein Jagdkamerad aufklärt. Ich ziehe also den Hund ab und sehe mir den wirklichen Anschuss an. Tatsächlich findet sich hier hellroter Schweiß – Herz- oder Lungen-, vielleicht auch Wildbretschweiß. Auf jeden Fall war ich mit meinem Schuß also drauf! Etwas anderes konnte ich mir auch kaum vorstellen – schließlich hatte die Sau auf diese kurze Entfernung praktisch das ganze Glas ausgefüllt, und ein sitzend aufgelegter Schuß kann da praktisch nicht vorbei gehen.
Ich setze den Hund also neu an und er beginnt auch wacker auf der Roten Fährte zu arbeiten. Ein Stück weiter sehe ich schon wieder Schweiß, welchen mir Alfons aber nicht verweist – das muß ich ihm noch beibringen. Schließlich ist es seine erste richtige Schweißarbeit... Der Hund arbeitet sicher und unbeirrt. Ein, zwei Mal muß ich den Schweißriemen loslassen und wieder aufnehmen, weil Alfons durch Ecken kriecht durch die ich nicht unbedingt hinterherkrabbeln möchte. Mit tiefer Nase geht es durch den Jungwuchs – und da ist auch schon das Schwein! Also saß der Schuß wohl doch nicht ganz schlecht....
Am Stück angelangt sehe ich nach der Schußverletzung: Tatsächlich in der Kammer, wie es sich gehört. Allerdings nicht durchs Herz, sondern nur durch die Lunge. Da ich ein Vulkan-Geschoß verwendet habe, welches sich nicht so leicht zerlegt, ist die Kugel glatt durchgegangen: Der Ausschuß ist kaum größer als der Einschuß, wie sich später herausstellt. Daher ist das Herz zunächst unverletzt geblieben und die Sau mit dem Schuß abgegangen. Nach kurzer Fluchtstrecke war sie jedoch innerlich verblutet – und da lag sie nun.... Der Jagdherr überreicht mir auf dem Jagdmesser den halben Schützenbruch für meinen Hut. Die andere Hälfte bekommt Alfons an seine Schweißhalsung. Nachdem die Waffe im Auto verstaut ist, muß das Stück geborgen werden. In Ermangelung eines Saustrickes geschieht dies mit meinem Hosengürtel. Wir strecken das Stück in der Nähe des Anschusses auf dem Grasstreifen neben dem Kalkweg gerecht auf der rechten Seite und versehen es mit einem Bruch auf dem Herzen und geben ihm einen letzen Bissen in den Wurf. Zu dumm nur, daß ich zu faul war, noch einmal umzudrehen und die Kamera mitzunehmen, als sie mir einfiel.... Nach einer kurzen Totenwacht geht es ans Aufbrechen: Eile tut not bei diesen Temperaturen, das Stück muß schleunigst in die Kühlung. Auf dem Weg zur Trichinenschau meint der Jagdherr zu mir: „Ja, jetzt gehörst Du auch richtig zur Gilde....“ Das geht mir runter wie Öl, und den ganzen Tag habe ich, obwohl ich der Hitze wegen in der Unterhose daheim herumsitze, den Hut mit dem Schützenbruch auf dem Schädel....

Kleines Glossar der Waidmannssprache
Abbaumen: Manches bodenbewohnende Federwild (vor allem Hühnervögel) fliegt zu bestimmten Zwecken (Schlafen, Balz) auf Bäume, man sagt: es baumt auf. Das Verlassen des Baumes wird dann als Abbaumen bezeichnet. Der Jäger bezeichnet das Besteigen und Verlassen des Hochsitzes auch gerne als Auf- bzw. Abbaumen.
Altkrank: Mit einer älteren Verletzung behaftet
Äsung: Nahrung des Wildes
Anschuß: Stelle an der ein Stück Wild stand, als es die Kugel erhielt. Wenn es nicht „im Feuer liegt“ sondern noch flüchtet, beginnt hier die Nachsuche mit dem Hund.
