´Social Fantasies` bei Ariadne: Spannung trifft Anspruch

Interview von WARP-Online mit Else Laudan vom Ariadne Verlag

Else, könntest Du bitte einmal ein wenig zu Deiner Person sagen?
Ich hab von klein auf Bücher verschlungen. Ich hab früh lesen gelernt und immer eine gute Beziehung zu Büchern gehabt. Ich bin eine große Schmökerin, und mir ist es auf verschlungenen Wegen gelungen, eigentlich das zu tun, was von Anfang an günstig war. Dass ich in so einem politisch-kulturellem Verlagskontext bin, liegt auch nah, weil ich zu der Generation gehöre, die mit Literatur aufgewachsen ist, wo die Identifikationsfiguren immer ganz klar vom gleichen Geschlecht kommen. Wenn Du so mit Büchern groß wirst, also als Kind wahnsinnig viel liest, dann hast Du ja ein Stück auch immer die Figuren als Rollenmodelle und Wesen, an denen Du Dich orientierst, im Kopf. Das bringt, wenn man ein bisschen wach im Kopf ist, natürlich mit sich, dass einem irgendwann auffällt:
"Komisch, Frauen kommen hauptsächlich nur als Trophäen vor!" - Insofern lag das nahe, in den Bereich feministische Literatur reinzuwachsen. Das ist allerdings nicht so direkt passiert, wie das jetzt klingt, sondern ich hab vorher diverse andere Dinge ausprobiert. Ich hab mal eine zeitlang Maschinenschlosserin gelernt, ich bin zu meinen Titeln auf dem zweiten Bildungsweg gekommen. So hat es mich auch nach Hamburg verschlagen, weil man hier auch ohne Abi studieren kann.

Wo warst Du vorher?
In Berlin. Ich bin ´63 geboren, das heißt, ich bin sozusagen in die Mauer hineingeboren und bin ´88 aus Berlin weggezogen, bevor die Mauer umfiel. Insofern komme ich noch aus einem Kosmos, der heute nicht mehr existiert. Die Insel.

Was sind Deine Aufgaben hier im Verlag?
Also zu Beginn, als ich hier einstieg, noch während des Studiums, da habe ich nur die Redaktion der Ariadne-Krimis gemacht. Und das ist dann sukzessive immer mehr geworden mit zusätzlichen Aufgaben und Kompetenzen und ´Learning by Doing´ natürlich. Mittlerweile mache ich Geschäftsführung und Programmleitung des belletristischen Teils, also alles, was hier im Verlag Fiction ist. Außerdem habe ich die Lizenzen zu machen, das Zahlenwerk zu betreuen und diverse andere Aufgaben. Aber die Programmarbeit im weitesten Sinne ist eigentlich der Kern von dem, was ich hier tue.

Was heißt ´Programmarbeit`?
´Programmarbeit` heißt, Bücher angucken, Bücher sichten, Konzepte überlegen, in welche Richtung das, was man als Nächstes oder in den nächsten Jahren machen möchte, gehen soll. Welche Schwerpunkte soll man setzen, verschieben, verändern, beibehalten? Dann konkret entscheiden: Welche Titel nimmt man rein? Dann: An den Titeln entlang natürlich die Verhandlungen führen im Sinne: Wie kriegt man möglichst gute Bücher ohne Geld? - Und dann die übrigen Aufgabenbereiche, wo auch meine Kolleginnen mit drinnen stecken: Die Sabine, die Iris. Das reicht dann auch. - Wenn es ein fremdsprachiger Titel ist, dann müssen wir einen Übersetzer oder eine Übersetzerin finden, wenn es ein deutschsprachiger Titel ist, müssen wir einen Lektor oder eine Lektorin finden, der oder die mit dem Autoren oder der Autorin arbeitet. Gegebenenfalls muss man auch selbst sagen: "OK, hier muss noch dies oder jenes anders gemacht werde!" - Und dann die Titel im Prinzip zunächst dem eigenen externen Vertrieb vorstellen. Das sind die Leute, die für uns den Buchhandel betreuen. Das ist die erste Instanz. Die zweite Instanz, der die Bücher und das Programm vorgestellt wird, ist dann Presse. Und zum Schluss kommt dann endlich das Lesepublikum an die Reihe.

