© der Geschichte: Petra Vennekohl. Nicht unerlaubt
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Aftershave

Ein Hauch von Aftershave wehte durch die Luft. Karin sog den Duft in sich ein, und die Erinnerung flackerte auf. Ihre Hände auf seinem Rücken, angespannte Muskeln unter dünnem Stoff, die weiche Haut seiner Wange an ihrem Hals. Wie seine Finger mit sanftem Druck hinter ihren Ohren entlangfuhren.
Abrupt setzte Karin sich auf, und der Bürostuhl quietschte. Wenn sogar sie das Aftershave noch roch, dann würde Lothar es auch bemerken! Ihre Finger fanden den Ring an der rechten Hand, zogen ihn herunter und schoben ihn zurück.
"Was hast du denn auf einmal?" Doris blinzelte über ihre Lesebrille.
"Hast du deine Schminktasche dabei?"
"Ja, sicher." Doris zog eine Schublade auf und holte die Tasche hervor. "Wozu? Du siehst doch gut aus."
"Zu gut!" Karin schnappte die Tasche und eilte aus dem Büro. Sie schnupperte an ihrer Weste und stöhnte auf. In der Damentoilette schaute in die Kabinen. Leer.
Sie stellte die Tasche auf den Waschbeckenrand und band die Haare zusammen. Sorgfältig seifte sie sich die Hände ein und wusch ihr Gesicht. Die Haut glühte unter den rauhen Tüchern aus dem Spender.
Die Toilettentür wurde aufgerissen, und Doris kam herein. "Was machst du denn da?"
"Ich muß unbedingt diesen Geruch loswerden. Ich bin mit Lothar zum Essen verabredet."
"Welchen Geruch?" Doris kam auf sie zu und atmete geräuschvoll ein. "Ah! Aftershave." Sie roch an Karins Haaren und sagte: "Michaels Aftershave."
"Oh Gott, ist es so deutlich?"
"Wie kommst du an Michaels Aftershave?"
Karin kramte nach der Grundierungscreme. "Nun tu´ doch nicht so scheinheilig!"
"Läuft das schon lange zwischen euch?"
"Gar nichts läuft. Aber als er nach Frankfurt versetzt wurde, da ..." Karin wedelte mit den Händen.
"... da habt ihr euch gebührend voneinander verabschiedet", ergänzte Doris.
"Ja, sozusagen." Karin cremte sich das Gesicht ein und wischte die Hände an einem Tuch ab. "So etwas ist mir noch nie passiert. Aber immer, wenn wir uns treffen, funkt es." Sie preßte ihre Fingerspitzen gegen die Stirn.
"Was soll ich jetzt machen, Doris?" Sie sah auf. "Lothar wird es merken, er mit seiner feinen Nase. Und dann ist der Teufel los. Er ist doch so eifersüchtig."
"Sag halt das Essen ab."
"Nein, es ist unser Kennenlerntag."
"Das hättest du dir überlegen sollen, bevor andere Männer ihr Aftershave auf dir verteilen."
"Ja, ja, ich weiß." Karin seufzte. "Aber das ist gerade das Problem. Da ist nicht viel mit denken oder wissen. Das passiert einfach. Es ist magisch, unerklärlich!"
"Du redest wie ein Teenager, du bist verheiratet!"
"Ich weiß. Und deshalb darf Lothar nichts bemerken. Es ist nichts passiert zwischen mir und Michael."
"Und warum benimmst du dich dann so?"
Karin drehte sich um, das Bürstchen mit der Wimperntusche noch vor den Augen. Sie öffnete den Mund und wollte Doris widersprechen, es war doch wirklich nichts zwischen ihr und Michael. Nichts weiter als einige sanfte, liebevolle Küsse und seine Finger hinter ihrem Ohr. Langsam ließ sie ihre Hand sinken. "Kann man seinen Ehemann in Gedanken betrügen? Ohne den Körper, meine ich?"
Doris lachte.
"Nein, es ist mir ernst. Es ist nichts gewesen außer einigen Küssen." Karin schluckte. "Aber ich wünsche es mir. Ist das Untreue, Doris? Betrüge ich Lothar, wenn ich es mir nur wünsche?"
Doris zuckte die Schultern. "Ich weiß es nicht. Rein formal nicht, aber..." Sie brach ab.
"Danke!" Karin drehte sich wieder zum Spiegel um. "Damit hilfst du mir ungeheuerlich."
Doris schüttelte den Kopf. "Was findest du eigentlich an diesem Kerl? Für mich ist er nicht besonders anziehend."
"Wenn er mich ansieht", sagte Karin, "dann fühle ich mich begehrt und schön, verstehst du?" Karin starrte auf ihre Hände. "Lothar hat mich nie so angesehen."
