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Schweigen ist Tod, sagt der Dichter. Oh,
sagt das Papier, wann bist du verschieden? Hätte ich gewußt, ich schickte
dir Kränze und Vasen zur Beisetzung.
So glaube mir, entgegnet der Dichter heftig, sinnlos ist, was niemanden bewegt,
niemanden erweckt aus dem kalten Schweigen. So schweige nun auch ich, für
alle Zeiten den anderen immer mehr ähnelnd.
Du hast geweint, sagt das Papier. Doch wer wird nun für die anderen weinen?
Sie selber vermochten es nie, stets warst du es, der ihre Augen benetzte.
Weder dies vermag ich mehr noch anderes, antwortet der Dichter. Allmählich,
wie in der Liebe zu einer schönen Frau - so sie dir erlaubt, sie zu erkennen,
und greifbarer wird als ein Blatt hoch oben im Baume -, verliert sich Vergnügen
mit jedem Tage. Zu viele Worte entflossen meiner Feder, nie wieder, nach der
ersten Letter, war ein Blatt so rein und leer, daß aufzunehmen meinen Überschwang
von Gedanken es sich nicht verwehrte.
Ich bin bereit, sagt das Papier. Beweine mich mit schwarzen Tränen, die allen
Sinn der Welt zu formen vermögen.
Den Sinn? Wie könntest du ihn erkennen, höhnt der Dichter. Selbstlos war,
was ich stets tat, für die Hoffnung, für die Menschen, ohne mein leises Selbst
von mehr raunen zu hören. Ein Teil von mir muß sterben, bevor ich mich neuen
Aufgaben widmen kann, die sinnvoller, hilfreicher, lehrreicher sein mögen.
Und mir ein sicheres Auskommen zubilligen.
Doch welcher Teil mag der richtige sein? zweifelt das Papier an. Was du mir
im Geheimen anvertrautest, gab ich flüsternd nur weiter meinen Brüdern und
Schwestern, die es lautlos jedem verrieten, der hören wollte und sehen. Du
hast Augen geöffnet, Ohren und, ja, auch Herzen, durch deine Tränen des Glückes
und der Trauer, auf meinen Leib geschrieben in unauslöschlichem Schwarz. Was
gilt heut' noch, was ich gestern dachte? fragt der Dichter erschöpft. Rhetorische
Feinheiten von heute mögen schon morgen ungehobelt und wenig spitzfindig klingen,
wenn anderer Menschen Ohren sie vernehmen. Wozu in die Ewigkeit erheben, was
keinen Anspruch darauf erhebt, erheben darf?
Und doch sind es gerade die Sekunden, die zählen, sagt das Papier. Verlörest
du nur eine einzige, keine Ziffer würde genügen, den Verlust zu benennen.
Und so bist du mehr als eine Ansammlung von Worten, Ideen, Gedanken, bist
der einzige Chronist deines einzigartigen Lebens, das du in Rätseln zu verstricken
vermagst, bis du auch das Leben der anderen niederschreibst, jedes einzelnen
Lesenden.
Warum gerade ich? verzweifelt der Dichter. Welch schwere Bürde lädst du mir
auf? So viele einfachere Dinge sind zu tun, warum nur läßt du mich nicht einer
von vielen sein, gesichtslos in der Menge untergehend? Wer gibt mir das Recht,
zu richten über die, deren Schicksale meinen wirren Gedanken entspringen?
Das Papier schweigt, denkt.
Nie wieder werde ich einen einzigen Gedanken niederschreiben, sagt der Dichter
bestimmt. Dies ist mein letztes Wort. Alles wird sich ändern. Und doch empfand
ich unser Gespräch als sehr anregend, schmeichelt das Papier. Nur diese paar
Worte, was kostet es dich schon, mir noch ein wenig von deiner Zeit zu schenken,
zum letzten Male?
Nun gut, seufzt der Dichter. Der morgige Tag wird früh genug hereinbrechen,
noch rechtzeitig mit den Änderungen zu beginnen.
Sorgfältig taucht er die Feder in das Tintenfäßchen und reiht Wort an Wort.
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