Wie viele Mitarbeiter seid ihr hier?
Wir sind hier nur zu dritt, mit einer Praktikantin. Also im Prinzip zu viert, wobei einer rotiert und regelmäßig wechselt.

Wir haben gelesen, dass der Argument-Verlag auch noch andere Standorte und Repräsentanzen hat...
Ja, es gibt in Berlin die Redaktion der Zeitschrift ´Das Argument´. Das ist ein kleines Redaktionsbüro mit einer Halbtagsbesetzung. Dann gibt es den ´wissenschaftlichen Beirat´, der überhaupt nicht an einem Ort ist, sondern über E-Mail kommuniziert. Da sitzt einer in München und eine in Esslingen bei Stuttgart und einer in Hamburg und einer sonst wo. Die machen zusammen das, was ich im belletristischen Bereich mache, für den Wissenschaftsbereich, bis auf die administrativeren Sachen, die hier im Verlag stattfinden.

Seit wann gibt es den Argument-Verlag und den zugehörigen Ariadne-Verlag?
Also, den Argument-Verlag gibt es strenggenommen seit 1959, also noch Prä-Studentenbewegung.

Was heißt ´streng genommen`?
Er hat sich natürlich mächtig verändert, im Laufe der Jahre, immer mal wieder. Begonnen hat er tatsächlich 1959 als so eine Art ausgebautes Flugblatt, welches sich entschied, eine Zeitschrift zu werden. Das ist die Zeitschrift ´Das Argument´, die so geboren wurde und nun im 45sten Jahrgang ist. Das ist ein Periodikum, alle zwei Monate erscheinend, immer auf eine relativ akademische, aber sich immer auch wieder aktualisierte Version. Eine Zeitschrift, die sehr politisch, sehr wissenschaftlich über Gesellschaft diskutiert und alle Fragen, die darin auftauchen.

Politisch? Gibt es da eine spezielle Richtung?
Aber ja! Es gibt hier eine marxistische Tradition, wobei es schon Anfang der 70er Jahre eine marxistische Tradition war, die komplett konträr lief zu den klassischen Dogmatikern im Lande. Das trifft es am besten: Historisch kritischer Marxismus. Es wird versucht zu gucken: OK, was tun sich von den gesellschaftlichen Bedingungen, von den ökonomischen, politischen, sozialen Verhältnissen im Land, aber auch global, für neue Schwierigkeiten auf, und in wie weit kann man mit marxistischer Denkweise versuchen, da drin Konzepte zu finden, wie es besser sein könnte. Ich meine, dass es einen Verbesserungsbedarf gibt, wird vorausgesetzt (lacht). -
Schon seit Anfang der 70er ist der Verlag damit zugleich auch ein Dach für sehr unterschiedliche Redaktionen. Da gibt es den Bereich ´Kritische Psychologie`, das ist natürliche eine Liga für sich ein Stück weit, die innerhalb der herkömmlichen Psychologie versucht, den gesellschaftlichen Ansatz zu bringen, was gerade in der Psychologie ja die Quadratur des Kreises ist. Da wird ja immer alles auf das Individuum zurückgerechnet. - Dann gibt es nach wie vor den Bereich ´Kritische Medizin`. Wir hatten lange verschiedene andere Reihen. Zum Teil existieren die nicht mehr, weil sich die Felder aufgelöst haben, aus denen sie gespeist wurden (...) Ja, und dann ganz früh natürlich ein ganz wichtiges Thema: Geschlechterverhältnisse! Das ist ein Schwerpunkt, der sich so ein bisschen in alle Bereiche hineinzieht.