"Mit Lothar bist du auch verheiratet."
"Was hat das denn damit zu tun?" Karin trug Rouge auf. "Welchen Lippenstift willst du? Eine so blasse Farbe, wie du immer trägst, habe ich nicht."
"Oh Gott, Lothar wird es merken. Er sieht so etwas!"
"Kein Mann bemerkt, wenn die Frau ein anderes Make-up trägt." Doris seufzte. "Mir passiert nie so etwas."
Karin zog ihre Bürste aus der Tasche und kämmte das Haarspray aus ihren Locken. "Ach Doris, ich fühle mich, als wäre ich wieder neunzehn!" Sie stockte. "Und genauso verwirrt." Sie sprühte sich die Haare ein, dann bestäubte sie sich mit ihrem Parfum.
"Wieso sagst Du nicht einfach, Du hättest Michael umarmt? Das löst doch alle Probleme."
Karin stutzte, dann hob sie abwehrend die Hand. "Nein. Er schaut sogar kritisch, wenn ich Elke umarme, und sie ist schließlich meine beste Freundin."
"Wie du das aushalten kannst, ist mir ein Rätsel. Mich würde es in den Wahnsinn treiben."
"Er verlangt von mir nicht mehr, als er selbst tut. Er ist der treueste Mann, den man sich wünschen kann. Ich würde ja irre vor Angst, wenn er so lange im Büro ist. Wir können uns aufeinander verlassen."
"So so", sagte Doris.
Karin verzog den Mund. "Jeder darf sich wünschen, was er will. Wichtig ist nur, was man tut." Sie strich die Bluse glatt. "Oder was man läßt. Ich habe mir nichts vorzuwerfen." Sie hielt sich plötzlich die Nase zu.
"Himmel! Ich rieche es immer noch."
"Das ist deine Einbildung, Schätzchen. Ein Rosenbeet ist nichts gegen dich."
"Rosen? Niemals, davon wird mir schlecht." Karin schaute auf die Uhr. "Ich muß los." Sie drückte Doris ihre Tasche in die Hand und eilte hinaus in den Flur.

Karin kam zu früh ins Restaurant, Lothar war noch nicht da. Seit ihrer ersten Verabredung pflegten sie ein kleines Ritual, er half ihr aus dem Mantel oder hinein, und sie bedankte sich mit einem Kuß. Sie erinnerte sich an Michaels Lippen und verspürte keine Lust, Lothar so nahe zu sein. Sein Bart wuchs so stark, daß er sich um diese Tageszeit schon ganz stachelig anfühlte.
Der Kellner ging an ihr vorbei, und Karin schauderte. Nur eine kleine Luftverwirbelung genügte, und da war es wieder. Es mußte doch noch in ihren Haaren hängen. Nein, das Haarspray erdrückte alles. Verstohlen schnüffelte sie an ihrer Weste. Unter ihrem eigenen Parfum, da lag es, aufdringlich und männlich, Michaels Aftershave. Wie kam es da überhaupt hin?
Sie schnappte ihre Handtasche und eilte zur Damentoilette. Dort zog sie ihre Weste aus und besprühte ihre Bluse mit Parfum. Sie war zu eng, eigentlich konnte sie die so gar nicht anziehen, aber was nützte es? Es ging hier schließlich um ihre Ehe. Sie verzog das Gesicht, als sie ihre Handcreme über den teuren Westenstoff schmierte. Sie knüllte die Weste zusammen und stopfte sie in ihre Handtasche. Wenn sie nur schon unter der Dusche stand, dann brauchte sie nichts mehr zu befürchten. Sie eilte zurück an ihren Tisch.
Als Lothar durch die Tür trat, zwang Karin sich zu einem Lächeln. Seine sonst so struppigen Haare hatte er gekämmt, das bemerkte sie sofort. Er küßte sie kurz auf die Stirn und hängte seinen Mantel zu ihrem. Trotz der flüchtigen Berührung spürte sie, daß er rasiert war, sein Aftershave fast noch feucht.
Er setzt sich ihr gegenüber und zauberte eine einzelne Orchidee hinter seinem Rücken hervor. "Bitte entschuldige, unsere Besprechung hat so lange gedauert."
Karin nahm die Blume entgegen und hauchte ein "Danke". Sie wußte, was er wollte, wenn er sich mitten am Tag rasierte. "Ich bin auch gerade erst gekommen."
Sie legte die Blume neben ihren Teller und versteckte sich hinter der Karte. Manchmal, am Sonntag noch vor dem Frühstück, da rasierte sie ihn, und es gab nichts Erotischeres auf der Welt, als ihn einzuseifen und die Klinge über seine Haut kratzen zu hören. Wie lange war das schon her? Wie viele Abende waren sie einfach nebeneinander eingeschlafen? Karin fühlte sich, als ob ein Stein in ihrem Bauch lag. Warum wollte er sie ausgerechnet heute?
