"Begegnung auf Amrum"

von Karin Steinberg-Berge

Münster: Edition Octopus [Monsenstein und Vannerdat], 2003.

Einige Monate vor ihrem herannahenden Tod besucht Manfred seine Freundin Anna in ihrem Inseldomizil auf Thassos. Anna möchte Manfred ihr Leben erzählen, das nicht nur von der Beziehung zu ihm, sondern noch weit mehr von der lebenslangen Freundschaft zur fast gleichaltrigen Sara geprägt ist, welcher Anna vor nun bald siebzig Jahren auf Amrum begegnete.

Zwei junge Frauen, die sich bis dahin nur flüchtig kennen und die zwei ganz unterschiedliche Lebensentwürfe haben, sitzen sich an einem Maitag im Jahr 1925 im Strandrestaurant von Norddorf gegenüber. Anna möchte Schriftstellerin werden - sie hat vor kurzem ihrem Zeitungsverlag gekündigt und macht gerade eine Schaffenskrise durch -, Sara hingegen plant, in die Großfamilie eines spanischen Arztes einzuheiraten. An jenem Nachmittag erkennt jede der beiden Frauen in der anderen ihr Gegenteil. Und genau diese fruchtbare Spannung ist es wohl, so wird sich später zeigen, welche sie trotz der vielen inneren und äußeren Konflikte, die ihnen das Leben im 20. Jahrhundert bringen wird, über lange Durststrecken hinweg in Verbindung bleiben läßt.

Die größte Stärke des Romans ist zugleich seine größte Schwäche: Auf 420 Seiten beschränkt sich Karin Steinberg-Berge nicht etwa darauf, entscheidende Lebensstationen ihrer Hauptfiguren nachzuzeichnen, sondern läßt Anna genauso von Saras insgesamt neun Kindern mit Rafael Gonzaléz Gracía erzählen, mit denen die Schriftstellerin durch die ausgedehnten Besuche im Haus der Familie ständig verbunden bleibt. Annas innere Unruhe, welche sie nach der Fertigstellung fast jedes ihrer Bücher den Wohnort wechseln läßt, trägt noch zusätzlich dazu bei, daß sich aus den Geschehnissen ein "Roman" im besten, pan-europäischen Sinne ergibt.
Andererseits bleibt aber genau deswegen so manches Ereignis blaß und abstrakt; und selbst von Saras Kindern gewinnen nur diejenigen wirklich Kontur, zu denen Anna künstlerisch oder über einen inneren Konflikt eine Beziehung aufbaut.

Die Form des Romans ist einfach, aber trotzdem kunstvoll: Statt Annas Lebensbericht zu überarbeiten, hat Manfred die auf Tonband aufgezeichneten Erinnerungen lediglich transkribiert und das Nötigste an Kommentaren hinzugefügt. Dabei herausgekommen ist eine südländisch leichte, manchmal wundersam unbeholfene Schilderung im Plauderton, die nur hin und wieder gestört wird, wenn Anna in allgemeinere Betrachtungen über das Schicksal ihrer Generation abschweift.

Der Roman erzählt weit mehr mit dem Herzen als mit dem Verstand. Trotz einiger sprachlicher Ausrutscher und einer Handvoll nichtssagender Bilder kann er insgesamt überzeugen, weil er bewußt nichts anderes sein will als das mündliche Resümee einer Frau, die viel gereist ist, die die Menschen, das Meer und die Sonne des Südens zu ihrer inneren Heimat gemacht hat, und die ihr Leben konsequent ihren Büchern verschrieb.

[geschrieben von Jakob Anderhandt]

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