Auch in den belletristischen Bereich?
Ja, der hat dann sozusagen den Grundstein für unser Belletristikprogramm gelegt, denn das war das Konzept, das in den späten 80er Jahren in USA und England ganz zaghaft anfing, und hier sehr schnell landete, weil es eine internationale feministische Vernetzung gab. Die wissenschaftliche Frauenredaktion kriegte aus England und USA Krimis auf den Tisch. Nach dem Motto: "Wollt ihr das nicht mal besprechen als Idee, als Konzept?" - Dann haben die Frauen in der Wissenschaftsredaktion, d.h. in erster Linie die Frigga Haug, gesagt: "Ja das ist doch eine Idee. Das ist doch wirklich Politik des Kulturellen! Das müssen wir auch machen. Unbedingt! Das gibt es so noch nicht. Her damit!" Und dann wurde ´87 das Konzept gemacht, ´88 kamen die ersten Frauenkrimis bei uns raus, und von da an haben wir diesen belletristischen Bereich mit allerlei Experimenten erkundet (...).

Eure Reihe ´Social Fantasies`, wann ist die entstanden?
Als so richtig ausgewiesenes, eigenes Projekt geht das eigentlich erst ´97 los, aber begonnen hat das weit früher. Begonnen hat es mit den Autorinnen, mit denen wir durch unsere Erkundungen der feministischen Literatur in Berührung geraten sind. Da ist zum einen Marge Piercy zu nennen. Das ist einfach eine der ganz großen, zeitgenössischen feministischen Autorinnen von USA. Und die hat mehrere Zukunftsromane geschrieben. Der Berühmteste aus der Zeit späte 70er, frühe 80er ist ´Frau am Abgrund der Zeit`. Der war damals bei Heyne, natürlich mit einer barbusigen Blondine vorne drauf. Den hatte ich schon im Studium am Wickel, und diese Autorin ist einfach eine der Wichtigen im Feld Frauenliteratur. -
Dann hat sie um 1990 einen weiteren Roman geschrieben unter dem Titel ´Er, Sie und Es`, Originaltitel ´He, She and It´. In England haben sie es sich dann schnell noch mal überlegt und haben ihn ´Body of Glass´ genannt. Den hat sie dann allerdings gestoppt, weil der Golfkrieg ausbrach, Januar ´91, und später veröffentlicht. Aber zu dem Zeitpunkt kannten wir das Manuskript schon und waren auch schon an der Veröffentlichung dran. Den haben wir damals als Hardcover-Roman rausgebracht. Unglaublich geiler Science Fiction, der die Quadratur des Kreises schafft, nämlich sowohl die Genre-Leser zu befriedigen - insbesondere die Genre-Leserinnen -, als auch für Neueinsteiger in das Genre ein Stück weit auch gegen Berührungsängste einsetzbar zu sein. Sie ist eine tolle Roman-Erzählerin, ihre Figuren sind unheimlich lebendig. Sarah Shueman, eine New Yorker-Autorin, hat einmal in einem ihrer Romane geschrieben: "...eine Frau betrat den Raum. Sie war wie eine Figur von Marge Piercy. Du hattest sofort das Gefühl, sie dein Leben lang zu kennen." - Das ist sehr bezeichnend. Piercy hat diese Figuren. Sie hat bei ´Er, Sie und Es` eine Menge Genrebausteine eingesetzt. Da erkennt man auch die Literatur, die sie interessiert hat, mit der sie etwas anstellen wollte. Das ist zum einen auf der belletristischen Seite sicherlich die Cyberpunk-Tradition mit Gibsons ´Neuromancer` und so weiter, zum anderen die kritische Utopie der 70er, an der sie ja auch mitgearbeitet hat, und zum dritten die moderne feministische Technik-Kritik, wie sie ganz par excellence von Donna Haraway ausgeübt wird, von der leider sehr wenig auf Deutsch lieferbar ist. Das ist eine sehr kühne, avandgardistische Theoretikerin, die tolle Ideen hat: Da gibt es z.B. dieses Cyborg-Manifest, und das ist deutlich ein Element, das diesen Roman beeinflusst hat.