Aufbaumen: Siehe Abbaumen
Aufbrechen: Ausnehmen von Schalenwild, der Ausdruck rührt vom Aufsprengen des sogenannten Schlosses, der Schambeinnaht, um an die Blase und den Weiddarm (Enddarm) zu gelangen.
Auslaufen: Der Hund macht sich Bewegung. Bevor ein Hund arbeiten soll, muß er sich auslaufen, damit nicht gestauter Bewegungsdrang ihn von der Arbeit ablenkt
Bache: Weibliches Stück Schwarzwild
Bissen, letzter: Bruch, den man einem erlegten Stück in den Äser, Fang oder Wurf legt.
Brechen: Nahrungssuche des Schwarzwildes durch Umgraben des Bodens
Bruch: Zweig von bestimmten (gerechten) Baumarten, der zum Kennzeichnen oder zum Schmücken verwendet wird.
Frischling: Ferkel des Wildschweines (im ersten Jahr)
Hochwild: Auerwild, Adler und alles Schalenwild bis auf das Rehwild. War früher, zu den Zeiten der Feudaljagd, dem Hochadel vorbehalten
Kammer: Der Jäger kennt zwei, der in Bayern sogar drei Kammern: Die beim Wild, den Brustkorb nämlich, die Kammer des Gewehres und die Kammer, wo der boarische Jager zum Fensterln geht.
Keiler: Männliche Stück Schwarzwild
Lauf: Bein des Haarwildes und des Hundes
Lösen: Kotabsetzen beim Wild und beim Jagdhund
Mast: Nahrung des Schwarzwildes
Niederwild: Alles Wild, welches nicht zum Hochwild zählt. Durfte früher auch vom niederen Adel bejagt werden.
Rinnen: Schwimmen (beim Wild und beim Hund)
Sau: In Süddeutschland Begriff für ein Stück Schwarzwild, im Gegensatz zum Sprachgebrauch beim Hausschwein unabhängig vom Geschlecht. Weiter im Norden spricht man auch von einem Schwein. Die Mehrzahl heißt „Sauen“ und nicht wie beim Hausschwein „Säue“.
Schalenwild: Wild, welches Schalen - also Hufe - hat. Alle Paarhufer, die unter das Jagdrecht fallen
Schützenbruch: Bruch, der dem Erleger eines Stückes Hochwild, Rehwild oder eines Fuchses überreicht wird, nachdem er über die Einschußverletzung gezogen und so mit Schweiß benetzt wurde und den man sich gewissermaßen als „vorläufige Trophäe“ an den Hut steckt.
Schwarzwild: Jägerausdruck für Wildschweine
Schweiß: Blut des (Schalen-)Wildes, wenn es sich außerhalb des Körpers befindet (Beim Niederwild spricht man in diesem Falle eigentlich von Farbe, was jedoch bereits in Vergessenheit gerät)
Schweißarbeit: Das Ausarbeiten (Verfolgen) der Schweißfährte (Blutspur) krankgeschossenen Wildes durch den Hund
Schweißhalsung: Breite Lederhalsung mit einem Wirbel für den Schweißriemen, die der Huhn bei der Schweißarbeit trägt
Schweißriemen: 8 – 12 m lange, lederne Hundeleine, an der man den Hund Schweißarbeit machen läßt
Überläufer: „Jugendlicher“ des Schwarzwildes im zweiten Lebensjahr. Nach zwei Jahren ist das Gebiß des Schwarzwildes voll entwickelt und das Stück erwachsen.
Verbrechen: Mit einem Bruch kennzeichnen
Verweisen: Der Hund zeigt etwas an, z.B. Schweiß oder ein Wundbett, eine Stelle, wo sich krankes (verletztes, z.B. angeschossenes) Wild niedergetan hat (=ins Wundbett gegangen ist).
Vierläufer (auch Jagdgehilfe, vierläufiger): Scherzhafte Bezeichnung für einen (Jagd-) Hund
Wurf( auch Gebrech): Maul des Schwarzwildes
Zehnten: Waidmannsausdruck dafür, daß Raubwild einen gewissen Anteil von der Population seiner Beutetiere wegfrißt - im Sinne von "den Zehnten nehmen, wie ein Grundherr von der Ernte seiner Bauern"




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