© der Geschichte: Elken Schlüfter. Nicht unerlaubt
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Der Bergfriedhof

Der Bergfriedhof in den Tiroler Alpen.
Es war schon Frühling unten im Tal in Meran und noch tiefer Winter oben in den Bergen.
Sie hatte Ferien. Die Welt war für sie erst einmal in Ordnung! Mit ihrem Vater war sie hier, um Urlaub zu machen. Bis der Vater ihr eröffnet hatte, dass er auch die Tante mit ihrem Mann hierher eingeladen hatte.
Damit war Johannas Ferienplanung perdu.
So kam es, dass Sie nach Ankunft der Verwandtschaft eine dieser unvermeidlichen Touren unternahmen.
Bis ganz hoch zu dem Hotel und den Skiliften sollte es gehen.
Es war immer das gleiche. Wenn die Verwandtschaft aus Düsseldorf kam, spielte ihr Vater den "Touristenführer".

Das Auto kam nur sehr langsam auf der völlig verschneiten, zugefrorenen Straße voran.
Am Bergbach, entlang der Straße hinunter ins Tal hingen riesige Schneezapfen.
Der Schnee glitzerte und flimmerte nur so im Sonnenlicht.
Johanna konnte die ganze Fahrt nicht genießen.
Waren sie doch mit der Verwandtschaft unterwegs und es war mehr als langweilig.

Aber, bei diesem Ausflug sollte es noch richtig unheimlich werden.....

Je weiter sie über die Serpentinen den Berg erklommen, um so stürmischer wurde es.
Am Straßenrand war ein kleiner Friedhof zu erkennen, eingebettet in tiefstem Schnee.
Tante Lotti rief ihrem Mann zu: "Sieh doch mal Joseph, ein Friedhof! Und die alten Grabsteine! Können wir hier nicht mal anhalten?"
Johanna war wenig begeistert, sie mochte keine nassen Füße in den Schuhen, die eigentlich für einen Spaziergang gedacht waren - unten in Meran.
Fürchterlich kalt war es. Der Wind pfiff ihr um die Ohren. Geblendet vom Sonnenlicht und dem weißen Schnee konnte sie von weitem keine Details erkennen.
Sie stoppten auf Geheiß der Tante an dem Friedhof.

Immer wenn Johanna einmal im Jahr die Tante sah, fiel ihr wieder die eine Szene ein und sie lachte still in sich hinein:
Als sie das erste Mal dort zu Besuch war, wurde sie von der Tante stolz den Nachbarn präsentiert: "Das ist meine Nichte aus Berlin."
Neugierig fragte die Nachbarin Johanna: "Wie sind Sie denn aus Berlin herausgekommen?
West-Berlin??? Haben sie denn da auch D-Mark?"
So viel geschichtliches Wissen war für Johanna zuviel.
Jetzt jedenfalls galt es mit dem verwandtschaftlichen Anhang diesen kleinen Bergfriedhof zu bestaunen.

"Sieh mal Joseph, die haben ja alle Bilder auf dem Grab!!!"
Wie es auch in Italien Sitte ist, hatten alle Grabsteine Bilder der Verstorbenen.
Schon vergilbte, alte Fotos von den verstorbenen Seelen aus den Bergdörfern der näheren Umgebung.
Sie öffneten die alte, gusseiserne, quietschende kleine Pforte und stapften durch den hohen Schnee.
Johanna trottete missmutig hinter ihnen her.
Sie hoffte sehr, dass sich die Tante nicht noch für mehr auf dem Friedhof interessieren würde.
Aber: "Sieh mal Joseph! Die kleine Kapelle dort."
Nun konnte es dauern!
Johannas Vater kannte viele der Sitten und Gebräuche in dieser Gegend und die Tante ließ sich jetzt einiges erklären. Interessiert lauschte die Tante den Ausführungen von Johannas Vater.

Derweil drückte Johanna sich gelangweilt und klappernd vor Kälte am Rande des Friedhofes herum.
Nur ein einziges frisch aufgeschüttetes Grab war zu sehen.
Johannas Interesse erwachte! Neugierig ging sie auf dieses Grab zu.
Verwelkte Blumen und Kränze lagen noch von der Beerdigung um das Grab herum drapiert.
Wer mochte hier in der Einöde in dieser Zeit noch auf diesem Friedhof beerdigt worden sein?

Sie wischte mit ihrem Handschuh den Schnee von dem einfachen Holzkreuz, um den Namen entziffern zu können:
Maria Holzenleuchter 01.11.1972 - 01.03.1973. Johanna rechnete zurück. Heute war der 06.03.73. Gerade mal vor 5 Tagen muss die Kleine verstorben sein.
Bevor sie sich aber noch weitere Gedanken zu diesem Grab machen konnte, hörte Sie etwas rascheln.
Ein "Etwas" schlängelte sich, halb verdeckt noch von den Blumen, quer über das Grab, durch den Schnee. Eine Schlange - schoss es ihr durch den Kopf.
Das kann nicht sein, dachte Johanna.
Mit vor Entsetzen geweiteten Augen sah sie noch einmal richtig hin.
Es war wahrhaftig - eine Schlange!!! Johanna wurde kreideweiß.
Ihr fielen die Geschichten ein, die ihre Mutter ihr, als sie noch klein war, immer erzählt hatte: "Der Teufel kommt und holt die Seele der Verstorbenen."

Hier, in dieser abgeschiedenen, menschenleeren Gegend, wurden solche Geschichten für sie immer wahrscheinlicher.
Was lag da näher, als Berggeister, böse Mandel, Unholde und Dämonen?

Hektisch, wie von einer Tarantel gestochen, sprang sie auf einen der größeren Felssteine.
"Tante Lottiii, da!!! Da ist eine Schlange!!!" schrie sie.
Ihre phlegmatische Tante kam in aller Seelenruhe langsam zu ihr herüber, um zu sehen, was die Nichte so erschreckt hatte.
"Was ist denn da?"
"Da, da," stotternd vor Aufregung zeigte sie mit dem Finger in die Richtung, in der sie das Reptil gesehen hatte, "da ist eine Schlange!!!"
Die hatte sich nun schon davon gemacht und war unter den Steinen verschwunden.

Johanna stand noch der Schrecken ins Gesicht geschrieben. Ihr raste das Herz.
Den ganzen Tag konnte sie an nichts anderes mehr denken, als an dieses frische Kindergrab mit der darüber hinweg kriechenden Schlange:
Was konnte ein Baby verbrochen haben, dass es der Teufel holte?
Oder vielleicht lag auch gar kein Kind in diesem Grab?
Weit und breit nur Ruhe und Stille und dann so ein unheimliches Erlebnis!

Außer sie schien diese Geschichte aber keinen weiter zu interessieren.
Vielleicht lag es auch daran, dass ihr nachgesagt wurde, sie hätte zuviel Phantasie.

Unheimlich war es dennoch.
Hier in den Bergen, wenn nachts der Wind heulte und keine Menschenseele zu sehen war.

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