Wie definiert sich ´Social Fantasies´? ´SF´ ist ja üblicherweise die Abkürzung für ´Science Fiction´. Hier im Hause steht ´SF` für ´Social Fantasies`. Was ist der Unterschied?
Die ´Social Fantasies´-Reihe hat einen ganz klaren Focus auf den Aspekt von Science Fiction, der sich Gesellschaft anschaut und zwar reale jetzige Gesellschaft und das zuspitzt. Und damit dann eine Zukunftsvision entwirft, die das Eine oder Andere über Gegenwart sagt. Innerhalb der Frage ´Wie sieht Gesellschaft aus, und wie ordnet sie sich an und was passiert da?´ ist der Aspekt, der mich in der Literatur interessiert, natürlich der: Wie kommen die einzelnen Menschen in der Gesellschaft vor? Wie leben sie da drin? Wie entwickeln sie sich? Wo sind sie einem normierenden Element ausgesetzt, und wo haben sie Chancen, tatsächlich etwas zu bewegen?

Dann ist hier also der Schwerpunkt nicht so sehr auf der Naturwissenschaft, wie bei Hard-Science Fiction?
Der technische Science Fiction-Aspekt interessiert mich eigentlich gar nicht, außer in Elementen, wo er einfach so vorkommt, dass er zwangsläufig spannend in den gesellschaftlichen und menschlichen Fragen wird. Was weiß ich: Bruce Sterling, oder so. Da gibt es durchaus eine gewisse Präsenz von Technik, aber spannender ist da drin eigentlich die Frage der Gruppen, Menschen, Gesellschaften, Möglichkeiten usw. Also, ich denk jetzt an ´Schismatrix´, wo es zwei Fraktionen von weiterentwickelten Menschen gibt. Die einen, die sich auf einer rein technisch eingreifenden Weise körperlich vervollkommnen, so nach dem Motto: Ersatzteile, Organe austauschen. Nicht gerade ewiges, aber sehr langes Leben. Ein paar Jahrhunderte sind da schon drin. - Und der andere Teil, der sagt: "Das ist alles Pfusch! Man muss das gleich genetisch aufziehen!" - Das ist so ein Beispiel, wo man sieht: Das ist in gewisser Weise noch eine technologische Frage, aber in dem Fall geht es eher darum, was die verschiedenen Formationen gesellschaftlich voneinander wollen, gegeneinander ausspielen, in sich selbst auch versuchen zu verwirklichen.

Diese Linie verbindet alle Bücher bei ´Social Fantasies´ im Ariadne-Verlag?
Der soziale Aspekt auf jeden Fall.

Ihr seid ja von den Ariadne-Krimis her in der Lesben- und Schwulenszene sehr bekannt. Finden sich lesbische und schwule Heldinnen und Helden, Themen und Aspekte auch in eurer ´Social Fantasies´-Reihe wieder?
Jein. Es gibt Überschneidungen. Ich habe sie natürlich auch aufgesucht, ich habe sie mir auch angeschaut. Das ist aber noch ein zartes Pflänzchen. Gleichzeitig kann man sagen: OK, in diesem fantastisch-utopischen Bereich ist natürlich die Frage von Geschlecht etwas flexibler handhabbar. Da ist das leichter denkbar. Dafür gibt es eine erstaunlich geringe Quote, auch in den anglophonen Ländern, von schwuler und lesbischer SF. Nun sind die aus eigenem Interesse an politischer Literatur Interessierten traditionell auch ein anderes Lesepublikum, als die Leute, sie sich für Science Fiction interessieren. Das zusammenzubringen ist ja eine der Herausforderungen, die mich gereizt haben und bis heute auch reizen.

