© der Geschichte: Martin David Zimmermann. Nicht unerlaubt
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Der Bär

Es war wohl lange nicht mehr soviel Schnee gefallen wie in diesem Winter, jedenfalls nicht solange ich denken konnte. Etwas leichtsinnig hatte ich mich auf den Weg zu meiner kranken Tante gemacht ohne zu bedenken, daß sich das Wetter hier im Nordwestteritorium stündlich ändern konnte. Aber ich war es gewohnt stundenlang zu Fuß durch die Berge zu marschieren, schließlich war ich ja hier geboren und aufgewachsen. Dennoch war ich beunruhigt als das Schneetreiben stärker wurde, da ich Probleme hatte den zugeschneiten Weg zu erkennen, und befürchtete mich zu verirren. Trotz meiner Schneeschuhe strengte mich das Gehen im meterhohen Schnee an. Und dann fing es an zu dämmern. An diesem Tag dämmerte es früher als erwartet. Ich beschloss, in einer der zahlreichen Höhlen Schutz zu suchen und den nächsten Morgen abzuwarten. Inzwischen war es fast ganz dunkel geworden. Und immer noch waren keine Sterne und kein Mond in Sicht. Ich konnte meine Hand nicht vor den Augen erkennen und mußte mich mit vorgestreckten Händen in die Höhle hineintasten. Schritt für Schritt kämpfte ich hinein in die ägyptische Finsternis der Höhle. Trotz dieser Vorsicht, stiess ich mir an einer niedrigen Stelle den Kopf an. Als ich weiterging stolperte ich über einen Stein und fiel der Länge nach hin. Zu meiner eigenen Verwunderung, tat ich mir nicht weh dabei, sondern fiel weich. Offensichtlich wurde die Höhle von einem Trapper als Fellager benutzt, denn ich fand einen gewaltigen Berg an Fellen vor. An diesen angelehnt muß ich dann wohl eingeschlafen sein.

Ich weiss nicht, wie lange ich geschlafen hatte, jedenfalls hatte ich eine furchtbaren Traum. Ich befand mich in einem langen, dunklen Tunnel. Auf meinen Knien krabbelte ich dem Ausgang entgegen. Hinter mir ertönte ein seltsames Geräusch und als ich mich umschaute, war da eine Kugel. Es war eine grosse Kugel und sie füllte fast den ganzen Gang aus. Sie rollte auf mich zu. Sie kam näher und näher und und ich krabbelte schneller um den Ausgang des Tunnels zu erreichen, doch je schneller ich krabbelte, desto schneller wurde die Kugel. Als sie ganz nah war, erkannte ich dass sie ganz mit Fell überzogen war. Als mich die Kugel erreichte, erwachte ich.

Ich erwachte, als ich ein Schnarchen vernahm. War noch jemand in der Höhle? Hatte noch jemand hier Zuflucht gesucht? Dann bemerkte ich, daß sich das Fellager bewegte. Erschrocken setzte ich mich auf . In mir keimte ein furchtbarer Verdacht auf. Vorsichtig tastete ich das Felllager ab. Eine Pfote! Eine Tatze! Ein Tier! Langsam wurde mir mein verhängnisvoller Irrtum bewußt: Das Fellager, an das ich mich angelehnt hatte war kein Fellager, sondern ein ausgewachsener Grizzlybär. Ich erschauderte. Trotz der Kälte wurde mir heiß und das Blut stieg in meinen Kopf. Draußen tobte immer noch der Schneesturm. Der Eingang zur Höhle war fast zugeschneit. Die Situation war absolut aussichtslos. Ich würde entweder von dem Bär zermalmt werden oder draußen erfrieren. Ich traute mich kaum, mich zu bewegen. Ich erinnerte mich dunkel gelesen zu haben, daß Bären, die in ihrem Winterschlaf gestört werden höchst aggressiv werden können. Allerdings konnte der Winterschlaf Monate dauern. Ich beschloss erst einmal ganz ruhig liegen zu bleiben. Es gab sowieso keine Möglichkeit zu fliehen. Immerhin war das Bärenfell weich und warm. Es erinnerte mich fast an den Teddy, den ich als Kind immer als Kopfkissen benutzt hatte. Erfrieren würde ich hier wenigstens nicht. Andererseits hatte ich auch von Grizzlys gelesen, die ihre eigenen Jungtiere im Schlaf erdrückt hatten. Ich hatte unwahrscheinliche Angst davor, daß es diesem Koloss einfallen könnte, sich umzudrehen. Ich nahm mir ganz fest vor, mein Leben zu ändern, wenn ich hier heil herauskäme. Nie wieder würde ich die Warnungen vor einem Wetterumschwung in den Wind schlagen. Nie wieder würde ich mich bei solchem Schneefall vor die Tür wagen. Wenn ich nur hier herauskäme.

Ich weiss nicht genau, wie lange ich so dagelegen habe, aber es schien mir eine Ewigkeit zu sein. Nie habe ich eine Morgendämmerung, nie habe ich das Ende eines Sturms so sehr herbeigesehnt wie in jenen Stunden. Nie war eine Nacht so lang. Als es hell wurde, beruhigte sich der Schneesturm und ich beschloss aufzubrechen. Ich kämpfte mich durch den Schnee am Eingang der Höhle und blinzelte in die Sonne, die scheinte, als wäre es nie anders gewesen, als gäbe es keine Schneestürme.

Als ich später, in einer Kneipe meines Heimatdorfs hörte, daß Jäger einen Grizzly geschossen hatten, tat mir das Tier leid. Da es nicht mehr viele Bären in dieser Gegend gibt, musste es sich um meinen Bären handeln. Und als sie später das Fell in das Dorf schleppten, trauerte ich beinahe um das Tier, das mich möglicherweise vor dem Erfrieren gerettet hatte.

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