Der Kellner kam, und plötzlich mußte sie lächeln. "Ich nehme Nummer 34."
"Rindfleisch mit Zwiebeln, sehr wohl. Und der Herr?"
"Oh, meine Frau will mich auf Abstand halten." Lothar zog eine Augenbraue hoch.
Klang er nicht irgendwie seltsam? Amüsiert? Enttäuscht? Karin runzelte die Stirn. Nein, eher erleichtert.
"Dann kann ich ja mal wieder Giros essen", sagte Lothar zum Kellner, "mit viel Knoblauchsauce."
Karin atmete auf. Das aß er so gerne, aber ihretwegen verzichtete er meist. Als der Kellner ging, streckte sie den Arm über den Tisch und nahm Lothars Hand. Keine Blitze, keine Knoten im Magen. Dafür Vertrautheit.
"Du trägst ein anderes Make-up."
Karin lachte. "Ja, ich habe mich bei Doris bedient."
"Sieht gut aus." Er ließ ihre Hand auf dem Tisch liegen und kramte nach einem Taschentuch. "Dafür sehen deine Haare heute aus wie ein Brett."
Karin zog ihren Arm zurück. Er merkte einfach alles! Er würde es herausfinden. Sie hatte heute ihre Ehe ruiniert. Wegen einiger Küsse. "Ich wollte mich nur schön für dich machen", stieß sie hervor.
"Und dann ißt du Zwiebeln? Viel Zutrauen hast du ja nicht in deine Bemühungen."
Karin lachte. Er zog sie nur auf, oder? "Du hast dich auch ganz schön aufgetakelt. Frisch gekämmt und rasiert." Sie beugte sich vor und raunte: "Ich wußte ja gar nicht, daß du einen Rasierer im Büro hast."
Er zwinkerte. "Man kann nie wissen, wann auf eine schöne Frau stößt."
Der Kellner stellte den Vorspeisenteller zwischen sie auf den Tisch, und Karin stürzte sich auf den Salat. Schließlich kam das Essen, und sie stopfte die Zwiebeln in sich hinein. Jetzt konnte nichts mehr passieren. Eine Weile aßen sie schweigend. Karin beobachtete Lothar und lächelte unwillkürlich. Mit ihm wollte sie alt werden. Wen kümmerte es, daß sie einen anderen geküßt hatte?
"Hattest du nicht heute morgen noch eine Weste an?"
Karin winkte ab. "Da habe ich vorhin Handcreme draufgeschmiert, die wollte ich hier nicht anziehen. Wie war dein Tag?"
"Streßig. Der neue Klient verlangt Unmögliches, und der Chef meint, ich wäre der Richtige dafür." Er seufzte. "Eigentlich sollte ich jetzt im Büro sitzen und an dem Auftrag arbeiten." Er schob ein Fleischstück in den Mund. "Das einzige Highlight heute war Jutta. Sie hatte einen Gerichtstermin in der Stadt und ist hinterher bei uns vorbeigekommen."
Karin spürte ihre Ohren heiß werden. "Ist wohl der Tag der alten Kollegen. Michael kam heute auch vorbei, du erinnerst dich, den sie nach Frankfurt versetzt haben. Du hast dich mit ihm auf der letzten Weihnachtsfeier unterhalten."
"Hmm", brummte Lothar, "ich mochte ihn nicht. Zu aufdringlich."
Karin schluckte krampfhaft. Nein, purer Zufall, er wußte nichts.
Das Essen zog sich unerträglich in die Länge, und Karin brachte bald keinen Bissen mehr hinunter. Endlich war auch Lothar fertig, und sie tranken einen Kaffee.
"Ich muß noch mal ins Büro", sagte er zwischen zwei Schlucken. "Ich habe heute nachmittag nicht viel geschafft." Er zuckte die Schultern. "Wie es eben so ist, wenn unverhoffter Besuch kommt."
Karin bemühte sich, nicht erleichtert auszusehen. Geschafft! Die Dusche wartete. Nichts konnte jetzt noch schiefgehen. "Kannst du deinen Chef nicht auf Schmerzensgeld verklagen? Für mich, deine einsame Ehefrau?"
Lothar lachte, ein warmes und angenehmes Geräusch. "Ach, Schatz, ich bin gut, aber so gut bin ich nun auch wieder nicht."
Er bezahlte, und sie gingen zur Garderobe. Er half ihr in den Mantel, und Karin drehte sich in seinen Armen um, leicht und mit einem Lächeln. Sie küßte ihn sanft auf den Mund.
Unter dem Geruch seines Aftershaves, begraben von Knoblauch, da klebte es an ihm, schwer und süß.
Rosenparfum.

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