In den 70er-Jahren gab es solche Verbindungen von Gesellschaft, Politik und SF aber noch häufiger, oder? Auch auf dem Filmsektor...
Ja, das waren die kritischen Utopien der 70er. Das ist dieses Schlagwort. Ja, da gab es das. Das hat auch dazu geführt, das mehrere Generationen überhaupt einmal mit SF in Berührung gekommen sind, die sich so von der technischen Seite her dafür vielleicht gar nicht interessiert hätten. Das Problem ist, dass das wieder abgeglitten ist, in die - wahrscheinlich einfach gesellschaftlich unheimlich praktische (damit sich nichts ändert) - Zuspitzung, dass die Zukunftsliteratur im höheren Sinne große Literatur ist, aber nicht zu tun hat mit diesem Trash, der ´Science Fiction´ heißt (lacht). Da guckst Du dir einfach an: Wie nennen sie das? Und dann siehst Du in den Medien, in den Kritiken, in den Besprechungen, in den Verlagstexten usw.. Sie nennen es dann vorsichtshalber z.B. ´Speculative Fiction`, bloß nicht ´Science Fiction`. Sie nennen es ´Zukunftsroman`, sie nennen es ´Social Fantasies` (lacht).
Es wird sich herumgedrückt um den Schmuddelcharakter in irgendeiner Form.
In der Science Fiction-Szene geht das ja sogar noch weiter: Da grenzen sich die lesenden Fans oft gern mit der Abkürzung ´SF´ ab, gegen die ´SciFi`, die ja eher das Augen-Science Fiction von TV und Kino meint. ´SciFi´ ist da dann angeblich noch weniger wert.
Wir hatten mal eine Pressefrau, die immer ´Seifie´ sagte (lacht).

Also haben sich die politische und die Science-Fiction-Sicht wieder getrennt?
Ja, diese klassische E- und U-Trennung ist in dem Genre auch sehr stark. Ich denke, dass hängt schon auch damit zusammen: Welches Lesebedürfnis steht hinter den verschiedenen Ausprägungen?
Das ist immer so von oben herab, aber es gibt schon eine Berechtigung von eskapistischer Literatur zu sprechen, also sprich Büchern, wo Du ohne viel Vorwissen eintauchen kannst und die nichts mit Deiner normalen alltäglichen Realität zu tun haben, sondern Dich irgendwohin entführen und dann bist Du da drin. Und dann gibt es entsprechend diesem Kosmos vielleicht auch noch Rollenspiele und Fankreise, Trekkies usw. usw. - Das hat alles sehr stark das Bindungselement: "Dies ist ein Kosmos, der uns gefällt!" Was auch wiederum eine Gemeinschaft erzeugen kann. Das ist schon ein sehr spezifisches Element von Trivialliteratur sowieso, aber in besonderem auch noch mal von SF. -
Und es gibt eben auf der anderen Seite die akzeptierte literarische SF, und die beiden Bereiche sind strikt getrennt, was mich enorm stört. Ich hätte viel lieber fließende Übergänge! (...) Meine Idealvorstellung von ´Social Fantasies` sind Romane, die einerseits total spannend und mitreißend sind, mit einem leichten Einstieg, einer hohen Identifikationsquote, und die andererseits im Anspruch durchaus Bücher sind, die Leute bewegen. Jetzt nicht nur im Sinne von ´zu Tränen rühren´! Sondern im Sinne von: Irgendwie einen politischen Impuls absondern! Das Gefühl: "Es macht einen Unterschied, was ich denke und was ich tue". - Das wäre meine Idealvorstellung und nach solchen Büchern suche ich dann eben. Und wenn ich sie finde, dann ist die nächste Hürde: Kann ich sie vermutlich in einer immerhin gerade noch so großen Auflage verkaufen, dass sie möglicherweise wenigstens kein Minus machen.

