"Höhere Welten" - Ein deutscher Alltagsroman.

von Hella Streicher

[Bremen:] [Selbstverlag], 2003. Book on Demand. ISBN: 3-8311-4676-4.

"Höhere Welten" ist ein höchst dichter und gelungener Roman. Hella Streicher besitzt die seltene Gabe, Zeitgeschichte und eigene Erfahrungen zu einem stimmigen Ganzen zusammenzubringen. Noch weit mehr als das ist Andrea, die Hauptperson und Erzählerin der "Höheren Welten" jemand, der in unseren Jahren der "shareholder-value" ihresgleichen sucht: Sie ist gebildet und herzenswarm, aufrichtig und unbestechlich - und wohl gerade deswegen gestrandet in einem der Winkel des Lebens. Wie vieles hat Andrea schon gemacht:
Germanistik studiert mit Auszeichnung, um als Deutschlehrerin in die Arbeitslosigkeit entlassen zu werden. In einem Labor gearbeitet, wo die PTA sich im Nebenraum mit alkoholgeladenen Pröbchen der Pharmakonzerne betrank. In verschiedenen Bremer Bands getrommelt, es bis zur Platte geschafft, und doch nebenher, um der lieben Patte (nicht Platte) willen, im "Bücherwurm" gearbeitet, einer jener zahllosen Futterkrippen "for the German beststeller-mind", die wir alle kannten, lange bevor es amazon gab.

In dieser Bremer Buchhandlung lernt Andrea Luise kennen, ihres Zeichens Esoterikerin und damit eine Frau, die verschiedener von Andrea kaum sein kann. Hat die Liebe zwischen beiden eine Chance? Tja, man kann vieles fragen: Was im "balla-balla" Deutschland der neunziger Jahre, von dem "Höhere Welten" nebenher eine witzige, scharfzüngige und detailreiche Bestandsaufnahme bietet, hatte denn überhaupt eine Chance?

Zwar spielt der Roman völlig abseits der gefallenen Mauer, er spielt weit weg vom schmucken, ach so sauberen und doch angestaubten München, er spielt auch nicht - letzte Hoffnung für Kosmopoliten - in Hamburg, aber trotzdem keinesfalls in der Provinz. Plus trifft Minus, Himmel trifft Erde, Geist trifft Körper, Aufrichtigkeit trifft Verleugnung, Fisch trifft endlich mal nicht Fahrrad, sondern Andrea trifft Luise - wenn das ins Spiel kommt, ist der Schauplatz eigentlich egal.

Der Roman ist nicht gerade plotstark, doch auch das ist richtig, nur gut so. "Höhere Welten" bezieht Stellung dort, wo die Dinge scharf geschnitten sind, wo Glück und Unglück, wo Erkenntnis und Wahn dicht beieinander wohnen - und das ist nun mal meistens an den Rändern so, bei Menschen (nicht in Action), bei solchen, die der Mainstream ausgespuckt hat in ihren eigenen, freien Fall. Florian Illies und seine Generation Golf werden es nicht lesen: Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als daß eine Frankfurter Allgemeine Bilanz bei mir in den Bücherhimmel kommt. Nein, die guten Letzten müssen die Ersten sein. Weit hinten in den "Höheren Welten" bittet Luise Andrea, ihre Geschichte doch aufzuschreiben, weil Andrea "so schön schreiben kann", und Andrea überlegt, da sich ihre und Luises "Beziehung" inzwischen zum Roman ausgewachsen hat, wer dieses Buch denn später lesen möge.

Also, wer macht das Abseits zur Mitte? Darauf hatten die Neunziger eine gute Antwort: "Der Flügelschlag eines Schmetterlings in Hongkong", hieß es damals in der Chaos-Theorie, "kann die Ursache sein für einen Hurrikan in den Vereinigten Staaten." Einen solchen Flügelschlag wünsche ich Hella Streichers "Höheren Welten": Kauft dieses Buch im Sturm, und lest es!

[geschrieben von Jakob Anderhandt]

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