Sind die Auflagen denn verschieden hoch in den ´Social Fantasies`?
Ja, sie sind ganz verschieden hoch. Beispielsweise: ´Der Planet der Habenichtse` von Ursula K. Le Guin ist schon wieder alle, dabei haben wir erst letztes Jahr eine normale Auflage davon gemacht. Die typische Auflage für unsere Bücher liegt bei 2.500 bis 3.000. - Und es gibt Klassiker, die kann man einfach immer wieder machen und auch etwas höher auflegen, Piercy, Le Guin. Viele Bücher, von denen ich das vermutet hätte, dass es passt, dass man sie also höher auflegen und immer wieder nachlegen kann, funktionieren so nicht. - Ich bin noch nicht völlig durch mit der Frage: Woran liegt das eigentlich genau? John Shirley z.B. ist ein Autor, von dem ich gedacht hätte, dass er gerade in diesen Zeiten mehr Leute anspricht und bewegt. Die Sachen gehen eher schleppend,. Es gibt großen Zuspruch, viele Lorbeeren und großes Entzücken darüber, dass wir das machen, dass wir eben auch die vom Autor selbst überarbeitete Fassung noch mal abgleichen mit der Alten und alles aktualisieren und auch die alte Übersetzung noch mal bearbeiten und verbessern und das alles so ein bisschen würdigen, aber von den Verkaufszahlen her ist das definitiv ein Projekt, was uns echt Kummer macht. -
Wir haben insgesamt in der ´Social Fantasies`-Reihe ja eine Doppelschiene: Zum einen stöbern wir selbst nach neuen Sachen, die irgendwie neue Richtungen weisen könnten und möglichst genau diesen Anspruch, also dass die besten Elemente des Trivialen mit den besten Elementen des Anspruchsvollen verbunden sind, gerecht werden. Die zweite Schiene ist zu gucken: Was ist in der Geschichte der SF-Literatur an Romanen von bleibender Größe, an Klassikern, die einfach verschwunden sind, weil sie sich wirtschaftlich nicht mehr gelohnt haben für die großen Verlage, und die man unbedingt wieder habbar machen muss?

Wie viele Bücher hat die Reihe bisher?
Oha! (lacht) - Ich muss gestehen, ich habe sie noch nicht gezählt. Das liegt zum Teil auch daran, dass ich schon ein Stück weit in der Zukunft bin. Und als wie viele Bücher werte ich das, wenn ich weiß: Also dies da ist schon in der Produktion, ist aber der dritte Teil einer Trilogie, die sowieso schon angefangen ist - das gilt für Shirleys ´Eclipse` - und dies hier, da sind wir schon seit einem Jahr dran. Das wird jetzt im Herbst endlich fertig.

Wie viele Bücher sind denn ungefähr immer gerade im Prozess des Werdens?
Das ist schwankend. Es kommt auch drauf an, ob es Mehrteiler sind, wo man sagt: "OK, das müssen wir unbedingt machen und seriell abarbeiten!" - So wie den Shirley. Ansonsten würde ich sagen, das schwankt so zwischen drei und sieben, auf die man einen Ausblick hat. Wobei die Frequenz, in der wir noch produzieren können, ja extrem klein geworden ist. Wir können ja kaum mehr als zwei Neuerscheinungen pro Jahr machen. Das ist einfach eine Frage der wirtschaftlichen Not. Die ´Social Fantasies´ bringen uns finanziell überhaupt nichts. Das ist mehr so, dass das ein Projekt ist, wo ich denke, das müssen wir machen. Es geht dem Genre auch nicht gut. Die Möglichkeiten der Lektorate und Programmabteilungen in den Verlagen werden dauernd ökonomischen Zwängen unterworfen. Immer mehr. Es wird immer restriktiver. Es ist im Moment nicht günstig, solche - ich möchte jetzt nicht ´abseitig´ sagen... - wirtschaftlich unsicheren Genres zu verfolgen. Der ökonomische Druck der Branche hat jetzt zur Zeit einen ziemlichen Höhepunkt erreicht. Ambitionierte Programmarbeit interessiert große Verlage überhaupt nicht. Und kleine Verlage können sie sich kaum noch leisten.

Wie hoch ist denn die Nachfrage nach ´Social Fantasies´ insgesamt?
Ja, die Nachfrage. Das ist eine Formel, die ist ein bisschen schwer zu fassen im Fall von Büchern, denn wir haben ja sehr klar festgelegte Kanäle für Bücher. - Klassischerweise funktioniert das mit Büchern so, dass man in einen Buchladen geht, sich ein Buch kauft, es nach Hause trägt und liest. Da liegt heute eine ziemliche Hürde, denn eine Buchhandlung ist ein fast anachronistischer Ort, in dem Sinne, dass Buchhandlungen eigentlich kaum noch überleben können wenn sie es nicht schaffen, ihr Regale mit sogenannten ´Schnelldrehern´ zu füllen. Das heißt, Bücher, die dort stehen, nach dem Motto: "Auch dieses Buch haben wir, wenn ein- bis zweimal im Jahr danach gesucht und gefragt wird", das geht nicht mehr in der Buchhandlung. Die Buchhandlungen sind dem ökonomischen Prinzip soweit unterworfen worden, dass sie eigentlich nur noch daran interessiert sind, die Spiegel-Bestsellerliste im Regal stehen zu haben. Alles andere ist zu teuer. - Da gibt es noch ein paar Faktoren. Zum Beispiel, dass man eigentlich als Buchhändler nicht mehr sagen kannst: "OK, hier kannst Du reinkommen als lesender Mensch und sagen: ´Ich lese das und das gern! Jetzt beratet mich mal: Was sollte ich lesen?´". -
Ich meine, die kommen selber nicht nach. 90.000 Neuerscheinungen jeden Herbst auf der Frankfurter Buchmesse, nur Deutsch! Wer soll das lesen? -
Das Instrument Buchhandel ist in solcher Weise praktisch verkorkst für die Literatur.
Und dann gibt es so ein paar neue Ansätze, wie ´Book on Demand´ oder ´E-Book`, wo die technologischen Geschichten spielerisch weitergedacht werden. `Book on Demand` ist die Idee, dass man im Grunde eine Datei in einer Druckmaschine hat, und auf Knopfdruck dann bei Nachfrage so ein Buch auswerfen kann. Diese Bücher haben dann natürlich nichts bibliophiles, sie fühlen sich nicht toll an, es sind keine Taschenbücher, Du kannst sie nicht gut mit in die Badewanne oder ins Bett nehmen. Selbst im Urlaub wird es schwer. Das sind Labbercover. - Außerdem ist das für Verlage fast unpraktikabel, weil die Stückproduktionskosten sind irre hoch, weil es ein einzelnes Stück produzierbar macht. Das heißt: Davon kann ein Verlag einfach nicht existieren, bzw. nur, wenn er eine rein virtuelle Existenz hat. Das gibt es auch schon.
`E-Book` ist noch verrückter. E-Book ist ja die Vorstellung, dass man ein Lesegerät hat und dann über einen Code auf einen Text zugreift. Der wird dann im Lesegerät gelesen. Das hat eigentlich aber auch nichts mit dem klassischen Lesen eines Buches zu tun, schon gar nicht eines Taschenbuches. Wir reden ja gerade von Genre-Literatur, und das ist das klassische Taschenbuch. Das ist etwas, das Du wirklich durch deine Lebenslagen mit Dir führst, in der U-Bahn liest usw. - Ein E-Book ist etwas völlig anderes.

Aber E-Books kann ich doch auch überall mit hinnehmen. Die Geräte kann man auch überall einfach so aufklappen...
Das sie so klein und handlich sind, ist noch ein bisschen Utopie. Und zum anderen: Stell Dir einfach einen LCD-Bildschirm statt einer Buchseite vor. Das ist wirklich schon etwas anderes.

Kann man eigentlich sagen, dass es bei Büchern zu bestimmten Themen grundsätzlich ein sehr viel größeres Publikum gäbe, so wie z.B. für ´Social Fantasies´, aber Publikum und Bücher kommen schlecht zusammen, weil die Verbindungswege verstopft sind oder durch rein wirtschaftliche Denkweise zu wenig Raum da ist, sie ausreichend bekannt zu kriegen?
Als Branchensymptom an sich? Jaja! Diese Entwicklung, die ich für die Buchhandlungen skizziert habe, die gibt es heute natürlich auch in den Programmabteilungen der Verlage. Das Problem ist, dass jedes Buch sofort ein Geldbringer ein muss. Insgesamt führt das natürlich dazu, dass alles panisch Bücher auf den Markt wirft. Es gibt eine völlige Verstopfung und Überflutung. Jeder versucht panisch irgendeine Welle in Gang zu setzen, irgendwas Neues zu machen oder etwas Bewährtes zu machen. Es gibt eine Menge, von fragwürdiger Kompetenz gestalteter Bücher, die einfach mal auf den Markt geworfen werden und damit ein Stück weit auch für mein Gefühl die Übersichtlichkeit der Möglichkeiten beschränken, zumal die Literaturkritik überhaupt nicht hinterher kommt. Bei 90.000 Neu-Erscheinungen kann man sich schon vorstellen, dass es kein Medium geben kann, das dem gerecht wird. -
Und in sofern denke ich, ist das mit der Nachfrage so eine zwiespältige Geschichte. Weil ´Nachfrage´, da habe ich schon noch so ein bisschen die Zeiten im Kopf, als ich anfing Bücher zu machen. Da sah das so aus: Wenn man ein Buch machte, dann informierte man die Welt darüber. Der Vertrieb informiert den Buchhandel, man informiert die Presse, man informiert auch das allgemeine Publikum, indem man hier und dort vielleicht irgendwelche Beiträge einbringt in Medien oder Interviews gibt (lacht). Und dann kann man dieses Buch auf den Weg bringen und gucken: Gibt es Leute, die dieses Buch interessiert. - Das geht so gar nicht mehr!
Dadurch, dass das stets und ständig alle machen, ist PR, ´Public Relations´, ein Faktor geworden, der selbst in einer gigantischen Konkurrenz steht. Es geht nur noch um das Prinzip: Wer kriegt einen Zentimeter mehr Pressepräsenz? Das ist dann wiederum die Frage, an der sich PR-Leute messen lassen müssen. Die Inhalte sind längst scheißegal!
Und in sofern: Was soll Nachfrage sein? Nachfrage ist, wenn zufällig jemand weiß, dass es da was gibt, was ihn interessiert. Aber wo soll er das heute noch herkriegen? Die Hoffnung richtet sich dann eher auf Leute, die gezielt suchen. Die wiederum haben heute in den Buchhandlungen nicht mehr so die guten Karten, weil die dort nicht mehr beraten können, in den Medien nicht mehr die guten Karten, weil die Medien nicht nachkommen, also bleibt das Internet! Und dann kann man nur hoffen, dass man die richtigen Schlag- und Stichwörter an seine Präsentation hängt, um gefunden zu werden. -
Was ist Nachfrage? Unter den Bedingungen, die wir heute haben, ist Nachfrage eigentlich: "Wer schafft es, am lautesten zu schreien?" Damit sind die kleinen Verlage aber ziemlich aus dem Rennen. `Laut schreien` heißt: Anzeige im Spiegel, Anzeige hier, Anzeige dort, je nach Zielgruppe. -
Tja, und bezahlte Anzeigen sind seit Jahren schon nichts mehr, was wir machen. Da haben wir nichts. Null Etat.

Wo macht ihr dann Werbung?
Wir machen überhaupt keine Werbung! Wir machen sozusagen Präsenz-PR durch Veranstaltungen, Interviews, Internet, Newsletter und eine gute Zusammenarbeit mit den Medien, die eine inhaltliche Bindung zu uns haben.

Was heißt dabei Bindung? Dass man sich kennt?
Auch, aber es gibt darüber hinaus verschiedene Bindungen. Eine ganz einfache und offensichtliche ist das, was uns verbindet: Wir machen SF, ihr macht SF! So kommen wir zusammen und reden über SF.

Vielen Dank Else, für dieses wirklich sehr interessante Gespräch!

Wer mehr über die außerordentlich interessante SF-Reihe ´Social Fantasies´ des Argument/Ariadne-Verlages wissen will, findet hier alle wichtigen Infos:

www.argument.de
http://www.argument.de/socialfanta/sf_index.html



WARP-online, August 2003

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